Kinderferienoase in der Hauptstadt

Das jährliche Sommerlager im Dorfmuseum verbindet Kreativität und traditionelle Handwerkskunst mit Natur, Spaß und Spiel

Der Holzkünstlernachwuchs übt sich begeistert an Messer und Laubsäge. Fotos: George Dumitriu

Hier entstehen keine Miniaturwebteppiche, sondern poppige Handy-Etuis.

Was werden die Archäologen der Zukunft denken, wenn sie einen Roboter aus Ton ausgraben?

Unter einem Museum stellt man sich normalerweise kühle Räume, gedämpfte Stille und eine Fülle an Kostbarkeiten vor, die man diszipliniert aus der Distanz bestaunen, aber um Himmels willen nicht anfassen darf. Anders das Dorfmuseum: wir kennen und lieben es als grüne Oase inmitten der grauen Großstadt, schnuppern gerne in das eine oder andere traditionelle Häuschen hinein, freuen uns über einen gestiefelten Zwerghahn, der wie selbstverständlich den Weg kreuzt und bleiben bewundernd am Stand mit den bemalten Eiern aus der Bukowina stehen. Hier ist der Charme des ganzen Landes auf einem kleinen Flecken Erde konzentriert.

Lernen und spielen in ländlicher Idylle

Wer jedoch während der Sommerferien durch das beliebte Freiluftmuseum spaziert, erlebt noch eine andere Facette: das Kinderferienlager. Bukarester Sprösslinge zwischen sechs und achtzehn Jahren, die das Landleben oft nur aus dem Fernseher kennen, sitzen in Grüppchen auf Holzbänken vor den Bauernhäusern und malen Ikonen, basteln Masken oder Stoffpuppen, schnitzen Löffel, töpfern oder weben mit Feuereifer. Seit 19 Jahren gibt es das mittlerweile bei OSIM als Marke registrierte Ethno-Kreativcamp „Tabãra de creatie ’Vara pe ulitã’” (Kreatives Lager „Sommer in der Dorfstraße”), erzählt Direktorin Paulina Popoiu und fügt hinzu: „Begonnen haben wir mit 40 Teilnehmern, heute sind es 750”. Die meisten Stadtkinder nehmen das Angebot, etwas mit eigenen Händen zu schaffen, begeistert an. 

Viele kommen auch in den Folgejahren immer wieder oder übernehmen später selbst Kindergruppen als Betreuer. Spielerisch lernen die Kleinen nebenbei über Brauchtum und Geschichte der gefertigten Gegenstände. Natürlich kommen auch Spaß und Spiel nicht zu kurz: ein Puppentheater, Wettrennen im Sackhüpfen oder das traditionelle Oina-Ballspiel sind nur wenige Beispiele. Neue Freundschaften entstehen, Handy, Fernseher und Computer sind für kurze Zeit vergessen. Es gibt Kinder, die nach Programmende gar nicht mehr nach Hause wollen, erzählt Frau Popoiu. 

Amüsiert zitiert sie, was sie einst aus der Verhandlung eines Enkels mit seiner Oma aufgeschnappt hat: „Ich komme mit dir in die Ferien, wohin du willst, aber vorher müssen wir ins Lager im Dorfmuseum!” Kinder, die unbedingt ins Museum wollen – wo gibt es das sonst? Neben Spiel und Bastelstunden finden auch lehrreiche Veranstaltungen statt, etwa in Verkehrserziehung, gesunder Ernährung oder Naturheilkunde. Auch für die selbstverständliche Integration behinderter Kinder wird gesorgt, jedes Jahr sind hundert Plätze für sie reserviert. Am Ende des eineinhalbmonatigen Ferienlagers, das in drei jeweils zweiwöchigen Modulen stattfindet, werden alle Werke ausgestellt und nehmen an einer Preisverleihung teil. Hauptgewinn ist – wie könnte es anders sein – ein Platz im Sommerlager des nächsten Jahres.

