„Man kann den deutschen Einfluss noch heute in Rumänien sehen“

Gespräch mit dem Unternehmensgründer Michael Lieb (I)

Michael Lieb. Foto: Privat

Michael Lieb und das Unternehmen AutoNet, zwei Erfolgsgeschichten, ein Glücksfall für die Region Sathmar und ganz Rumänien. Lieb ist das Paradebeispiel eines Sathmarer Schwaben. Stolz, fleißig, bescheiden und dennoch visionär, hat er zusammen mit seinem Partner in gut 20 Jahren aus einem kleinen Sathmarer Unternehmen den rumänischen Marktführer AutoNet aufgebaut, der mittlerweile auch in ganz Europa renommiert ist. Mit Michael Lieb sprach ifa-Kulturmanager Arthur Glaser.

Das Unternehmen AutoNet wurde 1996 hier in Sathmar gegründet. Wie kam es dazu?

Im August 1991 habe ich mein Universitätsdiplom erhalten und so wie viele Schwaben, wollte ich anschließend nach Deutschland. Ich habe damals auch mein Visum bekommen und wollte dort leben. Ich hatte das Glück, in der Nähe von Schwäbisch Gmünd auch Arbeit zu finden, bei einer Firma, welche Glasverkleidungen für Balkone und Terrassen herstellte. Dort habe ich zunächst fünf Wochen gearbeitet. Bis September, Oktober des Jahres konnte ich als Student dort beschäftigt sein, da ich noch über einen Studentenausweis verfügte. Nach dieser Zeit ergab sich die Möglichkeit, aufgrund meines Diploms auch weiterhin dort angestellt zu bleiben, vorausgesetzt meine Papiere würden stimmen.

Ich habe dann im September bei der zuständigen Behörde für Aussiedlerfragen meine Akten und den Nachweis, dass ich Deutscher bin, eingereicht. Daraufhin wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht mehr einfach so auswählen könne, wo ich mich aufhalte. Stattdessen sollte ich für etwa sechs Monate in ein sogenanntes Aufnahmelager nach Ostdeutschland und dort warten, bis alle Anträge bearbeitet sind. Anschließend war ich in Heilbronn in einem Zwischenlager untergebracht. Dort habe ich mich nicht wohl gefühlt und habe mich entschieden, zurück nach Hause zu fahren. Nach dieser Entscheidung habe ich meinen jüngsten Bruder kontaktiert, um ihm meine Rückkehr mitzuteilen. Er hat mir dann aufgrund seines initiativ geprägten Charakters vorgeschlagen, ein Auto in Deutschland für ca. 200 DM zu kaufen. Ehrlicherweise hatte ich nie wirklich Anzeigen für Gebrauchtwagen studiert. Daraufhin habe ich die Annoncen durchforstet und mein Bruder hatte recht. Es gab vernünftige Gebrauchtwagen für 200 bis 300 DM. Wichtig war es mir, anhand dieser Inserate billige Autos zu finden, vom Modell Golf I / II beispielsweise. Ich wollte dann eigentlich doch kein Auto kaufen. Dies führte aber dazu, dass mein Bruder dann auch nach Schwäbisch Gmünd zu mir kam. Er kam genau wie ich auch, per Mitfahrgelegenheit. Dann haben wir doch zwei Autos gekauft. Zwei Fahrzeuge des Typs Golf I, ein grünes und ein rotes, dass werde ich niemals vergessen. Auf dem Rückweg nach Hause (Rumänien) haben wir Sperrmüll gefunden, Fernseher und noch sonstiges mitgenommen.

Der Weg nach Sathmar war beschwerlich über Ungarn, eine Windschutzscheibe ist unterwegs kaputt gegangen. Es hatte auch viel geregnet. Aber das Entscheidende war, dass wir die beiden Autos, welche wir für 200 bis 300 DM gekauft hatten, noch am gleichen Wochenende rasch für 1600 bis 1700 DM weiterverkaufen konnten.
Danach musste ich schnell nach Klausenburg, da meine Frau damals noch im letzten Jahr Studentin dort war. Ich hatte aber mit meinem Bruder vereinbart, dass mein Geld bei ihm bleibt und er wieder nach Deutschland fährt und weitere Autos kauft. Bis Dezember 1991 haben wir so schon mehr als zehn Autos gekauft und hier wieder verkauft. Das bedeutet, dass wir von den fast 2000 DM bis dann über 10.000 DM verdient hatten.

