„Keine Probleme mit den Nachbarstaaten“?

Wegen der täglichen Nachrichtenflut zum nationalen und internationalen Stand der Covid-19-Pandemie und dem Kleinklein um die Lokalwahlen übersehen manche medialen Informationslieferanten, dass sich an diversen Stellen der Welt einiges zusammenbraut: Sei es der wiederaufgeflammte militärische Konflikt um Bergka-rabach (der eigentlich seit 1918 schwelt), seien es die Hegemonieansprüche der Türkei als Regionalmacht mit militärischem Muskelspiel, die sich um ihre Nato-Zugehörigkeit nicht schert (siehe die Haltung zum Nato-Mitglied Griechenland – was aber auch ein historischer, nicht nur, wie neuerdings aufgrund des Gasvorkommens, ein wirtschaftlicher Konflikt mit Säbelrasseln ist...) oder seien es die Desperado-Gesten und -Drohungen des auf dem Schleudersitz thronenden Mister Donald Unberechenbar. Bei Letzterem werden wir unmittelbar vor den US-Wahlen eingehender verweilen.

Die Republik Türkei ist für die derzeitige Regierung Rumäniens anscheinend weniger inte-ressant als für einige ihrer Vorgängerregierungen. Die Abkühlung der Beziehungen Rumänien – Türkei hat eingesetzt, als Bukarest Ankara zu verstehen gegeben hat, dass das rumänische Interesse an einem Riesenmoscheebau in Bukarest mit türkischem Geld mäßig ist – egal, ob das Bündnistreue zur Nato oder Liebkindspielen gegenüber den Amis war. Trotzdem hätte ich mir seitens Rumäniens mehr Solidarität mit Westeuropa gewünscht, wo die Sorge wegen des militärischen Muskelspiels der Türkei bei vielen regionalen Konfliktherden zunimmt, sei es das Vorgehen der Türkei in Syrien, in Libyen, in auffallend großer Nähe zu einigen Inseln Griechenlands bzw. im östlichen Mittelmeer, neuerdings auch im Kaukasus. Das Selbstverständnis der Türkei als regionale Hegemonialmacht, die trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten enorme Summen für Militärausgaben bereitstellt, hat vor allem Frankreichs Macron zu harscher Kritik veranlasst. 

Lange Zeit wurde der hochkochende türkische Nationalismus – den Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) durchaus geschickt schürt und nutzt – unterschätzt. Jetzt dürfte er der Hauptgrund für das Auftreten der Türkei auf internationaler Bühne sein, in auffälliger Assoziierung mit aggressivem Islamismus. Unterschätzt wird auch die Allianz des türkischen Präsidenten mit der rechtsextremen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) des Devlet Bahceli, von dem es heißt, er treibe Erdogan bereits buchstäblich und offen vor sich her, so dass viele Türken überzeugt sind, Bahceli und die MHP träfen sämtliche außenpolitischen Entscheidungen. Die diplomatische Vorgabe des früheren Außenministers und Ministerpräsidenten Davutoglu, „keine Probleme mit den Nachbarn“, wurde längst verworfen.

Sicher hat die Umlenkung der Aufmerksamkeit der Bevölkerung, weg von innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen, hin zu außenpolitischen, den Vorteil eines Koagulationseffekts: Erdogan hofft zurecht, die Türken geschlossen hinter sich zu halten – was ihm in weiten Teilen auch gelingt, einschließlich betreffs der politischen Opposition. Die Position Erdogans im Konflikt um Bergkarabach wird von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt, ebenso das Vorgehen im östlichen Mittelmeer bezüglich der (vermuteten) Erdgasvorkommen (die Ansprüche der Griechen seien übertrieben, meint eine Bevölkerungsmehrheit...). 

Erdogan ist Meister des schönen Scheins. Die Infektionszahlen mit dem Coronavirus sind beschönigt, die „Ruhe“ im Land führt irre (Proteste werden verhindert durch Versammlungsverbote, Inhaftieren von Protestierenden usw.). Die EU hat bezüglich der Türkei eine „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Strategie entwickelt: Zollunion weiter entwickeln und Sanktionen androhen. Ob Sanftheit hilft? 

Fakt bleibt: Ohne die Türkei sind Konfliktherde in EU-Nachbarschaft nicht lösbar. Mit ihr wird jede Lösung problematisch, sofern sie nicht eine diplomatische und koordinierte ist.