Klang der Hoffnung in Pata Rât

Am 12. August findet im Rahmen des Khetane Festivals auch ein Talentwettbewerb „Pata-Cluj Avem Talent“ statt. Jugendliche aus Pata Rât nahmen Mitte Juli an der Vorauswahl teil.
Fotos: Radio Pata

István Szakáts (dritter in der hinteren Reihe v. r. n. l.) mit Bewohnern von Pat-Rât und Mitarbeitern des Projekts Radio Pata

Andrei Dinescu (l) bei den Vorbereitungen zum Khetane-Festival

Das Gebiet Pata Rât neben Klausenburg ist das größte Ghetto Europas, direkt neben einer Mülldeponie. Hunderte Roma wurden im Dezember 2010 zwangsweise hierher umgesiedelt. Heute leben neben dem krankheitserregenden Abfallberg über 2000 Menschen, 70 Prozent davon Roma. Aber auch an diesem Ort ist Platz für Fröhlichkeit: Radio Pata, gegründet von Roma-Gemeinschaften aus Pata Rât und Klausenburg will die Sichtbarkeit der segregierten Roma erhöhen – und das durch das Festival der Roma-Kultur „Khetane“.
In der Stadt Klausenburg wird die Roma-Gemeinschaft von Pata Rât, die ihren Namen vom Nachbardorf Pata hat, stark ausgegrenzt und segregiert, sagt István Szakáts, Koordinator des Projekts Radio Pata und Organisator des Festivals Khetane. Der Zugang der Bewohner zu allem, was die Stadt bietet, sei durch die Entfernung, schlecht organisierten öffetnlichen Verkehr, die unmittelbare Nähe mehrerer Deponien sowie fehlende Grundversorgung wie Strom und Wasser erschwert.


Darüber hinaus fehle laut dem Kulturmanager der Zugang zum kulturellen Leben der Stadt. „Nicht nur die Bewohner von Pata Rât erreichen das „Stadtzentrum“ nicht. Auch die Kulturproduktionen erreichen die Peripherie nicht“, meint er. Daher sei das Internet, das in Rumänien im Vergleich zu anderen EU-Ländern relativ günstig ist, die wichtigste Musikquelle für arme Menschen.

Radio Pata, gegründet von Einwohnern von Pata Rât und den in Klausenburg lebenden Roma-Gemeinschaften – George Stephenson und Me{terul Manole – wurde als solide Plattform geschaffen, die die Verbreitung von Ideen zwischen ihren Mitgliedern erleichtert. Dank des Engagements der Gemeinschaften und ihrer in den Radiosender investierten Energien konnte die Idee eines Festivals organisch entstehen. Die erste Initiative von Radio Pata startete 2018 und dauerte anderthalb Jahre. Sie wurde im Rahmen des Projekts „Create to Connect – Create to Impact“ entwickelt, finanziert von der Europäischen Kommission über das Programm „Creative Europe“. Das aktuelle Radio-Pata-Format läuft seit Juni 2021 und wird von norwegischen Fonds finanziert.

Diskriminierung und Armut

István Szakáts besuchte am 17. Dezember 2010 zum ersten Mal die Roma-Gemeinschaft in Pata Rât zu dokumentarischen Zwecken. Es war genau der Tag, an dem 350 Menschen von der Coastei-Straße in Klausenburg auf die örtliche Müllhalde evakuiert wurden. Durch das Projekt Pata 2.0 war geplant, mindestens 30 Sozialwohnungen für die 1500 Mitglieder der Gemeinschaft von Pata Rât zu erwerben. Auch bei der Bereitstellung von sozialen und medizinischen Diensten und Berufsberatung für Jugendliche seien Schritte unternommen worden. „Im Vorgängerprojekt Pata 1.0. war es möglich, 35 Häuser zu kaufen und ein komplexeres Programm sozialer und medizinischer Dienstleistungen mit viel weniger Geld umzusetzen“, bezeugt Szakáts.