Wie es eben damals so war, hatten die gebrauchten Autos auch immer Mängel, sodass sie auch Reparaturen benötigten. Wir mussten dann stets auf die Werkstätten warten. Manchmal haben wir selbst mitgeholfen bei den Reparaturarbeiten, um die Autos schneller fertig zu bekommen für die Wochenenden. Im März / April 1992 haben wir uns dann entschieden, selbst eine Firma zu gründen, um eben eine Werkstatt zu eröffnen. So habe ich im Mai 1992 meine erste Firma gegründet, die auch heute noch unter dem Namen Helbert existiert. Im Dezember des gleichen Jahres haben wir, meine beiden Brüder und ich sowie zwei weitere Kollegen, in unserer eigenen Werkstatt gearbeitet. Damals hatten wir neben mehreren Unfallautos auch einen Mercedes 207er Bus mit Anhänger, mit dem wir weiter Unfallwagen aus Deutschland, aber auch Personen transportierten. So hatten wir auch immer Arbeit in der Werkstatt.

Ab 1992 sind wir regelmäßig jeden Dienstag ab 2 Uhr morgens von Sathmar Richtung Stuttgart bis Mannheim gefahren und immer freitags um 2 Uhr morgens zurück. Und so kam es auch dazu, dass wir neben unseren Unfallautos auch Ersatzteile mitgebracht haben. Mit der Zeit gab es eine zunehmende Nachfrage im Bereich Autoersatzteile in der Stadt, aber auch in der Gegend, die sogar die Nachfrage an gebrauchten Autos überstieg. Mit den Autos hatte man immer Probleme in der Nachfrage, wegen der Farbe oder wegen der Frage, ob es ein Benziner oder Diesel war. Aber mit den Ersatzteilen lief es immer gut. Wir hatten dann auch schon unsere Kontakte in Deutschland aufgebaut, wo wir die Teile kauften. Ich habe dann 1995 schon realisiert, dass das Geschäftsfeld für Autoersatzteile wesentlich besser war als der Handel mit Gebrauchtwagen. Ich wollte daraufhin eine Firma nur für den Handel mit Ersatzteilen aufbauen. Problematisch war damals jedoch auch die Finanzierung für ein derartiges Unternehmen. Ich hatte viel Kapital in unsere Werkstatt investiert. Ich verfügte über ca. 40.000 bis 50.000 DM. Der Zoll und die Steuern lagen damals bei etwa 30 Prozent für einige Autoteile, hinzu kamen auch noch Mehrwertsteuern etc. Man benötigte also viel mehr Kapital für den Aufbau einer solchen Firma.

Ich begab mich dann auf die Suche nach Investoren. Nach zwei negativen Erfahrungen habe ich meinen heutigen Geschäftspartner, Zoltan Kondor, gefunden. Ich habe ihn 1996, ich werde das niemals vergessen, am 6. Januar in Budapest getroffen. Dort habe ich ihm meine Vorstellungen zum Unternehmen mitgeteilt. Ich hatte damals schon einen Kundenstamm, welcher auch bis in die Region Suceava reichte. Im Mai 1996 haben wir zusammen die Firma AutoNet gegründet.

Wie war Ihr beruflicher Werdegang?

Mein Vater war Schneider, ein Handwerker. Er hat uns den Arbeitsethos vorgelebt. Nach meinem Schulabschluss hat er mir nahegelegt, einen Beruf zu erlernen, beispielsweise den des Werkzeugschlossers. Er hat einen erlernten Beruf als die sicherere Variante angesehen. Wenn man gut war, konnte man sich immer noch weiterbilden und weiter studieren. So habe ich dann die Ausbildung zum Werkzeugschlosser abgeschlossen und das Abitur gemacht. Dann habe ich noch im selben Jahr ein Maschinenbau-Studium an der Universität Klausenburg begonnen und abgeschlossen. Ich hatte somit auch für die zukünftige Karriere im Rahmen der Automobilbranche eine gute Basis. Aber man lernt ständig. Auch heute lerne ich noch immer dazu.

Im Jahr 2015 ist AutoNet mit dem Schweizer Unternehmen Swiss Automotive Group fusioniert. Wie kam es dazu?

Die Initiative zur Fusion kam von uns. Bereits 2003 erhielten wir die ersten Angebote, die Firma zu verkaufen. Zehn Jahre haben wir uns mit niemandem an den Verhandlungstisch gesetzt. Im Leben gibt es jedoch viele Stufen. 2013 / 14 wurde uns klar, dass die nächste Stufe, die wir nehmen müssen, richtig groß sein würde. Das bedeutet, alles solide zu finanzieren, war schon eine Herausforderung. Im Jahr 2014 haben wir zudem innerhalb von drei Monaten sieben bis acht Übernahmeangebote bekommen. Das hat uns offenbart, dass viel Geld auf dem Markt war. Wenn wir also kein Interesse hätten, würden das andere aber sehr wohl haben. Im Hinblick auf die Herausforderungen und das Interesse potenzieller Käufer habe ich mich mit meinem Partner lange zusammengesetzt. Wir haben uns die elementare Frage gestellt, ob wir überhaupt aus der Firma aussteigen wollen. Die Antwort war klar: Nein! Also haben wir beschlossen, den entgegengesetzten Weg zu gehen und selbst initiativ zu werden. Wir haben begonnen, uns umzuschauen in Europa, welche Unternehmen von der Struktur und Unternehmenskultur zu uns passen. Danach haben wir zu vier Unternehmen Kontakt aufgenommen, unter der Bedingung, dass sie selbst Interesse zu einer Fusion und auch zur weiteren Zusammenarbeit haben. Normalerweise bist du nach einem Verkauf der Firma nach zwei Jahren draußen. Zu den vier Kandidaten gehörten eine holländische, zwei deutsche und eine Firma aus der Schweiz. Der am besten zu uns passende Kandidat war dann das Unternehmen aus der Schweiz. Wir sind mit Blick auf die letzten Jahre sehr zufrieden mit dieser Fusion. Es war definitiv der richtige Schritt.

