Meister Matisse in Temeswar

Vibrierende Farben, geschwungene Striche und viel „Amours“

Bis zum 20.September kann die Matisse-Ausstellung im Temeswarer Kunstmuseum besichtigt werden.
Foto: Zoltán Pázmány

Ein Frauenporträt – alles Lächeln, Blumen – vor allem Veilchen, ein Amor mit gezücktem Pfeil, ein weiblicher Akt – nur Nabel, eine Badende unter Weiden, Musikinstrumente – eine Harfe, Obst – vorwiegend Kirschen und Passionsfrüchte, fünffingrige Blätter und singende Vögel, Nixen und die Aufschrift (nicht ganz orthographisch richtig) „Jaime Marie“. Alles kann „Amours“ sein. Unter diesem Titel sind die meisten von Henri Matisse’ Lithografien vereint, die dieser Tage in Temeswar ausgestellt werden: Rostbraun auf Creme sind die sicheren, geschwungenen und schwingenden Striche, die eine Art Signatur des Meisters darstellen.

Henri Matisse ist neben Pablo Picasso der wohl bedeutendste Vertreter der Klassischen Moderne, ein Wegbereiter und Hauptvertreter des Fauvismus, der Malereien, Skulpturen, Grafiken, Zeichnungen und Scherenschnitte hinterlassen hat, die heute viele Museen schmücken. 110 Lithografien, die zur Wanderausstellung „Der Triumph der Moderne“ gehören, können die Temeswarer bis zum 20. September ansehen. Dem Kurator Thomas Emmerling, der schon Rembrandt und Dali nach Temeswar gebracht hat, ist auch diese Ausstellung zu verdanken.

Mit Ausnahme der Lokalmedien verrät nichts zur Zeit, dass die Ausstellung schon ins Kunstmuseum Temeswar eingezogen ist, keine Plakate oder Banner, wie es bei den vorherigen großen Ausstellungen der Fall war. Der Grund dafür, dass die Lithografien vorerst schläfrig an den Wänden hängen, ist, dass die Vernissage erst am 12. August stattfinden soll. Für den Besucher, der sich die Ausstellung jedoch in einem genüsslichen Tempo ansehen will, ist aber gerade diese Zeit angebracht. Täglich außer montags zwischen 10 und 17.30 Uhr, wenn die Stadt gerade eine Hitzewelle erlebt und in den Sälen des Kunstmuseums noch angenehme Temperaturen herrschen.

Wenn man nach fast zwei Sälen Rostbraun auf Creme den farbenfrohen Matisse entdecken will – wie er sich allerdings mit vibrierendem Gelb oder Blau in die Kunstgeschichte durchgerungen hat – ist auch das möglich, denn ein Saal beherbergt zwanzig Farblithografien, die nach Scherenschnitten von Matisse für das Buch „Jazz“ angefertigt wurden. Das Buch ist 1947 zum ersten Mal bei Tériade erschienen, die in Temeswar ausgestellten Werke stammen aus der amerikanischen Erstausgabe, die bei George Braziller in New York erschienen war. „Jazz“ stellt den Höhenpunkt für Matisse’ Technik der „papier découpés“ dar und eines der erfolgreichsten Künstlerbücher in limitierter Edition. Anfang der 1940er Jahre sah sich der Meister dazu genötigt, Malerei und Skulptur aufzugeben, als ihn eine Krebskrankheit und die anschließende Operation an den Rollstuhl  banden. Die Collage-Technik aus bunten Scherenschnitten ließ ihn aber wieder Freude am Schaffen finden. Aufgrund der farbigen Scherenschnitte wurden die Lithografien angefertigt, die zunächst eine Nummer erhielten.

In der 3. Lithografie zeigt „Monsieur Loyal“, ein Zirkusdirektor aus dem 19. Jahrhundert, sein Profil – aber nicht wie bei den klassischen Scherenschnitten in Schwarz-Weiß, sondern in Blau-Weiß, mit markantem Kinn und einer noch auffälligeren Nase. In der fünften Lithografie aus dieser Serie, „Das Pferd, die Reiterin und der Clown“ beugt sich das Fuchsia-Pferd, schnaubt, auf dem Rockzipfel der Reiterin erkennt man geometrische Motive. „Ikarus“ (die Nummer 8) taumelt, schreitet unter den Sternen, fliegt aber nicht, sein Herz sticht rot hervor.

In Schwarz-Weiß endet die Tour durch die Matisse-Säle im Temeswarer Kunstmuseum: mit einer Serie von neun Lithografien, die 1952 für das DLM – das liebevolle Kürzel steht für das französische Kunstmagazin „Derrière le miroir“, das von dem Verlegerpaar Maeght herausgegeben wurde – entstanden sind: Frauen in ihrer Intimität darstellend.

So wie er es wünschte und seinem Publikum versprach, hat Matisse eine „Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe, ohne beunruhigende und sich aufdrängende Gegenstände“ geschaffen. Ein Grund mehr, Matisse in aller Ruhe zu genießen.