Kongress- Talibans

Randbemerkungen

„Seit gut fünfzig Jahren ist unser Land zu einer Monarchie geworden, mit der Republikanischen Partei an der Spitze. Die beiden kurzen Perioden der Präsidentschaft von Cleveland kann man vergessen. Das waren Zufälle und sie waren vergänglich. Die republikanische Herrschaft konnte davon nicht wesentlich erschüttert werden. Unsere Mo-narchie ist keine einfache Monarchie. Es ist eine Erbmonarchie, denn die Herrscher kommen aus einer einzigen politischen Familie. Sie geht von einem Herrscher zum anderen über mit derselben Regelmäßigkeit, Sicherheit und Unvermeidbarkeit wie jeder andere Thron in Europa. Aber unser Monarch ist stärker, herrscht willkürlicher, tyrannischer als jeder europäische Monarch; die Order, die er aus dem Weißen Haus erteilt, stehen unter keinerlei Gesetzeskontrolle, von Usancen oder Verfassungen, er kann den Kongress in stärkerem Maß in die Knie zwingen als der Zar seine Duma.“

Das war Mark Twain, im Jahr 1908. Wer dieses Zitat nicht mit den Wahlturbulenzen um Kevin McCarthy und den düster-selbstherrlichen Puppenspieler Trump mit seinen 20 Aufrechten in Zusammenhang bringt, der hat die Ereignisse der letzten Wochen nicht verfolgt. Und wer sich in der folgenden Zeitspanne wundern sollte, wie – vor allem mit wem – manche Posten in der US-Staatshierarchie als Spätfolge der Midterm-Wahlen besetzt werden, der dürfte ziemlich naiv sein.

Denn um zum Präsidenten des US-Repräsentantenhauses – und damit zum dritthöchsten Rang in den Vereinigten Staaten (nach Präsident Biden und seiner blassen Stellvertreterin Kamala Harris) hochzukraxeln, musste McCarthy (es hat in den USA schon einen Congressman dieses Namens, trister Erinnerung, gegeben – Stichwort: „Kommunistenverfolgungen“) viele Kompromisse eingehen. Vielsagend für Nachdenkliche; sein „triumphales“ Foto nach dem 15. Wahlgang mit einer der notorischsten „Verschwörerinnen“ im Kongress: Marjorie Taylor Greene – die in allen Wahlgängen für McCarthy gestimmt hat….

McCarthy hat mit seinem 15 Wahlgängen und den Kompromissverhandlungen zwischendurch keinen Rekord aufgestellt. Aber er dürfte so viele Kompromisse eingegangen sein, die ihm sein künftiges Handeln diktieren, dass ihm wenig Zeit bleiben wird, einiges an Positivem zu erreichen. Der Home Freedom Caucus, der Bund der „20 Talibans“, wie sie tituliert wurden, hat sich sogar über den (öffentlich bekundeten Rat) ihres Idols Donald „Unberechenbar“ hinweggesetzt und – so vermuten viele Beobachter – mittels des Kompromisszwangs, dem sie den Kandidaten aussetzten, für eigene Interessen die Weichen gestellt.

Den Kongress-Talibans ist gemeinsam, dass sie eine absolutistische Interpretation des Mehrheitsprinzips nutzen: Die Demokratie setze keinen Kompromiss mit den Gegnern voraus, egal, dass die Bürger sind wie du und ich. Die „Besiegten“ werden ihrer Bürgerrechte „verlustig“ und müssen sich dem Willen der Mehrheit beugen. Dazu nutzen die Kongress-Talibans, in sturer Überzeugung, dass nur sie Recht haben, aggressive Medien. Aus dieser unerschütterlichen Überzeugung kommt auch das „Wissen“, dass jeder „Sieg“ ihrer Gegner nur durch Betrug zustande kommen könne (siehe Trump!) und dass sie „das Volk“ auf ihrer Seite hätten (siehe: Sturm aufs Capitol).

So wird jede ihrer Aktionen legitim, denn ihr hehres Ziel sei die „Trockenlegung des Washingtoner Sumpfs“. Auf den Spuren von Milton Friedman, Ayn Rand oder David Friedman gehen sie davon aus, dass allgemeiner Wohlstand die Freiheit des Individuums untergrabe (umgekehrt: soziale und Wohlstandsunterschiede seien das Muss für individuelle Freiheit…), dass Steuern ein Raub des Staates an den Privateignern seien (nochmal Donald Trump und sein Fiskus-Epos). Die Klimakatastrophe? Klar: das Resultat einer Verschwörung…

Der Trumpismus lebt, selbst ohne Donald.