In wie vielen Ländern ist AutoNet zurzeit tätig?

In insgesamt acht Ländern: Rumänien, Ungarn, Slowakei und Slowenien. Zusammen mit unserem Schweizer Partner sind wir noch in Österreich, der Schweiz, Belgien und Italien tätig.

Neben dem Handel mit Autoersatz- und Zubehörteilen bildet AutoNet aus bzw. bietet Fortbildungen an. Sie investieren auch in „Humankapital“. Wie wichtig ist dieser Bereich?

Schon 1998 haben wir festgestellt, dass es nicht so wichtig ist, die jeweilige Sprache zu beherrschen. Viel wichtiger ist die Persönlichkeit der Mitarbeiter. Wenn diese stimmt, kann man diese weiterentwickeln. Die ersten Investitionen in unsere Belegschaft waren 1998 die Sprachkurse. Wir hatten von Beginn an Mitarbeiter mit sehr gutem Charakter, aber sie hatten sprachliche Mängel. Von 2000 bis 2002 haben wir realisiert, wie viele Schulungen beispielsweise die Reparaturbranche benötigt. Wir waren die ersten, die für unsere Partnerwerkstätten technische Schulungen angeboten haben z. B. zu Kupplungen, Bremsen, Lackierungen oder Karosseriereparaturen. Ich kann sagen, dass wir in einigen Dingen Vorreiter in Rumänien und in Osteuropa waren. Dazu gehörte z. B. auch der Import der geeigneten Werkzeuge und Diagnosegeräte. Wir hatten zum Unternehmen Hella Gutmann aus Ihringen / Deutschland Kontakt, welches Diagnosegeräte herstellt. Dann haben wir zwei Jahre an den technischen Übersetzungen zu ihren Diagnosegeräten gearbeitet. Drei Mitarbeiter haben sich nur damit beschäftigt, Diagnosegeräte in rumänischer Sprache anzubieten. Bis heute bieten wir die Übersetzungen zu den technischen Daten. Viele technische Übersetzungen, die heute in Rumänien Standard sind, entstanden hier bei AutoNet. Zum Beispiel TechDoch, sie bezahlen uns für die Übersetzungen, welche sie dann auch an unsere Konkurrenten verkaufen. Unser großer Vorteil ist erstens, dass wir qualifiziertes, festangestelltes Personal haben. Zweitens, dass wir die Information oft schon ein halbes Jahr vor den anderen haben.

Zudem haben wir uns daran beteiligt, die Handwerkskammer hier in Sathmar wieder ins Leben zu rufen – hier in Rumänien eine Aufgabe, verbunden mit vielen Herausforderungen. Die Idee war eigentlich, das in ganz Rumänien zu entwickeln, aber es gab dafür keine Unterstützung für die Handwerker. Meiner Meinung nach hat auch heute die Regierung eine falsche Vorstellung vom Handwerker-Begriff. Sie beschreibt ihn mehr als „artisanal“, was aus meiner Perspektive etwas anderes ist. Ich spreche da für ein anderes Verständnis von Handwerk. Es gibt heute einige Handwerksberufe, die fast ausgestorben sind. Zum Beispiel richtige Schuhmacher, davon gibt es kaum noch welche. Aber es haben sich auch neue Handwerksberufe etabliert. Niemand möchte dieses Handwerksthema weiter voranbringen. Für mich ist das eine Herzensangelegenheit. Aber nach 10 bis 15 Jahren bin ich da auch schon ein wenig müde geworden, dies stets anzutreiben. Meiner Meinung nach, verstehen auch viele nicht, wie wichtig es ist, so einen Verband zu haben. Beispielsweise auch in Sathmar, wenn hier jemand ein Auto Check betreibt, welches auch ein Konzept von uns ist, sieht er einen anderen Betreiber als größten Konkurrenten, obwohl die Stadt eigentlich so groß ist. Es gibt hier sicher 50 bis 70 Werkstätten und sie sehen sich alle als Konkurrenten. Meiner Meinung nach sollten sich die Betreiber nicht als Wettbewerber sehen, sondern eher einen Weg der Zusammenarbeit finden, im Verband. Die Kundschaft ist ja da und sie ist wichtig, das läuft auch oft über eine persönliche Beziehung und nicht zu sehr über den Preis.

(Lesen Sie den zweiten Teil hier)