Kitsch oder Kunst?

Der neue Look des Schnurgässchens

Bunter, freundlicher und attraktiver für Touristen

Nicht nur eine der engsten, sondern auch eine der meist fotografierten Gassen

Die Inschriften der Touristen sind nicht gerade ein Kunstwerk.

Sogar an einem wolkigen Montagvormittag herrscht viel Verkehr auf dem Schnurgässchen in Kronstadt. Man bleibt  auch im Stau stecken. Und das, obwohl auf diese Straße kaum zwei Leute nebeneinander hineinpassen, geschweige denn ein Auto. Der Stau bildet sich, weil man dauernd stehen bleiben muss. Man wartet, bis ein japanischer Tourist mit gestreiftem Hut seine Frau bei jedem Schritt fotografiert. Kaum geht man ein paar Meter weiter, muss man wieder warten, bis ein Teenager das zehnte Selfie vor einer weißen Tafel mit vielen Inschriften macht. Seit Freitag, dem 21.September, ist das Schnurgässchen wieder für Touristen geöffnet. Und hat einen neuen Look.

Mit einer Breite zwischen 111 und 135 Zentimetern ist das Schnurgässchen in der Kronstädter Innenstadt eine der engsten Straßen Europas. Und mit Sicherheit auch eine der meist fotografierten.  Täglich werden auf Instagram hunderte von Fotos mit dem Tag #ropestreet hochgeladen. Sie zeigen fröhliche Touristen aus aller Welt, die sich neben den bunten Mauern fotografieren. „Eigentlich unspektakulär“, schrieb ein deutscher Tourist vor zwei Jahren auf tripadvisor. Das fanden auch die Mitglieder des Vereins „Gemeinsam für die Entwicklung der Gemeinschaft“. Mit Unterstützung vom Kronstädter Bürgermeisteramt und der Kreiskulturdirektion entwickelten sie ein Projekt, das einen neuen Look für das Schnurgässchen vorsieht.
In den letzten sechs Wochen wurde die beliebte Gasse einer „Schönheitsoperation“ unterzogen. An den beiden  Zugängen in der Waisenhausgasse bzw. Neugasse wurden Infotafeln über die Geschichte des Schnurgässchens angebracht, die Dächer und Rinnen wurden repariert, die Mauern in bunten Farben bemalt. Die 23 Fenster, die zu dem Gässchen münden erhielten Farbe und einen persönlichen Anstrich. Beim Zugang aus der Neugasse wurde eine Statue angebracht, die in Richtung des Gässchens zeigt, damit die Touristen es nicht verpassen, hier spazieren zu gehen. Auch eine Schnur wurde an die Wand angebracht, dazu mehrere Fotos, die Leute zeigen, welche sich hier fotografiert haben. Innerhalb des Gässchen wurde eine Glaswand von 6 qm Fläche angebracht, wo Besucher ihre Erinnerungen kurz niederschreiben können. So haben Touristen und Kronstädter die Gelegenheit, die neue Identität der berühmten Straße mitzugestalten.
„Apollonia Hirscher                                                     war hier“
Die vielen kitschigen Aufschriften an den Fassaden in der Kronstädter Innenstadt sind nach wie vor ein großes Problem. Statt dass sie verschwinden, vermehren sie sich von Jahr zu Jahr. Polizei und Eigentümer scheinen dagegen machtlos zu sein. An diese unschöne Inschriften haben die Initiatoren des Projekts „Sfoara Bra{ovu-lui“ (deutsch: die Schnur Kronstadts) gedacht, als sie auf die Idee kamen, die Glaswand am Schnurgässchen anzubringen. Wer Lust hat, an die Fassaden zu kritzeln, kann hier seiner Phantasie freien Lauf lassen. Die Nachrichten werden einen Monat auf der Glaswand zu lesen sein. Dann wird sie gereinigt und kann erneut beschriftet werden. Eigentlich ist die Idee nicht schlecht. Doch wirklich interessante Sprüche sind auf der Wand noch nicht zu finden.
 „Apollonia Hirscher war hier. Im Jahr 2018“, steht auf der Glaswand, mit blauem Stift geschrieben. Das ist durchaus möglich, da im September  im Rahmen des Projektes „Geschichte in der ersten Person“ acht historische Persönlichkeiten der Stadt den Kronstädtern und Touristen über ihr Leben und die Stadtgeschichte erzählen.
Unter einer Schnur hat jemand geschrieben: „Halte dich an Gott. Das ist der einzige Strick, der nicht reißt“. Gleich darunter findet man den berühmten Hashtag #rezist. Und viele Inschriften wie “Lena war hier. September 2018” oder “Alina+Alex=Liebe”. Ein Verwalter einer Facebook-Seite macht Werbung für seine Initiative, jemand lobt die Initiatoren des Projekts und dankt für die weiße Wand, an der jeder schreiben kann, was ihm gerade durch den Kopf geht. Wirklich schön sieht die Wand noch nicht aus. Aber vielleicht wird sich das ändern. In Zukunft werden auf dem Schnurgässchen Kulturevents wie Ausstellungen, Mini-Konzerte und Kunstwettbewerbe stattfinden. Auch für die „Lange Nacht der Galerien“ am 5. Oktober wird hier ein umfangreiches Programm vorbereitet.