„Lernen muss Spaß machen. Ohne Spaß und Spiel suchen wir uns alle andere Beschäftigungen aus“

Einen kurzen Einblick in den virtuellen Schulalltag einer vierten Klasse gewährt Lehrerin Astrid Gavriliu aus Temeswar

Der Lehrerinnenblick ist mild und streng zugleich, das Selfie-Machen hat Astrid Gavriliu mit dem Online-Unterricht auch geübt. Fotos: privat

Nach dem Pädagogischen Lyzeum in Karansebesch hat sie da drei Jahre als Grundschullehrerin gearbeitet. Anfang der 90er Jahre machte sie ihr Germanistikstudium in Temeswar und war anschließend einige Jahre lang Deutschlehrerin (Deutsch als Fremd- bzw. Muttersprache) in Hauptschulen, bevor sie 2001 ihre Berufung als Grundschullehrerin in der deutschen Abteilung der Nikolaus-Lenau-Schule wahrnahm. Astrid Gavriliu zeichnet sich durch zahlreiche außerschulische Aktivitäten und Projekte aus, wie Hörbuchproduktionen, Konzertreisen, die Aufführung des selbst komponierten Musicals „Der Wolf und die sieben Geißlein“ in Kindergärten und Theaterfestivals, oder Unterricht im Kunstmuseum oder im Park. Das Sommersemester 2019/2020 mit dem Notstand, der Ausgangssperre und dem nur schwierig anlaufenden Online-Unterricht erwischte sie als Lehrerin von Drittklässlern. Das war natürlich ein Vorteil, weil sie die Schüler schon gut kannte und Reaktionen auch auf dem Bildschirm leichter einordnen konnte. Leicht war und ist es aber trotzdem nicht, 25 Schüler zu motivieren, sich an dem Online-Unterricht zu beteiligen, erzählt sie im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Astrid Weisz.

Astrid Gavriliu, welche Instrumente benutzen Sie im Online-Unterricht und wie läuft er ab?

Wir arbeiten auf der D10-Plattform. Darin befindet sich der Stundenplan, die Lektionen werden gepostet, wir haben Audio- und Videomaterial, das von mir wie auch von den Schülern hochgeladen und abgerufen werden kann. Sie laden dort auch ihre gelösten Aufgaben in Form von Fotos oder Textdateien hoch. Unser Schultag beginnt schon um 7:30 Uhr, dann werden die ersten Morgengrüße über WhatsApp ausgetauscht. Zwei Kinder haben Dienst: Sie schreiben für uns alle in der Gruppe auf, welche die Uhrzeiten für Sonnenaufgang und -untergang sind und wie das Wetter an dem Tag wird. Außerdem übernehmen diese Kinder im Zoom die Host-Funktion, also sind Gastgeber des Treffens, bekommen von mir Spiele, die sie an Spätaufsteher weiterleiten und sie geben mir Bescheid, wer fehlt. Am Morgen wird also erst mal bis 8:30 Uhr gespielt. Dann beginnt der Unterrichtstag: Deutsch, Mathe und Rumänisch sind die ersten drei Stunden, und je nach Tag noch Erdkunde, Geschichte, Naturkunde, Kunst oder Musik. Die Unterrichtsstunde dauert 40 Minuten, 10 Minuten die Pause. Gibt es an einem Tag noch Englisch oder Religion, beginnt der Unterricht schon um 8 Uhr. Ich bekomme aber auch am Nachmittag oder zwischendurch Fragen von einzelnen Schülern, die ich noch beantworte.

Was klappt im Online-Unterricht besonders gut, bzw. was macht den Schülern besonders Spaß, seitdem sie eben online unterrichtet werden?

Für die Kinder ist es natürlich vorteilhaft, dass sie jetzt mit Devices und mit Apps arbeiten, die sie immer schon geliebt haben. Beliebte Online-Instrumente, die wir jetzt verwenden, sind Wordwall und Liveworksheets. Das sind weltbekannte Programme für Schulmaterial. Wordwall besteht aus einer ziemlich großen Auswahl von Quizze, Kreuzworträtsel, Glücksrad über Galgen–Männchen usw., die man sich von anderen nehmen kann oder selbst zu einem gewünschten Thema aufbaut. Liveworksheets funktioniert mit Lückentexten, die ausgefüllt werden müssen. Das Programm der Seite kann dann gleichzeitig anzeigen, wo die Fehler liegen und Schüler bzw. Lehrer können diese Dateien am Ende auch aufheben.

