Kulturpolitische Wunde am Schwarzen Meer

Noch stehen die Mauern der Großen Synagoge von Konstanza

Außenansicht im August 2019. Fassade großer Geschichte oder Attrappe wohlgenährter Gedächtniskultur Rumäniens? Foto: Klaus Philippi

Wenn nicht schnellstmöglich bautechnische Sicherungsmaßnahmen erfolgen, werden auch Fotografen bald nicht mehr für die Synagoge der Altstadt von Konstanza werben können. Foto: Dejan Petrovic

Zwei Jahre sind seit Veröffentlichung des Bildbandes „Temple și Sinagogi din România“ im Hasefer Verlag vergangen. Mitte April 2018 gaben sich die Föderation der Jüdischen Gemeinschaften Rumäniens (FCER) und das nationale Jüdische Zentrum für Verlagsarbeit und Publizistik, das auch die Monatszeitschrift „Realitatea Evreiască“ führt, im Coral Tempel Bukarest die Ehre der Vorstellung eines hundert Seiten starken Fotobuches, das 31 Gotteshäuser in hochauflösender Qualität präsentiert. ´Hasefer´ ist das hebräische Wort für ´Buch´ und nicht auf der Umschlagseite zu finden. Ersatzweise schmückt ´Federația Comunităților Evreiești din România – Cultul Mozaic´ unauffällig die Hallendecke des Coral Tempels auf dem Cover der Ausgabe. Den ersten Blick ziehen die groß und fett gedruckten Buchstaben ´ROMÂNIA´ auf sich. Ihnen gegenüber hat „Patrimoniu Evreiesc, Național și Universal“ das Nachsehen.

Die Wiedergutmachung des Buchdeckels geschieht durch innen abgedruckte Fotos von George Dumitriu. Die Werberoute durch das jüdische Kulturerbe Rumäniens kennt keine Spuren von Regionalstolz und führt an Synagogen von Arad bis Jassy/Iași und von Großwardein/Oradea bis Tulcea. Aber es gibt auch Städtenamen, die trotz ihrer für Rumänien repräsentativen Bedeutung nicht in diesem Fotobuch vertreten sind. Gebetstempel in desolatem Zustand taugen nicht als Vorzeigeorte jüdischen, nationalen und universalen Kulturerbes. Konstanza/Constan]a am Schwarzen Meer ist trauriges Beispiel dafür.

Eigentlich birgt die Dobrudscha/Dobrogea kulturellen Reichtum, dessen Wurzeln bis in die Antike reichen und ein Bild voller Nuancen ergänzen, das Siebenbürgen und dem Banat nicht nachsteht. Im geografischen Zentrum und Westen Rumäniens meint man oft und gerne, vor der eigenen Haustüre täglich auf die bereits größte aller möglichen Schnittmengen von Okzident und Orient zu treffen. Doch in der Dobrudscha finden noch mehr Gegensätzlichkeiten zueinander. Ihre Farbspektren überbieten die Spannweite heimischer Binnenunterschiede Siebenbürgens und des Banats. Nach Lesen des Artikels „Im Kaleidoskop der Geschichte: Konstanza“ von Nina May (ADZ von Freitag, dem 1. November 2019) dürfte man anerkennen, dass um die größte Kreishaupt der Dobrudscha mehr Nachbarschaftlichkeit von Abend- und Morgenland als bei Temeswar und Klausenburg/Cluj Napoca möglich ist.

Leider scheint die Wirklichkeit Tugenden der Vergangenheit über Bord geworfen zu haben. Das Rathaus Konstanza wurde knapp fünfzehn Jahre hindurch von Radu Mazăre geführt. Von Juni 2000 bis Mai 2015 hat der strafverfolgte und mittlerweile in Haft sitzende Politiker der Sozialdemokratischen Partei (PSD) das Heft der Hafenstadt in der Hand gehalten. Dass ihm das gelingen konnte, wirft ungünstiges Licht auf die Wählerschaft. Mugur Grosu kritisiert die schädliche Großwetterlage harsch im Artikel „Înaltpreascufundatul garaj al Tomisului“ („Dilema Veche“ Nr. 837, 5.-11. März 2020).

