Mit Achtzig in der Mitte von Theologie und Politik

Kirche und Forum der Siebenbürger Sachsen feierten Hans Klein

Hans Klein, wie er leibt und lebt. Hier auf einer Vernissage in der Sakristei der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadt im April 2019

Abends gratulierte Bürgermeisterin Astrid Fodor im Bischofshaus der EKR Hans Klein zum Geburtstag. „Wir sind beide Skorpione!“, antwortete er mit einem Schuss Humor.
Fotos: der Verfasser

Der Kanon „Viel Glück und viel Segen“, der Samstag-abend, am 3. Juli, im Bischofshaus der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) angestimmt wurde, galt Heide Klein, die auf den Tag genau Geburtstag hatte. Sie war schließlich über Jahrzehnte Mitglied des Hermannstädter Bachchores, weswegen die Empfangsgesellschaft und der Chor in seiner aktuellen Besetzung nicht allein Prof. Dr. Hans Klein, sondern auch seiner Ehefrau ein Ständchen brachten. Ihre Unterstützung sei für ihn unverzichtbar, wie er anschließend bestätigte. Der protestantische Theologe und Mitbegründer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) war am 9. November 2020 achtzig Jahre alt geworden. 

Trotzdem die Pandemie ihm nicht übel mitgespielt hat, musste Hans Klein mehr als ein halbes Jahr Zeit verstreichen lassen, ehe die Luft für die EKR und das DFDR genügend rein sein konnte, seinen runden Geburtstag auf der Schwelle zum neunten Lebensjahrzehnt zu feiern.

Es war ein sehr langer Tag für den Gefeierten. Er begann früh um 8.30 Uhr mit einer Morgenandacht und schloss abends nicht vor Eintreten der Dunkelheit. Aber „wir hatten heute diese breite Palette an Themen, das passt so wunderbar zu Dir!“, wie Dr. Stefan Tobler, leitender Professor des Studienganges für Protestantische Theologie an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu (ULBS), Hans Klein vom Rednerpult aus schon zur Mittagspause beglückwünschte. Die Veranstalter des Festtages hatten geeignete Musik und vier Vortragende für die erste Teilstrecke in der Aula des Departements für Geschichte, Kulturerbe und Protestantische Theologie an der Fakultät für Soziale und Geisteswissenschaften der ULBS eingeladen und lösten ihr Versprechen, Hans Klein und seinen Freundeskreis von früh bis spät anregend zu unterhalten, souverän ein.

Als ein „Dies Academicus zu Ehren von Prof. em. Dr. Hans Klein“ hatte die Vortragsreihe sich angekündigt. Prof. em. Dr. Dietrich-Alex Koch von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster steuerte dem „akademischen Blumenstrauß“ an seinen Freund aus Hermannstadt, den er bereits vor 1990 kennenlernte, die erste Rede bei. Der Gast aus dem schon vor Mauerfall und Wiedervereinigung föderalen Deutschland sprach über „Sakrale Mahlzeiten in der Antike und das urchristliche Gemeindemahl“. Fotos von Reisen nach Kurion, Korinth und Zypern begleiteten seine Ausführungen, zu denen er Verse aus den Kapiteln 8 und 10 des Ersten Briefes von Paulus an die Korinther zitierte. Intrigante Warnzitate wie um den „Götzendienst“ oder das „Götzenopferfleisch“ zog Prof. em. Dr. Dietrich-Alex Koch für das Erklären der Abstufung von privaten Festmählern über Kultmähler bis hin zu Vereinsmählern heran. Kein Zweifel, dass Prof. Dr. em. Dr. Hans Klein als Vereinsmensch von echt siebenbürgisch-sächsischem Schrot und Korn den Vortrag von Prof. em. Dr. Dietrich-Alex Koch nach Herzenslust genossen haben muss!

Säkular ohne Vorwürfe

Gleich anschließend berichtete Seelsorger Dr. Thomas Pitters, seit 16 Jahren für das Diakoniewerk Gallneukirchen (Österreich) tätig, die Theologie als eine Wissenschaft erkannt zu haben, „die nicht nur für und auf den Raum der Kirche ausgerichtet betrieben wird. Sondern hier müssen auch der Raum des Politischen und der Raum des Sozialökonomischen ganz genau angesehen werden.“ Spätestens jetzt also, beim Anschneiden des „Gravitationsfeldes zwischen Kirche, Politik und Ökonomie“ nahm der akademische Diskurs zu Ehren von Hans Klein volle Fahrt auf. Ihr hohes Tempo mag vielleicht nicht allen Zuhörenden restlos zugesagt haben, aber für den Gefeierten und seine zahlreichen engen Freunde gestaltete sich der „Dies Academicus“ wie von selbst zu einem perfekten Präsent.

