„Lehrer, die Deutsch können und unterrichten wollen, sind Helden“

ADZ-Gespräch mit der Leiterin der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule, Helene Wolf

Nach langem Kopfzerbrechen und vielen Diskussionen mit verschiedenen Beteiligten konnten alle für den Schulbeginn an der deutschen Lenau-Schule erforderlichen Maßnahmen festgelegt werden. Schulleiterin Helene Wolf erklärte sie den Medienvertretern.

Die Maske darf in dem Schulgebäude nicht abgenommen werden – auch die kleinsten Schüler, jene der Vorschulklassen, müssen sich dieser Regelung fügen. In dem Gebäude der „großen Schule“ erfreuen sich die Vorschulklassen sowie die achten und zwölften Klassen eines Präsenzunterrichts.

In dem ehemaligen Mincu-Lyzeum, wo nun Lenau-Schüler unterrichtet werden, gibt es auch nachmittags Unterricht. Fotos: Zoltán Pázmány

Stundenlange Diskussionen mit den Lehrerkollegen, Brainstorming mit den Eltern, Kontrollen vom Gesundheitsamt und die Pflicht, ein ganzes Schulgebäude zu räumen: Das ging dem neuen Schuljahr 2020/21 an der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar/Timișoara voraus. Das neue Schuljahr beginnt mitten in der Corona-Krise und bedeutet für Schüler, Eltern und Unterricht viele neue Regeln, denen sich alle fügen müssen. Wie Temeswars bedeutendste deutsche Schule das Corona-Schuljahr 2020/21 organisiert, erfahren Sie aus einem Gespräch, das ADZ-Mitarbeiterin Raluca Nelepcu mit Schulleiterin Helene Wolf geführt hat.

Das neue Schuljahr hat unter ganz besonderen Bedingungen begonnen. Es ist eine Herausforderung für Schüler, Eltern und Lehrer zugleich. Welche sind die diesjährigen Richtlinien?

Dieses Schuljahr, dieses Jahr, ist eine Herausforderung für uns alle. Wir haben die Möglichkeiten ermittelt und sind zur Schlussfolgerung gekommen, dass unsere Schule unbedingt im zweiten Szenario, im sogenannten „gelben Szenario“ ins neue Schuljahr starten muss. Wir hatten das Gesundheitsamt zu Besuch und mussten infolge der Kontrolle die „kleine Schule“ am Domplatz verlassen. Die Räumlichkeiten im Schulinternat sind keineswegs dem Unterricht entsprechend, also wird der Unterricht in der sogenannten „großen Schule“ und in dem ehemaligen Mincu-Lyzeum in der Gh. Lazăr-Straße Nr. 20 stattfinden. Leider sind die dortigen Ateliers nicht in Klassenräumlichkeiten umgewandelt worden – wir können also nur das vordere Gebäude benutzen. Das ist ein Nachteil, sofern die Klassen V – VII unter diesen Umständen nachmittags in die Schule kommen müssen. Aber auch diese Räumlichkeiten, obzwar dieses Gebäude als Schule gebaut wurde, sind nicht ausreichend groß. Somit müssen wir die Klassen IX – XI und V – VII nur zur Hälfte in die Schule bringen und die andere Hälfte verfolgt den Unterricht online, von zu Hause. Die Richtlinien vom Gesundheitsamt waren sehr klar – so wenig Schüler wie möglich zu versammeln, bei einer reduzierten Unterrichtszeit. Eben wegen dieser begrenzten Schulzeit, die wir zusammen verbringen können, werden auch sämtliche Fächer zum Teil oder ganz online unterrichtet. Wir hegen die Hoffnung, in derselben Gruppenschaft auch das nächste Schuljahr zu beginnen, und dass wir alle gesund bleiben. 

Könnten Sie bitte ins Detail gehen? Wie wird der Unterricht verlaufen?

