Kulturhauptstadt 2020: „Temeswar hat nicht nur Chancen, sondern auch noch genügend Zeit“

ADZ-Gespräch mit den Architekten Eugen Pănescu und Rudolf Gräf über das Stadtentwicklungskonzept für Temeswar

Der nächste Schritt in der Erarbeitung des Temeswarer Stadtentwicklungskonzepts ist, die Prioritäten für die nächsten zehn Jahre festzulegen. „Das Projekt, das wir machen, ist nicht die einzige Rettung der Stadt“, behauptet der Klausenburger Architekt Eugen Pănescu (E.P.), der bei dem Projekt mitgearbeitet hat. Architekten aus Temeswar, Klausenburg und Bukarest haben ihr Know-how zusammengetan und einen Plan für die städtebauliche Entwicklung der Stadt erarbeitet. Dieser bildet den Rahmen für künftige Entwicklungen. Die Stadt selbst sollte aber auch Dokumente herausgeben, die gezielte Aspekte vorantreiben, meinen die Architekten. Über dieses Thema sprach die ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu mit Eugen Pănescu und dem Temeswarer Architekten Rudolf Gräf (R.G.), die zum Team, das das Stadtentwicklungskonzept entwickelt hat, gehören.

Sie haben vor Kurzem das Stadtentwicklungskonzept beim Treffen des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs vorgestellt. Was sieht dieses – zusammengefasst – vor?

R.G.: Es sieht vor allem einen sehr effizienten Umgang mit Landressourcen vor. Prinzipiell beruht es auf einem auf europäischer Ebene schon lange angenommenen und gepflegten Gedanken, dass Stadtentwicklung nicht unbedingt Vernichtung von Land- und Naturressourcen bedeuten muss und dass brachliegende Flächen im innerstädtischen Gebiet verstärkt in die zukünftige Entwicklung einbezogen werden müssen, um auch die Stadt in einer kompakten Weise energieeffizient und wirtschaftlich effizient zu gestalten. 

Welchen Vorteil bietet einem Investor das Kennen dieses Plans?

E.P. Wir sind sicher, dass jeder Investor, der in Temeswar schon investiert oder investieren möchte, einen großen Vorteil hat, wenn er die Planungsunterlagen der Stadt kennt. Das ist ein Muss. Wir haben für Investoren ein Paket von Angeboten zusammengestellt, für verschiedene Branchen der Investition – Wohnungsbau, Produktion, Dienstleistungen, Sportanlagen, Erholung, usw. In dieses Paket haben wir die Soziallage und die besten Vorteile von Temeswar integriert.

Welche sind die Prioritäten bei der Umsetzung des Stadtentwicklungskonzepts?

E.P.: Dieses Konzept ist sehr langfristig, es gilt für 20 oder 30 Jahre. Es enthält aber auch Prioritäten, die man sofort umsetzen könnte. Wir werden diese Prioritäten demnächst für den Flächennutzungsplan vorschlagen und mit dieser Prioritätenliste kann die Stadtverwaltung einen Investitionsplan aufstellen. Die Prioritäten beziehen sich auf Verkehr, Mobilität, öffentliche Verkehrsmittel, aber auch auf die Verbesserung der innerstädtischen Lage von Brachflächen, die Verbesserung der Innenstadt insgesamt und die historischen Stadtviertel.

Sehen Sie in der neuen Stadtleitung eine Chance, diesen Plan umzusetzen?

R.G.: Das sahen wir auch in der alten Stadtleitung genau so. Die Stadt ist unser Auftraggeber und Partner in dieser Sache und sie muss natürlich diesen Plan später auch umsetzen.

E.P.: Wir haben angefangen, unseren Plan anhand aller Dokumente, die die Stadt hatte, zu erarbeiten, um eine Kontinuität zu schaffen. Wir haben auf einer professionellen Ebene alle Vertreter angehört – aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, aber auch die Bevölkerung, und so einen technischen Plan aufgestellt. Wir haben sehr eng mit der alten Stadtverwaltung zusammengearbeitet und werden auch mit der neuen zusammenarbeiten und versuchen, unser professionelles Fachwissen so zu erläutern, dass es auch akzeptiert wird.

