Machtkampf, Korruption, Aushebelung der Justiz

Momentaufnahmen in Rumänien vor dessen Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft

In symbolischer Weise hat Staatspräsident Klaus Johannis die Präsidentschaft des Rats der Europäischen Union vom Bundeskanzler Österreichs, Sebastian Kurz, der Ende vergangener Woche in Bukarest weilte, übernommen.
Foto: Präsidialamt

Die Migration, der Brexit, der Handelskonflikt mit den USA: Es sind überaus wichtige Themen, die die Mitgliedsländer der Europäischen Union auch im kommenden Jahr beschäftigen werden. Das beginnt in wenigen Tagen – und dann, nämlich pünktlich zum 1. Januar 2019, wechselt auch der EU-Ratsvorsitz. Von Österreich geht die EU-Ratspräsidentschaft turnusgemäß auf Rumänien über. Rumänien? Das ist doch genau das Land, das in den vergangenen Jahren immer mal wieder durch spektakuläre Korruptionsfälle aufgefallen ist – und in jüngerer Zeit durch Massenproteste gegen eine höchst umstrittene Justizreform, die unter anderem die Unabhängigkeit von Staatsanwälten und Richtern beschneidet. Viele stellen sich daher, nicht nur außerhalb des Karpatenlandes, sondern auch in Rumänien selbst die Frage: Kann Rumänien in dieser Situation den EU-Ratsvorsitz überhaupt schultern? Wir haben uns vor Ort ein wenig umgehört. Am einfachsten läuft das dieser Tage auf dem Weihnachtsmarkt in Temeswar/Timișoara, der Stadt, wo 1989 der Umsturz in Rumänien begann.

Es riecht angenehm nach „Vin fiert“, nach Glühwein – auch nach „Porumb fiert….“, nach gekochten Maiskolben: Der Weihnachtsmarkt in Temeswar, auf dem großen Platz zwischen Oper und orthodoxer Kathedrale, ist noch bis weit in den Januar hinein geöffnet. Cornel, einer der Händler, zeigt auf ein Kopfkissen an seinem Stand, das durch grelle Farben auffällt – und durch die aufgestickte Zahl „100“: „Das sind die Farben der rumänischen Nationalfahne. Blau, Gelb, Rot. 100 Jahre...100 Jahre, seitdem es Rumänien in seiner heutigen Form gibt.“

Tatsächlich wurde das moderne Rumänien am 1. Dezember 1918 gegründet. Und nun, 100 Jahre und ein paar Tage weiter, übernimmt das Land erstmals in seiner Geschichte die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union: „Die Übernahme der europäischen Ratspräsidentschaft bedeutet für Rumänien eine große Chance. Es ist für uns eine große Ehre.“ Dann jedoch hält Cornel für einen Moment inne, bevor er fortfährt: „Ein großes Problem ist nur, dass wir eigentlich keine Leute haben, die diese Aufgabe wahrnehmen könnten. Ich persönlich bin enttäuscht, wie fast alle Rumänen... Na, sagen wir mal: 90 Prozent aller Rumäninnen und Rumänen sind enttäuscht über die ‚politische Klasse‘ in unserem Land. Die arbeiten nur für ihre eigene Tasche, nicht zum Wohl des Volkes.“

Ein paar Stände weiter nippt Bogdan, Anfang 60, an seinem Zuika, dem rumänischen Pflaumenschnaps  – er wird noch ein wenig deutlicher: „Rumänien ist ein Land, das im Moment einer kriminellen Bande in die Hände gefallen ist. Das ist die krude Wirklichkeit.“ Enttäuschung, Frust, ja sogar Wut über die, wie es heißt, „politische Klasse“ des Landes erfährt man auf dem Weihnachtsmarkt von Temeswar so kurz vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft – das hat zu tun mit einer rumänischen Abart des ‚Kampfs der Giganten‘, mit dem Dauerkonflikt gleich zweier Präsidenten. Der eine ist Staatspräsident: Klaus W. Johannis, Jahrgang 1959, Rumäniendeutscher, – und er spricht von einem „…schweren Unfall für die Demokratie Rumäniens, nämlich die Regierung Dragnea-Dăncilă. Es gibt keine Perspektive für eine gute Regierungsführung – und für die Anwendung der Grundsätze der Europäischen Union. Das ist sehr schlimm.“

Der andere ist... Parteipräsident und Präsident des rumänischen Abgeordnetenhauses: Liviu Dragnea, Jahrgang 1962, Chef der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD): „Was wir hier sehen, ist kein Staatspräsident, sondern ein Fake-Präsident, ein falscher Präsident, der einem Parallelstaat vorsteht.“ Will heißen: Der Staatspräsident und der Parteipräsident sind sich in größtmöglicher Abneigung zugetan.