Es ist uns klar, dass weder während des Unterrichts noch in den Pausen die Maske vom Gesicht genommen wird. D.  h., während der Schulzeit wird nicht gegessen, nicht getrunken, es sei denn, wir sind im Hof, in einer Pause. Das Programm „Milch und Kipfel“ geht weiter, aber unter diesen Umständen wird jede Esspause im Freien organisiert. Solange die Schüler im Gebäude sind, muss die Maske anbehalten werden, sowohl von Schülern, als auch von Lehrern. Es ist vorgesehen, dass jeder Schüler alleine in einer Bank sitzt – das haben wir in der ganzen Schule so organisiert. Ich weiß, es gibt da verschiedene Eltern, die meinen, das sei Unsinn, und die sich dem nicht fügen wollen, aber für eine solche Person wird nicht die ganze Lehrerschaft oder Schülerschaft in Gefahr gebracht. Diejenigen, die die Vorschriften nicht einhalten wollen, können online unterrichtet werden und zu Hause bleiben.

Inwiefern ist man auf den Online-Unterricht vorbereitet?

Im Verwaltungsrat wurde beschlossen, dass wir eine gemeinsame Online-Plattform für alle Klassen benutzen, „De 10“. Es ist eine Plattform, die auch in deutscher Sprache funktioniert und die bereit ist, sich weiterhin benutzerfreundlich zu entwickeln. Das geschieht bei größeren Plattformen, die weltweit verwendet werden, nicht so schnell. Es wurden bereits Schulungen durchgeführt und weitere werden stattfinden. Unsere Kollegen, die sich sehr gut in diesem Bereich auskennen, wurden gebeten, auch andere Kollegen zu unterstützen, die jetzt erste Schritte in diese Richtung gehen. All dieser Online-Unterricht benötigt aber auch eine gewisse Technologie. Bei der Verbesserung unserer technologischen Ausstattung machen wir nun erste Schritte. Ein normales Internet-Abo reicht nicht. Wenn aus jeder Klasse online auch live weitergeleitet wird, braucht man selbstverständlich ein viel breiteres Internetband. Ideal wäre, wenn in jeder Klasse auch eine Dokumentenkamera für jeden zur Verfügung stünde, und eine Ausstattung, die auch die entsprechende Auflösung hat. Da sind wir erst am Anfang, die Klassenräume sind bloß mit All-In-One-Computern ausgestattet, aber wir hoffen, dass wir so schnell wie möglich die gewünschte Ausstattung in den Klassen bekommen werden.

Wie stehen die Eltern zu dieser Art von Unterricht? Gibt es auch Schüler, die aus Familien kommen, die sich die nötige Technologie nicht leisten können?

Solche Schüler gibt es auch. Bei der Umfrage, die wir hatten, haben wir sie zwar nicht gefunden, aber diese Umfragen gehen weiter, denn während der Ferien wurden nicht alle Schüler erreicht, damit wir vollständige Informationen bekommen. Treffen mit Eltern und Lehrern verschiedener Klassen haben wir auch organisiert, um festzustellen, wie ein jeder die Situation, die auf uns zukommt, sieht. Diese Treffen waren sehr konstruktiv und haben uns weitergeholfen, Entscheidungen zu treffen. Aber die Zeit, die wir erleben, ist eine Zeit, in der wir in erster Linie auf unsere Gesundheit achten müssen. Ich beziehe mich nicht nur auf Lehrer, sondern auch auf die Schüler, Eltern, Großeltern, usw. Es sind Zeiten, die wir uns nicht im Traum hätten ausmalen können, aber sie sind nun einmal da und wir müssen diese Zeiten überstehen – wenn´s geht, gesund. Wir sind eine Schule mit Unterricht in deutscher Sprache. Lehrer, die Deutsch können und unterrichten wollen, sind Helden – die findet man nicht auf  der  Straße und auf die muss man besonders gut aufpassen. Wer Deutsch kann, der kann woanders jederzeit vielmehr verdienen.

Trotz COVID-19 ist das neue Schuljahr da. Wie viele Schüler starten in das neue Schuljahr? 

