Kulturhauptstadt Temeswar 2023: Urbane Verbindungen, Krieg, Landschaften, Revolution

Spaziergang durch vier Fotoausstellungen in Temeswar

Eine der Fotografien von Mircea Dragu, die in der Rotonda-Galerie des Kulturhauses Temeswar bewundert werden kann. Die Bilder vermitteln Botschaften, die der Betrachter entziffern soll. Foto: Mircea Dragu

Die Ausstellung „Rumänien – strahlende Gesichter und Landschaften“ kann bis Ende April am Sitz des Photographica-Vereins besichtigt werden. Foto: Panfil Pîrvulescu

Im Zentralpark war bis letzte Woche die Fotoausstellung zum Krieg in der Ukraine zu sehen. Unbekannte zerstörten jedoch die Plakate, die neu gemacht werden müssen. Foto: Virgil Simonescu

Wer zu Fuß Richtung Iulius Mall spaziert, der geht an der Fotoausstellung des Revolutionsfotografen Constantin Duma vorbei. Die meisten Menschen bleiben stehen und schauen sich die Bilder an. Foto: Raluca Nelepcu

„privește cerul“ (Schau zum Himmel empor) steht auf dem Werbeplakatplatz geschrieben, rundherum allerlei Kritzeleien, die man nur teilweise entziffern kann. Doch keiner schaut zum Himmel hoch – es wäre auch unmöglich in einer U-Bahn-Haltestelle. Zwei Verliebte küssen sich auf der Bank vor dem Plakat, ein junger Mann, der neben dem Paar sitzt, tastet, in Gedanken versunken, auf seinem Smartphone herum. Ein Bild, das vieles vermittelt, wenn man ganz genau hinschaut und sich Gedanken darüber macht. Genauso wie die weiteren 28 Fotografien von Mircea Dragu, die bis zum 23. März in der Rotonda-Galerie des Kulturhauses Temeswar/Timișoara betrachtet werden können.

Es ist die zweite persönliche Fotoausstellung von Psychotherapeut Mircea Dragu, die den Besucher zum Nachdenken über die „städtischen Verbindungen“ (Conexiuni urbane), wie sich die Expo betitelt, einlädt. Die Fotografien wurden von Mircea Dragu in den vergangenen drei Jahren geschossen und spiegeln Augenblicke aus Temeswar, Wien, Bologna und anderen Städten wieder, die der Fotograf besucht hat. Auf allen Fotos können die Betrachter unterschiedliche Botschaften wahrnehmen – die Stadt ist nicht mehr eine einfache Kulisse, sondern sie kommuniziert subtil oder gar kryptisch diverse Ideen und Gedanken. Die Auswahl der Bilder traf die aus Lugosch/Lugoj stammende Fotokünstlerin Oana Stoian.

„Zwei Aspekte sind mir wichtig. Zum einen ist es die Beibehaltung eines sogenannten ´Zen-Geistes´ im Alltag:  Ich versuche, einen frischen, neugierigen Geist zu pflegen. Andererseits sollen die Menschen Mut haben, ihre eigene Geschichte zu erzählen“, sagt der Fotograf. Mircea Dragu ist von Beruf Psychologe und seit Jahren im Kulturleben der Stadt Temeswar aktiv. Von Bedeutung sei auch der Ort, an dem die Fotoausstellung zu sehen ist. „Es ist ein Veranstaltungsort, der jahrelang vernachlässigt wurde. Die Stadt braucht mehr solcher Orte“, betont er. 

Nicht weit vom Kulturhaus entfernt, im Zentralpark „Anton Scudier“, konnte bis vorige Woche noch die Fotoausstellung, die anlässlich der Gedenkveranstaltung zu einem Jahr seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine organisiert wurde, besichtigt werden. Der Verein LOGS-Grup de Inițiative Sociale markierte den Augenblick am 24. Februar 2023 in Temeswar. #24 betitelt sich auch die Fotoausstellung, die auf 24 Fotografien den Horror nach dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine zu vermitteln versuchte.

