„Leute aus dem Westen“ besuchten gezielt „einen anderen Teil des Westens, Rumänien“

Historiker und Diplomaten als Protagonisten eines Festvortrags in Hermannstadt

Dr. Florian Kührer-Wielach, Emil Hurezeanu, Dr. Emil Brix und Dr. Kurt Scharr (v.l.n.r.) im Hermannstädter Spiegelsaal. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“ Obwohl dieser Kernsatz eine Binsenweisheit ausspricht, dürften zumindest ein paar wenige, wenn nicht gar viele Zuhörer im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt/Sibiu (DFDH) Ende September, zum vielleicht allerersten Mal in ihrem Leben überhaupt, davon erfahren haben, dass die Abfolge zehn simpler Wörter den Essay-Klassiker „Masse und Macht“ (1980) von Elias Canetti (1905-1994) eröffnet. Dr. Emil Brix (Jahrgang 1956), Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, wählte für den Festvortrag „Raum im Dialog“ der Tagung „Zwischen Bollwerk und Brücke? Der habsburgische Südosten Europas. Kultur-Raum-Konzepte seit dem 18. Jahrhundert“ der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südost-europa e.V. (KGKDS, Tübingen) nicht ohne Grund den Einstieg in genau jenes obig zitierte Standardwerk der Weltliteratur, um „Von Imperien zu Nationalstaaten. Und zurück? Grenznarrative in Südosteuropa“ das Nachdenken in schlüssige Bahnen zu lenken. „Raumkonzeptionen sind nutzbare Bausteine“, formulierte der Wiener Gast, nachdem er angesprochen hatte, dass „Viktor Orbán sehr viel mit Raumkonzeptionen zu tun hat“ und man sich vor dem, was Ungarns Ministerpräsident tue, „fürchten“ müsse.

„Gibt es noch einen Raum für Dialog zwischen Russland und der Ukraine? Ich sehe ihn nicht“, sagte Dr. Emil Brix am Vorabend der Bekanntgabe des international nicht anerkannten Annektierens vier neuer Zonen durch den Kreml. Putin sei in der breiten Bevölkerung der Russischen Föderation der Erfolg hingegen sicher, weil unter ihm „die Trias von Kleinrussisch, Weißrussisch und Großrussisch“ dominiere. „Ich wünsche mir, dass der Westen sich genau überlegt, wie er in den nächsten Wochen reagiert.“ Und „ich möchte vor der Beschwichtigung warnen“, referierte Österreichs Ex-Botschafter in Moskau, der Sergej Lawrow persönlich kennengelernt hat, ihm aber aktuell weder „in die Augen schauen“ noch „Verhandlungen mit ihm führen“ könnte.

Die Moderation des Festvortrags in Hermannstadt teilten sich Dr. Kurt Scharr, Professor an der Universität Innsbruck – er bekannte, „das erste Mal im Spiegelsaal“ zu sein – und Dr. Florian Kührer-Wielach, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nicht nur Dr. Emil Brix, sondern auch Emil Hurezeanu hatten sie dafür „zurück nach Hause zu holen“ vermocht, wie Dr. Scharr den Botschafter Rumäniens in Wien willkommen hieß. Hurezeanu, der „Österreich und Rumänien, zwischen Wahlverwandtschaften und wohlwollender Gleichgültigkeit“ beurteilte und die pointierten Stellungnahmen von Dr. Brix fein ergänzte, entschied sich für das Paraphrasieren eines Zitats von Kurt Tucholsky (1890-1935), der zeitlebens „dem Volk“ nachsagte, es verstünde „das meiste falsch“, fühle aber „das meiste richtig“: „Die Menge weiß nichts, aber sie versteht alles.“ Für Botschafter Emil Hurezeanu stand September 2022 fest, dass zum einen „ein möglich neuer Weltkrieg nicht vor Weihnachten“, doch andererseits „jeder Krieg“ früher oder später „endet.“ Auch an die Zeit nach dem Krieg müsse gedacht werden. „Aber wie lange dauert der Frieden?“, fügte Dr. Emil Brix bei. Ein Vorgänger im Direktorat der Diplomatischen Akademie Wien habe einmal gesagt, in der Außenpolitik gebe es „keine Punkte, sondern nur Doppelpunkte.“

„Sagen zu können, dass es für uns gutgegangen ist, soweit sind wir noch nicht“, gab im Hermannstädter Spiegelsaal Dr. Emil Brix klar zu Protokoll. „Als Diplomat lohnt es sich immer, zu sagen, wie die Lage ist.“ Denn „wir haben zu wenig Leute, die öffentlich und ehrlich sind.“ Und „wird die Zeit nach dem Krieg eine Zeit ohne Putin sein? Da bin ich mir nicht so sicher! Nie mehr wieder mit Putin reden müssen, das gibt es nicht mehr. Das wissen bestimmt auch Scholz und Macron.“