Roma kamen bereits in den 1970er Jahren in das Gebiet von Pata Rât. Sie ließen sich im Laufe der Jahre in vier Gebieten nieder, heute bekannt als Cantonului, Dallas, Colina Verde und die Rampa (Müllrampe). Pata Rât ist laut Szakáts ein toxisches Gebiet, in dem Menschen krank werden und an Krebs, Leber- und Lungenerkrankungen sterben: Niemand in  hier sei  älter als 70 Jahre. Es sei ein segregierter und stigmatisierter Ort, meint der Organisator. „Zu sagen, dass man in Pata Rât lebt, ist gleichbedeutend mit sozialem Selbstmord in Klausenburg, erklärt Szakáts. Daher haben es die rumänischen Bürger aus Pata Rât nicht eilig, in der Öffentlichkeit stolz auf ihre Herkunft zu sein: „Meiner Erfahrung nach geschieht die Annahme der Roma-Ethnizität in sicheren Kontexten, in denen das Risiko, sofort diskriminiert zu werden, geringer ist“, sagt Szakáts.

Seit ihrer Ankunft in Europa im 14. Jahrhundert aus Indien litten Roma unter Ausgrenzung und Diskriminierung. Sie wurden oft Opfer von Gewalt und entmenschlichender Behandlung wie Vertreibung, Versklavung und Pogromen. Aufgrund des Mangels an Wohnraum und Dokumenten werden  sie in Rumänien einem Teufelskreis überlassen, sie haben etwa keinen Zugang zu Bildung oder angemessenen Dienstleistungen. Das niedrige Bildungsniveau und Diskriminierung führen zu einer sehr niedrigen Beschäftigungsquote. Das geschah auch mit den Bewohnern von Pata Rât.

Emanzipation durch Kultur erreichen

Die Organisatoren des Khetane-Festivals wollen eine  Zusammenarbeit zwischen den Menschen in Klausenburg und denen in Pata Rât schaffen. Auf Gemeinschaftsebene wollen sie, dass das Festival eine Gelegenheit zur Emanzipation sei: Zu den Höhepunkten der Veranstaltung gehört die Ausstellung „Unde au disp²rut copiii de pe canapea“ (Wo sind die Kinder auf der Couch geblieben?) am 12. August, die den Einwohnern von Klausenburg die Vertreibung der Familien aus der Costei-Straße und die erzwungene Umsiedlung nach Pata Rât näher bringt. Künstler wie Paul Fantezie, Prin]esa de Aur oder Alex de la Cluj werden im Laufe des Festivals Konzerte spielen. Am 14. August wird es eine Modepräsentation namens „Loly“ von Zita Moldovan geben, die sich mit der Freiheit von Roma-Frauen auseinandersetzt, traditionelle Kleidung nach eigenem Wunsch zu tragen.

Am 13. August befasst sich eine öffentliche Diskussion mit dem Thema Roma-Musik. „Roma-Lieder werden manchmal indirekt mit Armut und insbesondere mit Armutsallergie in Verbindung gebracht“, sagt Andrei Dinescu, künstlerischer Koordinator des Festivals und Initiator der interethnischen Musikgruppe Impex. „Die Roma-Lieder sind der Ausdruck der östlichen Kultur in Rumänien. Manche Rumänen wollen Westeuropäer sein. Allerdings haben wir viele Einflüsse, darunter von Griechen, Roma, Juden, Russen oder Türken. Die östliche historische Realität, die säkulare kulturelle Verbindung mit dem Osmanischen Reich, sollten berücksichtigt werden“, glaubt Andrei Dinescu.

Die rumänische Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre ethnische Identität zu bewahren und auszudrücken. Allerdings ist Dinescu der Meinung, dass offizielle Festivals und Konzertsäle in Rumänien keine Roma-Künstler willkommen heißen, sie nehmen sie nicht in ihr Programm auf. Die abstoßende Haltung gegenüber der Roma-Kultur sei laut dem künstlerischen Koordinator eine Form von Rassismus. Dinescu und Szakáts glauben, dass der einzige Weg nach vorne in der Entwicklung und gemeinsamen Umsetzung von Projekten besteht, die das Leben in der Stadt betreffen und auch Auswirkungen auf die Roma-Gemeinschaft haben.