Was braucht Temeswar, um für ausländische Touristen attraktiver zu sein?

R.G.: Zum einen ein durchgehendes und gutes Stadtbild. Durchgehend, gut und qualitativ gestaltete öffentliche Räume und natürlich der Erhalt der historischen Bausubstanz, die Temeswar ja immer noch ausreichend hat, sind sozusagen die Hauptpfeiler einer zukünftigen touristischen Entwicklung. Darüber gehören auch gute Anbindungen, eine gute Infrastruktur, Gastronomie, Hotels usw. auch dazu.

E.P.: Was Temeswar zu bieten hat, ist ein qualitatives städtisches Leben. Jeder Tourist, der einen Zwischenstopp auf seiner Reise durch Rumänien machen möchte, kann dieses hier genießen, sei es für einige Tage oder sogar nur für einen Tag. Das hat Temeswar auch berühmt gemacht in Rumänien, aber auch im Ausland. Temeswar ist eine grüne Stadt, eine gepflegte Stadt mit historischer Bausubstanz und offenen Leuten. Für spezialisierte Touristen kann Temeswar durch ihren Universitätsbereich einen wissenschaftlichen und Geschäftstourismus anbieten. Für Touristen sollte Temeswar aber auch eine Verbindung zur Region herstellen, bis zur Donau oder beispielsweise bis ins Gebirge. Temeswar kann ein Ausgangspunkt für all diese Reiseziele sein.

Wir haben gerade von Temeswars Stärken gesprochen. Was wären denn die Schwachpunkte der Stadt?

E.P.: Es gibt vielleicht sogar mehr Schwächen als Stärken. Ich bin gebürtiger Klausenburger und finde, dass das Prestige der Stadt stark gesunken ist. Die Stadt war in der ersten Dekade nach der Wende sehr berühmt und das muss wieder so werden. Andere Schwächen gehören zu der Qualität des Lebens in der Stadt und den Stadtquartieren. Die Stadt benötigt gepflegtere öffentliche Räume und Grünräume sowie ein gutes Netz von Straßen und Fahrradwegen, die sich gerade in einem Verbesserungsprozess befinden. Eine andere Schwäche wäre der Zustand der historischen Altstadt.

R.G.: Ich glaube, was definitiv zurzeit eine Schwäche, aber zugleich auch eine riesige Chance ist, das sind unzählige Brachflächen in einer relativ kompakten Lage angrenzend an die Innenstadt. Das ist für das Stadtbild schlecht verträglich, es ist für die Bürger eigentlich ein großes Manko und das müsste in Zukunft definitiv geändert werden.

Welche Lösungen haben Sie dafür?

R.G.: Theoretisch gibt es viele Lösungen. Tatsache ist, dass diese Grundstücke alle Privateigentümer haben und dass die Stadt diese Eigentümer animieren muss, so schnell wie möglich diese Grundstücke in einen normalen wirtschaftlichen Kreislauf zu bringen und dort die notwendigen Investitionen zu tätigen. Dazu gibt es Modelle, die angewandt werden müssten.

Sowohl Temeswar, als auch Klausenburg werden sich für den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2020“ bewerben. Wie stehen die Chancen dieser Städte?

E.P.: Sowohl Temeswar, als auch Klausenburg haben gute Chancen. Wir haben gemeinsam Maribor besucht, das gerade Kulturhauptstadt ist, und wir finden, wenn sich Maribor so eine Chance verdient hat, dann können sich unsere beiden Städte genauso gut um diesen Titel bewerben. Es ist zurzeit ein bisschen unklar, welchen Rahmen Rumänien für seine Kandidaten haben wird. Bis jetzt haben sich Temeswar und Klausenburg als Spitzenkandidaten etabliert, es gibt allerdings mehrere Möglichkeiten und wir werden bestimmt nicht die einzigen Konkurrenten sein.

R.G.: Temeswar hat nicht nur Chancen, sondern auch noch genügend Zeit, um die notwendigen Projekte umzusetzen.