Kooperation über Grenzen hinweg

Das Projekt „Unprejudiced“ des Goethe-Instituts Bukarest hat Medienschaffende zusammengebracht

Das Projekt „Unprejudiced“ hatte zum Ziel, Medienschaffenden eine digitale Plattform für Publikationen und Vernetzungsmöglichkeiten zu bieten. Foto: Goethe-Institut Bukarest

Medienschaffende aus den Ländern der Östlichen Partnerschaft (Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Republik Moldau, Ukraine), Deutschland und Russland, die am vom Goethe-Institut Bukarest initiierten Projekt „Unprejudiced“ zwischen Oktober 2021 und Dezember 2022 teilnahmen, vermittelten dem Publikum neue Perspektiven zu Themen wie die Diskriminierung der Roma-Minderheit, die Bedeutung sozialer Netzwerke in den Kaukasus-Ländern, ukrainische Flüchtlinge und betroffene Wohltätigkeitsorganisationen aus Russland in Kriegszeiten, die Rechte von LGBTIQ+-Personen oder Zukunftsaussichten für Umweltpraktiken in Osteuropa. 

Das Projekt „Unprejudiced“ hatte zum Ziel, Medienschaffenden eine digitale Plattform für Publikationen und Vernetzungsmöglichkeiten zu bieten. Die Projektsprache war Englisch, aber alle erschienenen Artikel wurden auch ins Deutsche und Rumänische übersetzt. „Dem Goethe-Institut Bukarest ist es auch gelungen, Medienschaffende mit den verschiedensten Hintergründen aus Konfliktregionen wie Russland, der Ukraine, Georgien, Armenien und Aserbaidschan zusammenzubringen“, sagt die aus der Republik Moldau stammende Koordinatorin des Projekts „Unprejudiced“, Natalia Andronachi.

Im Rahmen des Projekts wurde ein Trainingsprogramm entwickelt, das Workshops, Konferenzen und Diskussionen umfasste und ein tieferes Verständnis für die Realitäten in den Zielländern förderte. Neben der Vermittlung einer objektiven Berichterstattung konnten die Teilnehmenden des Projektes lernen, Medien wie Print, TV, Radio, und Online zu analysieren und journalistische Arbeit in Teams zu gestalten. Im ersten Teil des Projekts fanden mehrere Online-Workshops statt, in denen die Teilnehmenden den Forschungsbedarf und die zu behandelnden Themen festlegten. Die Mentoren Susanne Spahn, Tina Lee, Christina Quast, Mila Corl˛teanu und Jörg Taszman hielten Workshops und Vorträge zu Themen wie Desinformation, Faktenprüfung, oder das Erkennen und Vermeiden von Vorurteilen in der Journalistischen Recherche, außerdem verfassten die Teilnehmenden gemeinsame Artikel. 
 „Grenzüberschreitender Journalismus ist heute notwendiger als je zuvor. Für uns ist es wichtig, dass wir auf Augenhöhe, mit Offenheit und ohne Vorurteile kooperieren und es eine möglichst objektive Berichterstattung gibt“, sagt Iryna Sayewitsch, Journalistin und Teilnehmende am Projekt „Unprejudiced“ aus der ukrainischen Stadt Lemberg/Lviv. Sayewitsch thematisierte zusammen mit Anja Lordieck und Ana Kikalischwili die Diskriminierung von Roma in Georgien, der Ukraine und Deutschland.

Aren Melikyan, Ismayil Fataliyew und Tamta Natchkebia analysierten die sozialen Netzwerke in den Kaukasus-Ländern. Sie thematisierten die Besorgung von Informationen durch soziale Medien in Aserbaidschan, die Einflüsse des Bergkarabach-Konflikts zwischen Armenien und Aserbai-dschan im Jahr 2020 auf die Kanäle armenischer politischer Persönlichkeiten, sowie die Desinformationskanäle in Georgien. 

Im Kontext von georgisch-abchasischen Beziehungen diskutierte Ana Kikaleishvili über das „protracted conflict syndrom“ – der von der OSZE 2021 erwähnte Begriff beschreibt die Umstände in Abchasien, Transnistrien, Südossetien und Bergkarabach, die durch die kollektive Akzeptanz der Hartnäckigkeit des Konflikts gekennzeichnet sind. 