Auf der C. A. Rosetti-Straße Nummer 2, Ecke Petru-Rareș-Straße, stehen heute drei von ehemals vier Außenmauern der um das Jahr 1914 eingeweihten Großen Ashkenazy-Synagoge. Ihre Vorgängerin am selben Ort war 1867-1872 erbaut worden, nachdem Sultan Abdul Azis gnädig die dafür erforderliche Erlaubnis erteilt hatte. Als Vorbild für die 1910 vom Rathaus genehmigte Errichtung der Großen Ashkenazy-Synagoge diente der Israelitische Tempel im Spanischen Ritus auf der Mircea-cel-Bătrân-Straße Nummer 18. Ismail Qemali Bej Vlora, prägende Persönlichkeit bei Ausrufung der Unabhängigkeit Albaniens im November 1912, hatte Konstanza das Grundstück für den Tempel geschenkt. Eine Kultstätte im gotisch-katalanischen Stil und als ´Sephardischer Tempel´ bekannt, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges infolge der Zionistischen Bewegung zunehmend verfiel und 1989 unter Ceaușescu abgerissen wurde. Die Grundsteinlegung des Sephardischen Tempels war am 28. Mai 1903 in Anwesenheit von König Karl I., Königin Elisabeth, Prinz Ferdinand, Prinz-Gemahlin Maria, Thronrat Dimitrie Sturza, Bürgermeister Christea Georgescu und Kreispräfekt Scarlat Vârnav erfolgt. Aktuell stehen auf demselben Gelände ein Parkplatz und ein Hotel. Nichtkenntnis von Geschichte fördert kulturelle Gleichgültigkeit.

Nicoleta Doina Teodorescu und Corina Lucescu haben in der ersten Halbjahreszeitschrift 2012 der Fakultät für Architektur an der Spiru-Haret-Universität Bukarest (USH) den Artikel „The Architectural Heritage of the Jews in Constanța“ veröffentlicht (www.anale-arhitectura.spiruharet.ro/index4_6.hmtl). Dass die bislang letzte Publikation der genannten Fakultät 2016 erstellt wurde, trifft mit dem in das Kreuzfeuer der Kritik geratenen Image der USH überein. Trotzdem sind die 33 Seiten des Artikels der Architektinnen Teodorescu und Lucescu ein Ergebnis integrer Forschungsarbeit.

Etwa fünfzig Mitglieder zählt derzeit die Jüdische Gemeinschaft Konstanza. Teodorescu und Lucescu vermerken, dass die Große Ashkenazy-Synagoge auf der C. A. Rosetti-Straße noch 1995 für Gebetshandlungen genutzt werden konnte – ein Farbfoto der Jugendgruppe vor dem Aron Kodesh 1996 erzählt von erfülltem Zusammensein. Aber auch ohne Synagoge gibt sich die Jüdische Ortsgemeinschaft auf der Sarmisegetusa-Straße Nummer 3 nicht geschlagen. 1342 Abonnenten verfolgen den Facebook-Account ´Comunitatea Evreilor din Constanța´. Seit Mitte August 2014 ist Sorin Lucian Ionescu Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft Konstanza.

Die Schäden am Mauerwerk und dem 2013 komplett eingestürzten Dach der Großen Ashkenazy-Synagoge nahmen zur Amtszeit von Sorin Lucian Ionescus Vorgänger ihren Lauf. Florin Anghel und Cristian Andrei Leonte verfassten den Artikel „Carol Friedmann: ´Constanța a ajuns singurul oraș care nu are o Sinagogă´“, der am 27. Oktober 2014 auf dem Medienportal www.info-sud-est.ro veröffentlicht wurde und unterstreicht, dass Ionescu und Friedmann politisch unterschiedliche Sichtweisen vertreten, aber gleichermaßen an der Kommunikation mit örtlichen und regionalen Autoritäten gescheitert sind. Konstanza hat es nicht leicht, den Ballast von 15 Jahren Misswirtschaft unter Radu Maz˛re zu beseitigen.
 
