„Mauern haben wir viele, und Schatten auch“

Kaum Fragen von den Studierenden des Ökumene-Semesters an Dr. Gerhild Rudolf

Hermannstadt – Zu Ende ihres ausholenden Vortrags „Glaube – Bildung – Identität. Umbrüche in der Evangelischen Kirche A.B. in Siebenbürgen von der Reformation bis heute“ am Donnerstag, dem 12. Mai, im Kultur- und Begegnungszentrum „Friedrich Teutsch“ in Hermannstadt/Sibiu, bestätigte Dr. Gerhild Rudolf nach fast zwei Stunden Redezeit vor den Studierenden des Ökumene-Semesters an der Lucian-Blaga-Universität (ULBS) dem gastgebenden Haus protestantischer Zuordnung die Eigenschaft einer Filterblase. Ein „Language drift“ mache sich in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) bemerkbar, so die Kulturreferentin des Teutsch-Hauses. „Für viele ist die Kommunikationssprache nicht mehr die Identifikationssprache.“ Als studierte Germanistin mit Erfahrung im Lesen von Gottesdiensten, Unterrichten von Religion und nach 15 Jahren Tätigkeit in der Schriftführung der „Kirchlichen Blätter“ der EKR beobachtet sie, dass die christliche Glaubensgemeinschaft deutscher Sprache in Rumänien, der das Kürzel „A.B“ seit der 1572 in Mediasch abgehaltenen Synode wichtig ist, „kleiner, städtischer und rumänischer wird.“

Bald nach der Wende 1989 beriet die Landeskirchenversammlung (LKV) der EKR darüber, wie die Siebenbürger Sachsen und ihre konfessionellen Landsleute im noch zu reformierenden Rumänien fortan ihre historisch gewachsene und geprüfte Kirche benennen sollten. Umtaufe wegen des politischen Umbruchs? „Wir sind seit 1572 ´evangelisch A.B.´“, erinnert sich Dr. Gerhild Rudolf an den Tenor der 32 Jahre zurückliegenden Entscheidungsfindung. Ob „andere“ das verstehen und sich auch im Feld von „evangelisch“ und „evangelikal“ nicht verirren, sei damals für die Mehrheit der LKV zweitrangig gewesen.

Als Großmutter eines Enkelkinds aus ethnischer Mischehe betonte Dr. Gerhild Rudolf im Teutsch-Haus der EKR nicht ohne gewissen Hang zu Binnenkritik, dass einem „kein Stein aus der Krone fällt“, wenn man mit durch Heirat in die Familie Dazugekommenen wie beispielsweise dem nicht-sächsischen Schwiegersohn Rumänisch spricht.

Gut Ding braucht nämlich Weile. Die 1530 in Augsburg von Philipp Melanchthon veröffentlichte „Confessio Augustana“ setzte sich im sächsischen Siebenbürgen erst 42 Jahre später durch. Und nicht zu vergessen, dass es der hochdeutschen Sprache erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschieden war, im gottesdienstlichen Alltag der heutigen EKR die Konkurrenz mit dem siebenbürgisch-sächsischen Dialekt für sich zu entscheiden. Dem zähen Kulturprotestantismus jedoch, der nach 1918 keine Nuance zwischen Kirchenzugehörigkeit und Volkszugehörigkeit duldete, konnte auch das Umschwenken vom Sächsischen auf das Hochdeutsche nichts anhaben. Die von Dr. Gerhild Rudolf im Teutsch-Haus der EKR lobend aufgezählte Einführung der allgemeinen Schulpflicht unter den Siebenbürger Sachsen 1722 – „fünfzig Jahre vor Bayern“ und „200 Jahre vor der Walachei“ – war dennoch nie ein Hindernis in der Aufnahme von Kindern anderer Konfessionen. Das ging immer „problemlos“, so Dr. Rudolf.

Wo von 1377 bis 1530 über tausend Siebenbürger Sachsen in Wien studierten, habe die Reformation mit dem Usus, für den höheren Bildungsweg die lange Reise in die österreichische und katholische Metropole an der Donau zu bevorzugen, aufgeräumt. Im Vortrag der seit zehn Jahren an Ort und Stelle berufstätigen Leiterin des Teutsch-Hauses fand selbstredend auch Baron und Gouverneur Samuel von Brukenthal Erwähnung, der seinerzeit über das Wohl und Weh der Siebenbürger Sachsen zu entscheiden hatte. Dass der evangelisch aufgeklärte Führungspolitiker Kaiserin Maria Theresia in Wien vom klaren Gewinn der Gründung einer protestantischen Universität in Siebenbürgen überzeugen konnte, damit aber just bei den eigenen Gefolgsleuten auf Widerstand stieß, blieb dafür außen vor.

An den Anfang ihres Vortrages hatte Dr. Gerhild Rudolf ein Haiku gesetzt – „Kirchenburgenland/Im Schatten der Mauern/wächst die Erinnerung“ – und die Einleitung vor dem Langstreckenritt durch die Geschichte der Siebenbürger Sachsen von 1224 bis heute mit der Feststellung beschlossen, dass kulturelles Gedächtnis rekonstruktiv verfährt.

Wie die Siebenbürger Sachsen ihre Geschichte zu rekonstruieren pflegen, dürfte sich einmal mehr 2024 zeigen, wenn ihr Treffen zu Ehren von 800 Jahren seit Ausstellung des „Andrea-nums“ – des Goldenen Freibriefs vonseiten des ungarischen Königshauses – in Hermannstadt über die Bühne gehen soll. Trotz des Fakts, dass es seit Aufhebung des Königsbodens 1784 „irgendwie immer“ um die Ecke ist, das „Finis Saxoniae“.