Ein weiteres Thema des Projekts ist das hohe Lebendgeburtenverhältnis von Männern zu Frauen in Georgien, das von Natali Hall und Thomas Oswald angesprochen wurde. Sie sprechen von führenden Forschern, die glauben, dass das Land eine höhere Rate an geschlechtsselektiven Abtreibungen habe, was zu der geringen Anzahl von geborenen Mädchen beitragen könnte.

Nachdem im Jahr 2021 die Projektaktivitäten ausschließ-lich online durchgeführt wurden, verzögerte der Ukraine-Konflikt das physische Treffen der Projekt-Teilnehmenden ein weiteres Mal. 2022 gab es endlich zwei Workshops in Berlin und in Chi{i-n˛u, wo die Teilnehmenden unter anderem die Geschichten lokaler Journalisten erfuhren, die aus Kriegsgebieten berichteten und gezielt gegen Desinformation vorgingen. Der Besuch in Berlin beinhaltete eine Tour durch lokale Nachrichtenredaktionen und NGOs. In Chi{in˛u trafen sie weitere Journalisten, die über die Notlage von Minderheiten berichteten, sowie Freiwillige, die sich für Flüchtlinge einsetzen. 

Abgesehen vom Rahmenprogramm des Projekts hatten die Teilnehmenden auch die Chance, sich als Team zu verbinden und während ihrer Freizeit bleibende Erinnerungen zu schaffen.

LGBTIQ+- und Menschenrechte 

Lusine Voskanyan aus Armenien sagt: „Einer der spannendsten Teile des Projekts war die Arbeit an gemeinsamen Artikeln. Ich habe mit dem deutschen Journalisten Cedrik Pelka und der georgischen Journalistin Anano Guduschauri an dem Artikel ‚Holding Hands‘ gearbeitet. Unser Thema betraf LGBTIQ+-Rechte in unseren Ländern. Da die Situation in Armenien und Georgien mehr oder weniger ähnlich ist, wäre es besonders spannend zu sehen, wie sich die Situation in Deutschland entwickelt hat und was in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde.“

„Es war schwierig, in Armenien queere Menschen zu finden, die offen zu ihrer Identität stehen, und aus Sicherheitsgründen habe ich schließlich nicht ihre wahren Namen in dem Artikel geschrieben. Es ist ein offensichtliches Zeichen dafür, dass trotz einiger Fortschritte die LGBTIQ+-Rechte in unseren Ländern immer noch verletzt werden,“ fügt Voskanyan hinzu. 
Nach Abschluss ihres Journalismus-Studiums an der Yerevan State University im Jahr 2013 arbeitete Voskanyan als Reporterin für lokale Medien. 2019 lebte sie vier Monate in Kroatien und arbeitete als freiwillige Moderatorin einer Sendung bei Radio Rojc. Nachdem sie im selben Jahr nach Armenien zurückgekehrt war, begann sie als Faktencheck-Journalistin für das führende Faktencheck- und Ermittlungsmedium „Fact Investigation Platform“ zu arbeiten. Voskanyans Hauptinteressen sind die Bekämpfung von Desinformation und die Förderung der Medienkompetenz in Armenien.

„Das Projekt hat mir geholfen, ein besseres Verständnis für die Ereignisse in den Ländern der Teilnehmenden zu entwickeln. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich während des Programms nicht nur Kollegen, sondern auch gute Freunde gefunden habe. Ich habe an anderen Medienaustauschprogrammen teilgenommen, aber das Projekt Unprejudiced bleibt etwas Besonderes. Ich freue mich immer noch auf die weitere Zusammenarbeit und Begegnung mit den Organisatoren und Teilnehmenden des Projekts“, meint Lusine Voskanyan.

Ukrainische Flüchtlinge

Cedrik Pelka aus Essen arbeitet während seines Studiums der Politikwissenschaft und Philosophie als Journalist für den WDR. Er berichtet über politische Themen, insbesondere Diskriminierung und Rassismus. Im Zuge des Projekts schrieb Pelka auch den Artikel „When sexuality on the run becomes a death sentence“, in dem er mit NGOs und queeren ukrainischen Flüchtlingen sprach. Er dokumentierte die Erfahrungen von Rem, einer Transgender-Frau aus Odessa, und Sasha, einem Mann aus Mariupol, die beide unter schwierigen Bedingungen aus der Ukraine flohen.