Kann man mittels dieser Spiele und Apps am Telefon oder am Laptop zum Beispiel Mathematik oder Geografie erlernen?

Vielleicht ist die Antwort Ja und Nein, denn Mathe ist für viele eine komplexe Geheimsprache. Wenn sie nicht geübt wird und nicht gesprochen wird, und wenn Termini und Zahlen, die laut und deutlich ausgesprochen werden müssen, nicht wiederholt werden, dann geht das mathematische Denken verloren. Man kann aber Wettbewerbe machen, genauso wie im Präsenzunterricht. Man kann sich manches auch eigenständig erarbeiten, auch viel dazulernen. Aber in Erdkunde? Da würde ich sagen, dass es ohne Ausflüge und ohne Beobachtung der Umwelt nicht geht, wie es ohne Karte ja auch nicht funktioniert. Natürlich kann man sich viele Bilder anschauen und Karten angucken und analysieren, aber ohne praktische Übungen geht das Lernen in diesem Fach nicht. Schlimm ist, finde ich auch, dass wir online nicht mehr gemeinsam singen oder Musik machen können.

Wo sehen Sie denn die Vorteile für sich bzw. für die Schüler im Online-Unterricht?

Wir haben im Frühjahr schon Diktate auf WhatsApp geschrieben und da konnte ich die Fehler gleich sehen und die Schüler darauf aufmerksam machen. Auch gibt es die Möglichkeit, den Fokus mehr auf den Lernprozess als auf den Bewertungsprozess zu stellen. Ich finde auch gut, dass man sich mitten im Unterricht auch mal einen Tee kochen kann und dass man nicht von der Klingel abhängig arbeiten muss. Für die Kinder ist es vorteilhaft, dass sie neue Medien und Methoden ausprobieren können. Es gibt nämlich außer Spiele auch digitale Lehrbücher, die vieles anbieten, nicht nur Text, sondern allerlei Experimente, Filme und interaktive Übungen. Lernen muss halt Spaß machen. Ohne Spaß und Spiel suchen wir uns alle andere Beschäftigungen aus.

Wie schwer oder leicht ist Ihnen denn die Umstellung auf diesen Online Unterricht gefallen und welche Unterrichtsform verlangt Ihnen mehr Arbeit und Zeit ab: Online- oder Präsenzunterricht?

Für mich persönlich war es nicht so schwierig, denn ich habe schon vor der Pandemie Handys und Computer in den Unterricht integriert. Man muss jetzt nicht glauben, dass man im Präsenzunterricht in die Klasse kommt, etwas erzählt und dann abfragt. So einfach ist es nicht. Aber als die Schulen im März geschlossen wurden, waren wir dann am nächsten Tag gleich in der WhatsApp-Gruppe und haben Fotos, Nachrichten, Tafelbilder, alles zugeschickt. Das war sehr anstrengend, bis spät in die Nacht alles zu verbessern und Hefte zu korrigieren. Denn natürlich hat jedes einzelne Kind gewartet, dass es Feedback von mir bekommt. Eine andere, sehr heikle Sache war, zu erlernen, wie diese D10-Plattform funktioniert und welches die Regeln sind, die man beim Hochlanden und Abrufen von Dateien einhalten muss. Aber bis Mai haben wir uns schon ausgekannt. Was diese Vorbereitungen für die Online-Schule anbelangt, muss ich sagen, habe ich schon zehn Stunden für eine Wochenplanung am Laptop gesessen. Es war harte Arbeit. Aber im Laufe der Zeit wird das einfacher, da man sich dann immer mehr danach richten muss, was die Kinder weniger verstehen und öfter wiederholt werden muss. Und wenn man auch diese Spieleplattformen erlernt, dann ist es wirklich angenehm.

Sie unterrichten Viertklässler, und deren Leistungen müssen auch benotet werden. Wie gestalten Sie die Evaluation im Onlineunterricht?

Um diese Auswertung online mit einem normalen Test auf Papier im Präsenzunterricht vergleichen zu können, muss man zuerst wissen, das in einem Test die Kompetenzen geprüft werden, z.B. wer mit Überschreitungen der Ordnung rechnen kann oder wer zum nächsten Hunderter richtig abrunden kann, wer wirklich weiß, welche Wörter mit einem Dehnungs-h und welche mit CH geschrieben werden usw. Und dafür werden Punkte erteilt und zusammengezählt.