Mircea Barbu, Journalist aus Bukarest, und Virgil Simonescu, Fotoreporter aus Temeswar, waren voriges Jahr, wenige Monate nach dem Kriegsausbruch, in das Nachbarland Rumäniens gereist. Was sie dort erlebt hatten, das konnten die Betrachter der Fotoausstellung sehen. Da ist die Brigade 101, die sogenannten „Jungs aus Ujhorod“, Freiwillige, die in der ersten Frontlinie kämpfen, zerstörte Häuser in Charkiw und Umgebung, alte Menschen, die ihre Häuser nicht verlassen haben, die Krankenschwester, die sich um die Verletzten kümmert, u.v.m. Viel Schmerz, aber auch viel Stärke und Entschlossenheit vermitteln die Bilder von Mircea Barbu und Virgil Simonescu/Inquam Photos. Ein unerwartetes Ereignis sorgte bei den an der Entstehung der Ausstellung Beteiligten für einen bitteren Geschmack: Bevor die Plakate im Zentralpark abmontiert werden sollten, fielen sie Vandalen zum Opfer. Unbekannte Täter besprühten und zerstörten alle Bilder – die Polizei ermittelt in diesem Fall. Die Ausstellung soll neu gemacht werden und in der kommenden Zeit auch noch in anderen Städten, wie etwa Bukarest oder Klausenburg/Cluj-Napoca gezeigt werden.

Der Spaziergang führt weiter Richtung Innenstadt, wo in der Gheorghe-Lazăr-Straße Nr. 3, am Sitz des Vereins „Photographica“, die Ausstellung „România – Chipuri și meleaguri luminoase“ (Rumänien – strahlende Gesichter und Landschaften)  zu sehen ist. Der Ausstellungsraum befindet sich gegenüber dem Nikolaus-Lenau-Lyzeum. Auf den 33 Fotografien, die an den Wänden hängen, sind Landschaften und Menschen aus Rumänien abgebildet. Die Bilder wurden von 14 Fotografen geschossen, die bei den vom 2019 gegründeten Photographica-Verein veranstalteten Fototouren durch Rumänien mitgemacht haben. Annika Șandor, Dana Cristea, Ionuț Tanciu, Cătălin Lazăr, Panfil Pîrvulescu, Andreea Olteanu, Cristian Boarteș, Adrian Paul, Mihai Jeic, Emil Schöner, Alin Cazacu, Valentin Havasi, Radu Simionoff und Gabriela Gunter haben in ihren Fotoarchiven gestöbert und die gelungensten Fotos für die Ausstellung ausgesucht. Die letzte Wahl trafen die Veranstalter vom Photographica-Verein. Geschossen wurden die Bilder im Marmarosch-Gebiet und in der Bukowina, im Siebenbürgischen Westgebirge/Munții Apuseni, in Siebenbürgen und im Banater Bergland. Unter anderem können Besucher der Ausstellung atemberaubende Naturlandschaften bewundern, aber auch Porträts von Menschen, die in diesen Gegenden zu Hause sind. Die Besucher der Fotoausstellung können die Fotos sogar kaufen. Der Photographica-Verein plant zwischen Mai und Juli eine weitere, ganz besondere Ausstellung am Sitz des Vereins. „Darin sollen Menschen, die den UNESCO-Titel ´lebendiger menschlicher Schatz´ tragen, zu sehen sein. Die paar Masken, die im Ausstellungsraum hängen, geben den Besuchern einen ersten Hinweis darauf“, verrät Dana Cristea vom Photographica-Verein.

Wer zu Fuß aus der Innenstadt in Richtung Iulius Mall geht, der stößt auf zwei mit Fotografien bestickte Metallzäune. Es ist die Fotoausstellung des Temeswarer Fotoreporters Constantin Duma, die der Verein der Fußballanhänger „Druckeria“ auf die Beine gestellt hat. Die Fotos sind den Temeswarern bekannt, schließlich zeigen sie Augenblicke der rumänischen Revolution 1989 in Temeswar. Constantin Duma war 38 Jahre alt und als Fotograf beim Temescher Kreisschulamt tätig, als die Revolution in Temeswar ausbrach. Zunächst fotografierte er Gruppen, auf denen die einzelnen Menschen nicht zu erkennen waren – er wollte seine Subjekte schützen. Doch im Laufe der Tage, als sich das Geschehen steigerte, fasste auch der Fotoreporter mehr Mut. Die Fotografien stellte Constantin Duma später kostenlos der Gedenkstätte der Revolution zur Verfügung. Sie sind Zeugen einer kurzen, aber geschichtlich sehr wichtigen Zeitspanne in Rumänien. Für Touristen in Temeswar, aber auch für die Jüngsten unter den Stadtbewohnern, ist die Ausstellung des Revolutionsfotografen ein Muss. Sie kann bis zum 31. März besichtigt werden.