„Ich habe viel über die osteuropäische Welt gelernt. Ich zum Beispiel wusste nicht viel über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, die russische Invasion in Georgien oder die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland. All diese Themen waren für die anderen Teilnehmenden nichts Neues. Außerdem wurde ich in meinem Willen bestärkt, mehr über Minderheiten und Diskriminierung zu berichten. Die Workshops in Chișinău haben mir gezeigt, dass wir alle in ganz Europa vor denselben Problemen stehen,“ sagt Pelka. 

Betroffene russische NGOs in Kriegszeiten

„Vor meiner Zeit in Chișinău war mein Wissen über die Berichterstattung über Minderheitengemeinschaften ziemlich begrenzt. Die im Projekt gesammelten Erfahrungen haben mir ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und Belohnungen des Journalismus vermittelt. Ich bin dankbar, dass ich am ‘Unprejudiced’-Projekt teilnehmen und all diese interessanten Menschen treffen konnte. Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt und unsere Wege kreuzen sich in Zukunft wieder“, sagt Ksenia Idrisova aus Russland. 

Idrisova schrieb den Artikel „How do charity organisations in Russia cope after Russia’s military invasion of Ukraine?“ Russische Nichtregierungsorganisationen, die Obdachlose und Menschen mit Gesundheitsproblemen unterstützten und offen ihre Antikriegshaltung zum Ausdruck brachten, wurden aufgrund der neu eingeführten Änderungen des russischen Strafrechts, die Kritik am russischen Militär und seinen Aktionen in der Ukraine verbieten, von staatlichen Zuschüssen abgeschnitten. Diese Zuschüsse waren aber entscheidend, so die Journalistin, um die Aktivitäten der NGOs am Laufen zu halten. Idrisova geht in ihrem Beitrag auf Themen wie die aus Russland geflüchteten NGO-Gründer, gestörte Logistik internationaler medizinischer Lieferungen oder die in Russland abgeschalteten Online-Bezahldienste ein.

Umweltschäden  und -schutz

Im Januar 2022 schrieb Idrisova zusammen mit Sashko Shevchenko aus der Ukraine einen Artikel zum Projekt Nord Stream 2 in Bezug auf die Umweltschäden und die geopolitische Hebelwirkung, die es hätte haben können. „Eine der Herausforderungen bei der gemeinsamen Arbeit an dem Artikel war, dass wir uns in verschiedenen Ländern befanden und daher nur online kommunizieren konnten,“ erinnert sich Idrisova. 

Bevor Ksenia Idrisova nach Deutschland kam, um einen Master in Cognitive Science an der Technischen Hochschule Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern zu absolvieren, arbeitete sie als Journalistin für die BBC in Moskau, wo sie 2013 als Rezeptionsassistentin begann. Während ihrer Zeit dort sammelte sie wertvolle Erfahrungen im Schreiben von Nachrichtenartikeln zu einer Vielzahl von Themen, darunter Desinformation in den Medien, Einschränkungen der Internetfreiheit und Menschenrechte.

Das Thema Umwelt behandelten auch Carolina Buimestru und Anna Vasina in ihrem Artikel „Yesterday’s practices to help tomorrow’s environment.“ Sie diskutieren über die Sortiertechnik – Altpapier, Metall, Glas, Hausmüll –, die in den 1960er Jahren in der Stadt B˛l]i in der Republik Moldau eingeführt wurde. Anhand von Erklärungen der Umweltaktivistin Iulia Curchi aus B˛l]i wurde vorgestellt, wie die alte Methode der Kompostierung in der heutigen Zeit auch in Wohnungen umgesetzt werden kann. 

„Wir haben in den letzten zwei Jahren gesehen, wie wichtig es ist, sich regional zu vernetzen und für eine bessere Berichterstattung zusammenzuarbeiten. Wir wollen das Netzwerk von Journalistinnen und Journalisten, das sich während des Projekts gebildet hat, nicht nur aufrechterhalten, sondern wei-terhin ausbauen und konstruktive Dialoge eröffnen, die zu einer künftigen regionalen Aussöhnung beitragen“, meint Natalia Andronachi.