Hinzu kommt, dass der Parteipräsident seinerseits nie Staatspräsident werden kann, weil er 2015 wegen Wahlfälschung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde – und im Spätsommer dieses Jahres zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs; dieses Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Und so wirkt denn PSD-Parteipräsident Dragnea, immer noch in Freiheit, als Strippenzieher der rumänischen Regierungspolitik. Seine PSD hat mit der „Allianz der Liberalen und Demokraten“, kurz ALDE, eine Koalitionsregierung gebildet, die vom Verband der in Rumänien lebenden Ungarn unterstützt wird. Und diese Allianz unternimmt derzeit alles, um dem PSD-Parteipräsidenten Dragnea den drohenden Knast zu ersparen.
„Die Regierenden möchten eine Eilverordnung zur Amnestie bringen, natürlich um den Parteivorsitzenden, beziehungsweise anderen Politikern aus ihren Reihen, eine reine Weste zu verschaffen. Das ist unerhört. Also das heißt: Der Parteichef entscheidet. Die Premierministerin macht eine Eilverordnung. Und der Parteivorsitzende wird damit reingewaschen“, erregt sich der rumänische Parlamentsabgeordnete Ovidiu Ganț über den jüngsten Regierungsplan.

Ganț vertritt das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien im rumänischen Parlament – und zeigt sich besorgt über Schritte zum Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien: „Die Tatsache, dass der parteinahe Justizminister die Staatsanwälte ernennt, entlässt, kontrolliert, Druck machen kann. Jetzt werden der Generalstaatsanwalt attackiert und die Präsidentin des Obersten Gerichts unter Druck gestellt.“

Hinzu kommt die Entlassung der obersten Anti-Korruptionsstaatsanwältin Laura C. Kövesi, auf Druck der Regierungspartei. All dies hat auch die so genannte „Venedig-Kommission“ der EU mit allerlei Bedenken auf den Plan gerufen – Bedenken, die bei der Regierung in Bukarest einfach auf taube Ohren stießen. Die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft Rumäniens könnte die Aufmerksamkeit europäischer Institutionen mehr als bisher auf solche Vorgänge lenken, hofft der Abgeordnete Ovidiu Victor Gan]: „Diese Leute sind ja angesiedelt auch in den europäischen Parteien, zum Beispiel bei den europäischen Sozialdemokraten. Ich frage mich wirklich: Wie will deren Spitzenkandidat Timmermanns, Vizepräsident der EU-Kommission, zuständig für Justiz- und Rechtsstaatlichkeit, aber auch Bundesjustizministerin Barley, als Spitzenkandidatin in Deutschland, mit solchen ‚Genossen‘, sag ich jetzt mal, Arm in Arm in den Europawahlkampf gehen? Müsste man sich hier nicht deutlicher positionieren, dass solche Sachen in unserem gemeinsamen Europa nicht akzeptabel sind?“

Vor diesem Hintergrund werde es spannend, ob Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft mit allen damit verbunden Aufgaben stemmen wird: „Ich kann nur hoffen, dass Rumänien es schafft und dass sich die Regierung nicht blamiert.“

Die gibt sich alle Mühe, eine Blamage abzuwenden – was nicht einfach ist, weil der für die Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft vorgesehene Europaminister im November das Handtuch geworfen hat und der Amtsnachfolger nun im Schweinsgalopp die anstehenden Aufgaben stemmen muss. Allerdings: Regierungschefin Viorica Vasilica Dăncilă hat die wichtigsten Themen zur Chefsache erklärt: Vom Brexit über die EU-Agrarpolitik bis hin zu gemeinsamen Positionen zur Migration zählt die Regierungschefin die Themen auf, die während der EU-Ratspräsidentschaft Rumäniens anstehen, und zu deren Lösung man einiges beitragen wolle. Neben ihr sitzt – ein seltenes Bild – der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis – eben jener Staatspräsident, der in den vergangenen Monaten die Regierung so häufig kritisiert hat. Nur: Wenn es um Europa geht, müsse man das Kriegsbeil begraben – zumindest vorübergehend: „Da klaffen ja, und das ist hinreichend bekannt, riesige Meinungsunterschiede zwischen uns. Aber: Wenn es um die derzeit wichtigste nationale Frage geht, nämlich um die Frage der EU-Ratspräsidentschaft, können wir es uns nicht erlauben, nicht miteinander zusammenzuarbeiten.“