Die Khetane-Organisatoren haben sich mit Roma-Musikanten beraten, um besondere Künstler zu finden, die das Roma-Repertoire unzensiert singen. Dinescu glaubt, dass Selbstzensur ein weiteres trauriges Phänomen in dieser Geschichte ist: „Es gibt Roma-Künstler, die bestimmte Roma-Lieder nicht singen, aus Angst, von der Mehrheit des Nicht-Roma-Publikums nicht akzeptiert zu werden.“

Vorurteile gegenüber  Roma

„Es reicht nicht, dass nur die Sprache EU-konform ist und die Menschen aufhören, die Roma öffentlich zu beschimpfen. Die Veränderungen müssen auch in Praktiken resultieren, durch die Einstellung, Wahrnehmung, Denken verändert werden können“, meint István Szakáts.

Der öffentliche Diskurs ist aber geprägt von Vorurteilen und Verallgemeinerungen, wobei viele unschuldige Angehörige dieser Minderheit für Diebstähle oder für die Ausbreitung der Corona-Pandemie usw. verantwortlich gemacht wurden. Die Überaktivität der Strafverfolgungsbehörden in Gebieten mit einer großen Roma-Bevölkerung kann in vielen Fällen ein weiteres Ergebnis von Vorurteilen sein.

„Ich erinnere mir noch an Sprüche im rumänischen Raum wie „verwechseln Sie uns nicht mit den Roma, denn wir sind nicht wie sie, wir stehlen nicht, wir schlagen nicht auf den Kopf, wir essen keine Schwäne“ oder die Hysterie mit dem Verbot der Verwendung des Namens „Roma“, weil man verstehe, dass Rumänien das Land der Roma sei“, so Szakáts.

Auch Cristina Zanfirescu, Mitarbeiterin in der Presseabteilung des Festivals, sah sich mit Vorurteilen konfrontiert. Sie verschickte Anfragen an mögliche Medienpartner: „Ich hatte erwartet, einige Mainstream- und große Publikationen aus Rumänien anziehen zu können, aber meine E-Mails wurden größtenteils ignoriert oder erhielten Ablehnungen. Eines ist klar, viele haben Angst, sich mit Projekten zu assoziieren, die mit Roma zu tun haben. Andere glauben, dass die Roma nicht integriert werden können, sie stempeln sie pauschal ab und wollen dann keine Partnerschaften eingehen.“

Bildung und Roma-Kultur

Könnte der Mangel an früher Vertrautheit mit der Roma-Kultur ein weiterer Grund für die intolerante Haltung in Rumänien sein? Laut der Veröffentlichung „Evo-lu]ia Educa]iei Romilor în România“ (Die Entwicklung der Roma-Bildung in Rumänien) aus 2007 lernen die meisten Schüler rumänischer Herkunft nichts über die Kultur, Geschichte und Probleme von Minderheiten. Der Lehrplan behandelt diese Themen im Rahmen eines speziellen Bildungsprogramms für Minderheiten. „Auch weil viele Wörter im rumänischen Wörterbuch aus der Romani-Sprache stammen, sehe ich (darin) eine klare Selbstverarmung der Roma und der Rumänen“, erklärt der Kultumanager István Szakáts. Anzeichen für einen Strukturwandel auf politischer oder institutioneller Ebene sieht Szakáts nicht. „Im Moment besteht nicht einmal die Fähigkeit der Roma-Gemeinschaften, direkt oder durch ihre Vertreter einen günstigeren Weg für sie auszuhandeln“.

„Die Wirkung des Khetane-Festes sollte langfristig gemessen werden, sonst könne man nichts realistisch kalkulieren. Pata Rât wird offensichtlich auch im Jahr 2032 noch da sein, und auch danach. Klausenburg wird weiterhin zentrifugal arme Menschen produzieren, und sie werden in Pata Rât leben. Wer im heutigen Rumänien nicht langfristig pessimistisch ist, hat nicht Recht. Wer langfristig nicht optimistisch ist, hat kein Herz“, meint István Szakáts.