Wir haben weiterhin über 1600 Schüler an unserer Schule. In der neunten Klasse gibt es vier Klassen: Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften mit Deutschem Sprachdiplom und rumänischem Abitur, und Mathematik-Informatik und Sozialwissenschaften als Deutsche Spezialabteilung mit doppeltem Abschluss (Allgemeine Deutsche Hochschulreife und rumänisches Abitur). Im Lyzeum haben wir insgesamt 14 Klassen. Im Gymnasium, Klassen V – VIII, haben wir je sechs fünfte, sechste und siebte Klassen sowie drei achte Klassen. Die Tatsache, dass wir wenige achte Klassen haben, ist nicht nur typisch für die Lenau-Schule, sondern eigentlich im ganzen Land so. Diese Schüler haben 2011 ihre Schulzeit mit der Vorbereitungsklasse als allererste in diesem Land begonnen. Das war ein Jahr, in dem die Eltern dieser Innovation nicht unbedingt vertraut haben, sodass viele ihre Kinder in die erste Klasse eingeschrieben oder eben noch ein Jahr gewartet haben. Es sind also 21 Gymnasialklassen. Die achten Klassen kommen vormittags vollständig, genauso wie die zwölften Klassen. Die Grundschulklassen kommen ebenfalls vormittags und vollständig. Die Zeit, in der wir sehr viel im Online-Unterricht verbracht haben, hat uns vielleicht den Eindruck verliehen, dass die Schüler alles verstehen, mitmachen und alles wunderbar ist, aber das Feedback sieht ein bisschen anders aus. Besonders bei den Grundschulklassen ist es sehr wichtig, dass ein Präsenzunterricht stattfindet, der ein viel schnelleres Feedback für den Lehrer erlaubt, sodass dieser zügiger eingreifen und eventuelle Lücken beheben kann. In der Grundschule ist die letzte große Welle in der vierten Klasse, d. h. wir haben sieben vierte Klassen. Dann geht es wieder sachte weiter mit fünf Vorbereitungsklassen bzw. erste Klassen, sechs zweite Klassen und fünf dritte Klassen, d. h. insgesamt 28 Klassen in der Grundschule. 

Was erhoffen Sie sich für das neue Schuljahr 2020/2021?

Gesundheit. Dass wir in dieser Konstellation auch das Jahr 2021 antreten. Ich wünsche mir so wenig wie möglich ein „rotes Szenario“, aber das hängt von uns allen ab und davon, wie ernst wir die Situation nehmen bzw. die Regeln einhalten. 

An der Fassade der „großen Schule“ wird derzeit gearbeitet. Wann wird diese fertig?

Ich weiß es nicht, denn vorläufig ist es nur eine Seite der Fassade, an der man schnell arbeitet. Außerdem  ist noch keine Farbe da, es müssen noch die Ornamente vorbereitet und angebracht werden. Wir hoffen, dass das nächste Schuljahr in einem zugelassenen Gebäude stattfindet, d. h. dass sowohl die Bauarbeiten fertig sind, als auch alle Zulassungen da sind.

Der „Spiegel“ schrieb schon vom „Ende des Schulunterrichts“. Wie stehen Sie persönlich dazu?

Der Schulunterricht, wie wir ihn kennen, ist schon etwas industriell. Er bietet nicht die Zeit und auch nicht die Möglichkeit, auf die Persönlichkeiten und individuellen Bedürfnisse der Schüler einzugehen. Ich glaube nicht, dass der Online-Unterricht, den wir jetzt ausprobieren, alleine gute Ergebnisse liefern wird. Ich kann im Online-Unterricht keinen Einfluss darauf nehmen, wenn mein Schüler, anstatt meinen Unterricht zu verfolgen, die ganze Zeit Internetspiele spielt. Das ist eine Herausforderung, die die Unterstützung der Eltern  braucht. Die Kontrolle des Lehrers wird also sehr klein sein. Andererseits ist aber ein Online-Unterricht sehr reich an Möglichkeiten und diese Vielfalt der Möglichkeiten ist eigentlich etwas sehr Gutes, das man auf keinen Fall vernachlässigen soll.