„Wien ist keine mehrheitlich christliche Stadt mehr“, interpretierte Dr. Thomas Pitters die säkulare Großwetterlage in Österreich, ehe er weiter in die Tiefe seines Referates „Samariterdienst entdecken – Übersetzung von Lukas 10, 25-37 in den diakonischen Kontext“ vordrang. Ist Säkularisierung eine ausschließlich schlechte Sache? Pitters hat darauf eine nuancierte Antwort parat und weiß aus dem Kontext Österreichs von vielen Leuten Bescheid, „die sich als gläubig, aber nicht kirchlich outen.“ Ihm zufolge ist „die amorphe, diffuse Gläubigkeit ein Potenzial, an das wir andocken müssen.“ In der Aula der ULBS zitierte er nicht zuletzt einen Freund aus Österreich, der gesagt habe, dass „Säkularität uns nicht passiert und kein Schicksal, sondern ein Programm ist.“ Wie man auf ein Programm antworten könne? „Mit einem anderen Programm“, davon ist Pitters überzeugt.

„Wir leben hier auch nicht auf einer Insel der Seligen“, warf Dr. Stefan Cosoroabă, Lehrbeauftragter für Praktische Theologie am Studiengang für Protestantische Theologie der ULBS, ein. Und „was man in heutiger Zeit dem säkularen Menschen sagen muss: Nicht was er verliert, sondern was er gewinnt, wenn! Dass man nicht mit negativen Bildern arbeitet“, so die Wunschanleitung von Dr. Thomas Pitters für die Umsetzung eines Gegenprogramms auf Säkularisierung.

Durch das Referat „‚Das Wort ist die große Erbschaft´ – Auslegung und Spiritualität der Bibel bei Königin Elisabeth I. von Rumänien“ von Dr. Daniel Zikeli, Bischofsvikar und Stadtpfarrer der EKR in Bukarest, zog sich ein Argumentationston, für den der dritte Gast am Rednerpult des Tages manche Phrase der theologischen Laiin Carmen Sylva zur Hand nahm – darunter auch einen Aphorismus der Gangart protestantischer Ethik, nach dessen Worten „wir die Macht haben, uns selbst zu beherrschen, und damit auch das Leben“, zitierte am Pult Dr. Daniel Zikeli, ebenso aus Siebenbürgen stammend und wie auch Dr. Thomas Pitters Ex-Schüler von Hans Klein.

Spekulationen vermeiden und Obertöne suchen

Den vierten und letzten Vortrag vor ausgedehnter Mittagspause gab Samuel Piringer, Ex-Stadtpfarrer der EKR in Bukarest bis 1996 und heute im Ruhestand in Öhringen (Baden-Württemberg) lebend. „Weder polemisch noch gegenwärtigen Trends oder Moden der Zeit angepasst“ sei das Buch „Der Mensch zwischen Himmel und Erde. Jesus nach dem Zeugnis der Evangelien“ von Hans Klein, 2021 im Honterus-Verlag veröffentlicht. „Jesus ist kein CEO, kein Chief Executive Officer. Jesus ist auch kein jüdischer Kyniker, der als Magier auftritt (…) Es kommt kein schlagfertiges Jesusbild zustande. Ein solches wäre einseitig gezeichnet und aufgrund von Spekulationen erstellt.“ Auch sprach Samuel Piringer die Aufforderung Hans Kleins aus, „das Buch unter der Bedingung, mindestens drei Seiten daraus zu lesen, mitnehmen zu dürfen.“ Vorwort vom Autor selbst: „Wie es eine Israel-Krankheit gibt, eine Sehnsucht, das Heilige Land immer neu zu besuchen, gibt es auch eine Siebenbürgen-Krankheit, ein Heimweh nach Land und Leuten in diesem wunderbaren Umfeld.“