Auch Staatssekretär Vasile Timis aus dem Kulturministerium lobt die pädagogische Dimension des Museums. Er will nun eine Kooperation zwischen den Schulen und dem Dorfmuseum anleiern, denn das Wissen um Tradition und Kulturerbe ist für die nationale Identität wichtig. Auch das Außenministerium freue sich über die Aktivitäten, meint er, und verweist auf gemeinsame Kulturprogramme mit ausländischen Botschaften.

Kinderjournalistin Octavia gestaltet die Lagerzeitung

Die fachkundige Führung durch das Kinderlager übernimmt die 13-jährige Octavia Roske - stolze „Chefredakteurin” der Zeitung, die am Ende jedes Sommers auf der Website des Museums veröffenlicht wird. Dort berichtet sie über tägliche Aktivitäten und besondere Ereignisse – zum Beispiel den Besuch der mexikanischen Botschaft, der am Tag darauf stattfinden soll. Neben Interviews mit Besuchern und Kindern recherchiert sie zur Geschichte jedes Handwerks, die sie als Einleitung der Aktivitätsberichte der einzelnen Gruppen darstellen möchte. 

Als die junge „Kollegin” auch noch hervorragende Deutschkenntnisse demonstriert, hält mich nur der Anstand davon ab, sie für die ADZ abzuwerben – denn wer soll sonst die Zeitung des Sommerlagers übernehmen?

Während wir über das Gelände streifen, lugen aus jedem zweiten Gebüsch schattenhafte Gestalten mit Fotoapparaten hervor. Das müssen die „Paparazzi” sein, vor denen die Museumsdirektorin von einem Besucher gewarnt wurde, bevor sie ihn amüsiert aufklärte, dass es im Sommerlager auch einen Fotoworkshop gibt.

Stadtkinder begeistern sich für ländliche Ethnokunst

Wir schauen zuerst den Maskenmachern über die Schulter, kommen dann am Stand der Perlenkünstlerinnen vorbei und schlendern zu den Holzschnitzern. Die Buben und Mädchen sind so vertieft in ihre Arbeit, dass sie uns kaum wahrnehmen. Man hört nur leises Geplapper und das Schaben des Messers. Ein Junge hält mir höflich eine Pralinenschachtel entgegen. „Du hast aber ein feudales Pausenpaket” scherze ich und erfahre, dass er Geburtstag hat. Na, wenn das kein Anlass für ein Interview ist! Der zehnjährige Iacob steht bereitwillig Rede und Antwort, doch sieht er kaum auf, so konzentriert ritzt er an einem Muster am Stiel seines fast fertigen Holzlöffels. 

Die Schnitzergruppe hat er sich freiwillig ausgesucht, erzählt er und meint, dass man dieses Handwerk recht schnell erlernen kann. Für den kunstvoll verzierten Löffel, den er in der Hand hält, hat er nur eine halbe Stunde gebraucht. Das Programm, das von zehn Uhr vormittags bis zwei Uhr nachmittags dauert, klingt wie ein sattes Arbeitspensum, doch Iacob versichert: langweilig wird es hier keine Sekunde! Auf einmal fassen auch die anderen Kinder Mut, zu erzählen. Zwei Jungen sind schon zum zweiten Mal in der Holzschnitzergruppe – und in den Finger geschnitten hat sich auch schon fast jeder. 

Beim Weben und Puppenmachen treffen wir dann vorwiegend Mädchen an, während die ganz kleinen Lagerteilnehmer am liebsten mit feuchtem Ton herummatschen. Sie haben ihre Schätze auf einem großen Tisch aufgebaut, von Obstkorb über Blockhaus bis zum Gartenzwerg ist alles dabei – sogar ein tönerner Roboter! Ganz läßt sich die moderne Technik halt doch nicht verdrängen. Das Tagesprogramm neigt sich dem Ende zu, am Glasikonenmaltisch entsteht trotz Aufbruchstimmung noch rasch ein goldener Serafim, während die größeren Mädchen seelenruhig verzierte Eier vom Wachs befreien. Ihre Lehrerin ist extra für das Sommerlager aus der Bukowina angereist. 
Ein von Kinderlachen erfüllter Sommertag in der grünen Oase des Dorfmuseums neigt sich dem Ende zu. Wer hätte je gedacht, dass Ferien in der Hauptstadt fast noch schöner sein können als auf dem Land?