Bei Nicoleta Doina Teodorescu und Corina Lucescu wird angeführt, dass die Große Ashkenazy-Synagoge 2008 außer Betrieb genommen wurde. Die Jüdische Ortsgemeinde unternahm keine Schritte zur Bewachung der Kultstätte. Hundemeuten erschwerten die Besichtigung. Auch fiel die Synagoge zusehends zivilem Rohstoff-Diebstahl zum Opfer. 2009/2010 entwarf Architekt Robert Tauwinkl (Bukarest) im Auftrag der FCER und eines Projektteams einen Bauplan zwecks Restauration, für den der Bauvorbescheid ausgestellt wurde. Finanzmangel vereitelte die Umsetzung. „Der Innenraum der Synagoge hatte einen Balkon mit zwei Treppenaufgängen. Nein, im Projekt waren keine weitreichenden Umgestaltungen vorgesehen.“, versichert Architekt Robert Tauwinkl, Bruder des Autoren Wilhelm Tauwinkl, Übersetzer der Bücher von Historiker Oliver Jens Schmitt zu Themen rumänischer Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Große Ashkenazy-Synagoge Konstanza zählt noch immer nicht als Baudenkmal. Dennoch haben Sorin Lucian Ionescu und die Jüdische Ortsgemeinschaft im Oktober 2018 die Überschreibung ihrer Kultstätte in die Verwaltungsaufsicht der Nationalen Gesellschaft für Investitionen (Compania Națională de Investiții, CNI) erwirkt. Der aktuelle Vorsitzende setzt alle Hoffnung auf den Spielzug, da die CNI auch das einsturzgefährdete Art-Nouveau-Casino in der Meeresbrandung am Königin-Elisabeth-Boulevard verwaltet. Anders als die Synagoge genießt das Casino Baudenkmal-Status. Zwecks seiner Restaurierung wurde am 20. Dezember 2019 ein 56 Millionen Lei teurer Vertrag unterzeichnet.

Sollte das Casino in einwandfreien Zustand zurückfinden, wäre auch die Rettung der Großen Ashkenazy-Synagoge möglich. Aber die Zeit drängt.

„Ich weiß nicht, wie sie noch einen Winter überstehen wird“, gab Sorin Lucian Ionescu der Lokalzeitung „Cuget Liber“ Mitte November 2019 zur Antwort. Wiederholte Versuche, Fördermittel der Staatskasse oder gar aus EU-Fonds zu beantragen, blieben über die Jahre erfolglos. Da die geschmähte PSD fast durchgängig die Regierung Rumäniens stellte, war nur noch sinkendes Interesse an Kulturerbe festzustellen. Läutet der am 10. Oktober 2019 durch Parlamentswahl beschlossene Sturz des Regierungskabinetts D˛ncil˛ tatsächlich einen kulturpolitischen Paradigmenwechsel ein? Für die Große Ashkenazy-Synagoge Konstanza schimmert in höchster Not am Horizont ein Hoffnungszeichen. Am 19. Dezember 2019 hat die CNI das Rennen um die Vergabe des Auftrages zur Durchführung für Notsicherungsarbeiten an den einsturzgefährdeten Mauern der Synagoge eröffnet. Die Frist der Ausschreibung endet am 31. Dezember 2020. Vollständige Informationen hierzu bietet erstaunlicherweise die slowakische Beratungsagentur Tender Service (www.tender.sk). Dagegen vermeldet die CNI auf ihrer Homepage lediglich, dass für Analyse und Dokumentation öffentliche 7,7 Millionen Lei budgetiert werden.

Zu den Synagogen Rumäniens, die im 2018 veröffentlichten Bildband des Hasefer Verlages nicht abgebildet sind, zählt auch der Standort Diemrich/Deva, Kreis Hunedoara. Kurz vor Abschluss der Restaurierung wurde die Synagoge Deva am 31. März 2019 eingeweiht (die ADZ berichtete). Ohne Staatshaushaltsmittel hätte das Fest nicht gefeiert werden können, wofür FCER-Vorsitzender Aurel Vainer seinen Dank aussprach. Die Große Ashkenazy-Synagoge Konstanza befindet sich in derart schlechtem Zustand, dass für ihre Rettung die Vereinigung mehrerer Kräfte notwendig ist.