Lob der niederschwelligen Kulturangebote

Impressionen aus der Langen Nacht der Galerien in Bukarest

Street Art findet sich in Bukarest an fast jeder Straßenecke – was hier offenbar wörtlich genommen wurde. Wer einmal begonnen hat hinzusehen, entdeckt sie überall. Fotos: Miriam Pfeiffer

Ein Mural, das Farbe in und auf die Beton-Landschaft bringt. Orte und Inspiration für Kunstschaffende gibt es in Großstädten genug.

So vielfältig wie aktuell – Zeichnungen des Künstlers Dan Perjovschi füllen im Goethe-Institut die gesamte Wand.

Wer Bukarest bei Nacht mit dem Fahrrad erkundet, wenn der Verkehr fast zum Erliegen gekommen ist und die Menschen langsamer gehen, kann die Stadt auf einmal neu wahrnehmen und entdeckt so  vielleicht das ein oder andere Detail, das im Alltag unbemerkt bleibt: Die Villen in Seitenstraßen, die von altem Glanz zeugen; die vorsichtigen, aber bestimmten Versuche der Natur, sich auch im Beton ihren Platz zurückzuerobern; oder Gruppen von Jugendlichen, die auch abends noch in den Parks Sport treiben.

Gesellschaftliches Leben benötigt die Teilhabe und Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger. Je mehr Angebote von möglichst vielen Menschen angenommen und angeboten werden, desto bunter wird die Stadt. Das bezieht sich auf Sportgeräte in Parks, Engagement in Vereinen, auf Kulinarisches oder auch gegenseitige Rücksichtnahme.

So offensichtlich das in vielen Bereichen schon sein mag, so sehr scheinen andere Bereiche nur bestimmten Personengruppen vorbehalten zu sein. Wie gut, dass es Veranstaltungen gibt, die genau damit aufräumen – wie etwa die Lange Nacht der Galerien! Sie lädt jedes Jahr alle, die wollen, ein, bis tief in die Nacht Kunstausstellungen und -räume zu besuchen. Dass die Türen der Galerien dieses Jahr wegen der Pandemie nicht nur eine, sondern drei Nächte geöffnet waren, ist auch aus weiteren Gründen als dem epidemiologischen begrüßenswert. Gesellschaftliche Teilhabe im kulturellen Bereich ist nämlich bei Weitem keine Selbstverständlichkeit. Nicht nur finanzielle Gründe erschweren den Zugang, sondern auch soziale. Kunst ist eine eigene Sprache, die jeder und jede lernen kann – dies setzt aber voraus, die Zeit und Energie zu haben, sich regelmäßig damit zu beschäftigen, und die Begeisterungsfähigkeit dafür geht Hand in Hand mit guter Vermittlung. Der Zugang zu Kultur hängt aber, wie Bildung generell, auch heute noch beschämend stark vom Elternhaus ab.

Sich einfach an einem Ort in der Stadt mit Freundinnen und Freunden zu treffen und gemeinsam mit dem Fahrrad oder zu Fuß durch die Straßen zu ziehen, in jedes Gebäude hineinzuschnuppern, in dem Licht brennt, und mit Ausstellenden und Kunstschaffenden ins Gespräch zu kommen, senkt enorm die Hemmschwelle, eine Galerie zu betreten. Und nicht nur für diejenigen, bei denen eine Vernissage nicht unbedingt auf dem Wochenplan steht, können von solchen Veranstaltungen profitieren. So mancher Geheimtipp, manch kleines Atelier oder alternativer Raum für Kunstschaffende lässt sich beim Vorbeifahren auch mal übersehen – bei der Langen Nacht der Galerien kann man sich einfach vom Licht und den Menschenansammlungen leiten lassen.

Das kann dazu ermuntern, die eigene soziale Blase zu verlassen und sich auf neue Formen der Kunst, andere gesellschaftliche Kreise und unbekannte Orte einzulassen. Waren Sie beispielsweise schon einmal im Museum der zerbrochenen Beziehungen oder haben eine hochaktuelle Cartoon-Ausstellung gesehen, wie sie vom Künstler Dan Perjovschi unter dem Titel „Fidelio bist du!“ im Goethe-Institut zu sehen war?

Ein ganz besonderer Begegnungsort gelang in Bukarest im Haus der NGO „Funky Citizens“, die ihre Räumlichkeiten für ein Wochenende der Street Art zur Verfügung stellte. Weil auf Fotos Wandgemälde, Murals und Graffiti nicht einmal ansatzweise so beeindruckend sind wie in Wirklichkeit, hatten sich die Veranstaltenden ein anderes Konzept als die klassische Ausstellung überlegt: Die Besucherinnen und Besucher sollten mit den Künstlerinnen und und Kuratoren ins Gespräch kommen. Und im Dialog wurde schnell klar: Kunst kann mehr als nur „ästhetisch aussehen“! Sie baut Brücken und verbindet Menschen, schafft Freiräume sowie Ausdrucksformen und lebt von Vielschichtigkeit. Von Kulturangeboten für alle profitiert die gesamte Gesellschaft.