Online könnte man das genau so machen, denn Werkzeug hat man ja dafür. Aber man kann es auch so darbieten, dass ein Schüler, der eine Kontrollarbeit schreibt, nicht alleingelassen wird mit dem, was er nicht kann und nicht richtig verstanden hat. Ich benutze für Evaluation sehr gern Live-wordsheets: Diese Seite erlaubt eine Wiederholung der Arbeit, natürlich in einem gewissen Zeitabschnitt. Und dann kann man diese Arbeit öfters wiederholen, bis man eine bessere Note kriegt und draufkommt, was nicht aufgeht und was falsch war. Auch Wordwall hat so eine Ergebnisseite für jedes einzelne Spiel. Da kann der Lehrer feststellen, welche die Fragen oder Aspekte sind, in welchem vielleicht der Unterricht arm gestaltet war. Vielleicht hat man etwas nicht gut erklärt oder man hat unzureichend mit den Kindern geübt. Man erfährt dann auch, wie oft ein Kind diesen Test oder das Spiel wiederholt hat, wie intensiv es sich ein gutes Ergebnis erwünscht hat oder an dem Tag keine Lust hatte. Und das finde ich viel besser als in der Schule. Bewerten geht auch über Zoom für das Vorlesen oder für die Gruppenarbeit auf einer gemeinsamen Tafel – manchmal entstehen Tafelbilder online, die besser sind als in der Schule. Da habe ich auch schon Noten erteilt. Ich glaube, die Spezialisten in der Evaluation sind sich selbst noch nicht im Klaren, ob online die Noten so wichtig sind wie früher und nicht eher die Mitarbeit und die Selbstverbesserung.

Welche Nachteile mussten Sie bei dieser virtuellen Schule in den letzten Monaten erleben bzw. feststellen?Außer dem Aufwand für immer wieder neue Gestaltung durch Spiel und interaktives Üben und trotz der herrlichen Freiheit, Netzseiten und Möglichkeiten zu entdecken, die auf einmal relevant geworden sind und von denen wir gar nichts wussten, muss ich zugeben, dass einem die Beine und der Rücken irgendwann beim Online-Lernen schrecklich weh tun werden, wenn man in den Alltag kein regelmäßiges Turnen einbaut. Aber eine andere, sehr schlimme Sache ist, wenn man seinen Kollegen und Schülern nicht begegnen kann oder ihnen nicht regelmäßig zusehen kann, wie sie frei spielen und mit den anderen Kontakt aufnehmen, wen sie ansprechen, wie und warum sie das tun, welches ihre natürlichen Vorlieben sind und ihre Freunde. Da gehen wichtige Beobachtungen eines Lehrers verloren. Deshalb versuche ich ja, sie auch im Zoom  öfter alleine zu lassen. Und dann komme ich irgendwann rein und höre zu, was sie reden, damit sie diese wichtigen Erlebnisse nicht verpassen.

Haben die Leistungen Ihrer Schüler während des Online-Unterrichts eher zu oder abgenommen?

Mit dem Lernen ist es nicht besser und nicht schlechter geworden. Kinder, die im Präsenzunterricht gut waren, die schaffen es online genauso gut, aber die digitalen Kompetenzen sind bestimmt ein Gewinn dieser Wandlung, genau wie die Anpassung an die Situation, die Fähigkeit, Neues zu akzeptieren. Unsere Schüler haben aber auch alle die nötigen technischen Voraussetzungen, um an diesem Unterricht teilhaben zu können.

Wie stellen Sie sich die Schule nach Corona vor?

Also zurück zur normalen Schule, so, wie sie 2019 stattgefunden hat, würde ich nicht mehr wollen. Es ist alles in einem großen Wandel und in einer stürmischen Wende, genau wie vor 30 Jahren. Wenn ich jetzt nachdenke, kann ich es gar nicht nachvollziehen, ob wir uns dem jetzigen Lehrplan wirklich fügen werden können oder nicht, obwohl wir uns echt bemühen. Denn was macht das für einen Sinn, wie besessen durch den Stoff zu jagen, ohne zu wissen, was da hängenbleibt? Ob nicht vielleicht die Art und Weise, wie man zuhört, einfach zuhört und darauf reagiert, also der Gedankenaufbau und die Versprachlichung neue Ansätze des Lernens sein werden. Ein Tripp-Klassenzimmer stelle ich mir noch am besten vor: Theorie online und dann für die Praxisübungen und Experimente zwei, drei Face-To-Face-Treffen wöchentlich, ob in Schule, im Park, im Museum oder in einer Fabrik, denn Schule ist eigentlich überall möglich, überall gibt es etwas zu lernen und zu entdecken.