Maximilian Braisch, Kantor der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Heltau/Cisnădie sowie am Studiengang für Protestantische Theologie an der ULBS immatrikuliert, leistete am Fagott im Duo mit Organist Jürg Leutert zwei künstlerisch vollendete Intermezzi. Mit für die Musik zum „Dies Academicus“ verantwortlich war auch Brita Falch Leutert, Kantorin der EKR in Hermannstadt. Noch ehe sie zum Finale an der Orgel ein frohes Menuett von Johann Georg Albrechtsberger anschlug und Jürg Leutert dazu seine feine Maultrommel an den Mund nahm, gönnte der Musikwart der EKR sich rasch einen offensiven Vergleich: „Das Schöne daran ist, man hat das größte Erlebnis, wenn man es selber spielt, weil man hört die Obertöne am besten. Alle Töne haben einen Grundton, und dann gibt es die Obertöne. Und so ist es wie mit der Theologie eben auch: es gibt das Gesagte und das Ungesagte, und das Gehörte und das Unerhörte.“

Fast wäre die orthodoxe Grundnote Rumäniens stumm ins Abseits gedrängt worden, hätte Priester und Privatdozent Dr. Daniel Buda, Dekan der Fakultät für Orthodoxe Theologie „Andrei Şaguna“ an der ULBS, nicht zu Beginn des „Dies Academicus“ die Gelegenheit gehabt, ebenso für ein paar Augenblicke Stellung am Rednerpult beziehen zu dürfen. „Sehr geehrter Herr Klein, Sie sind für uns, auch für die Orthodoxen, ein Mentor (…) Wir vermissen Sie sehr. Und wir wünschen uns, wenn möglich, im Evangelischen Institut Partner zu haben, die uns besser verstehen, die aus diesem Land kommen und die Orthodoxen und unseren Kontext besser kennen (…) Ich war knappe zwei Jahre lang Sekretär von Hans Klein im Vorfeld der Dritten Ökumenischen Europäischen Vollversammlung 2007 in Hermannstadt, und Herr Klein war der beste Chef, weil ich von ihm viel gelernt habe.“ Die Umarmung darauf war weder vom orthodoxen Gast noch vom evangelischen Adressaten gespielt. Sie war ehrlich.

Kreuzwege der Entscheidung

Stunden später gab der Hermannstädter Bachchor um 18 Uhr beim Schlussgottesdienst in der hell ausgeleuchteten Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Pia]a Huet die fordernde Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ BWV 230 von Johann Sebastian Bach zum Besten. Stefan Tobler händigte den Absolventin-nen und Absolventen Ligia Talo{, Monica Montsch und Claudiu Riemer je ein Erinnerungsstück aus Papier aus und wünschte ihnen Alles Gute für das Leben und die Zeit nach der letzten Station ihrer universitären Ausbildung, die mit der Lizenzprüfung im Februar 2022 enden wird. „Entscheidend ist nicht die Theologie. Entscheidend ist das Kreuz.“ Eine markante Anekdote hierzu hatte noch am Morgen Prof. em. Dr. Dietrich-Alex Koch beigesteuert: „Soll ich bleiben oder gehen? Du bleibst, solange es noch einen Theologie-Studenten in Hermannstadt gibt!“, hatte Hans Klein zur Zeit des Umbruchjahres 1990 imperativ zu sich selbst gesagt.

Er behält bis heute Recht und stellte sich liebend gerne gemeinsam mit den drei Absolventinnen und Absolventen des Studienjahres 2020/2021 zum Gruppenfoto auf. Wie kaum jemand anderer aus den Reihen der siebenbürgisch-sächsischen Gelehrten, die nach der Revolution von 1989 beharrlich Nein zur Emigration sagte, hat Prof. em. Dr. Hans Klein der EKR und dem DFDR dreißig Jahre lang Orientierung vermittelt. Sowohl in Glücksmomenten seligen Burgfriedens als auch im zähen Streit über mehr oder weniger schief hängenden Haussegen. Ein kleiner Mann mit ganz großem Herz, der unglaublich viel riskiert und das Richtmaß der Schnittmenge von Kirche und Forum stärkst geprägt hat.

Doch selbst ein visionärer Intellektueller wie Hans Klein konnte und kann nicht stets umhin, dem flexiblen Zeitgeist mit einem Ja zu begegnen. Denn auch für die EKR und das DFDR ist es sicher nicht von hohem Vorteil, im 21. Jahrhundert dieselben Standpunkte wie noch in den ersten Jahren nach 1989 behalten zu wollen. Als Mann der Mitte reflektiert Hans Klein nach wie vor seine Beziehung zur Aktualität: „Ich glaube, dass die jungen Menschen, die in der USR sind, richtig liegen; aber sie können nicht zu schnell vorankommen, weil die Welt ringsum mit ihnen Schritt halten muss“, sagte er im Dezember 2019 in einem Interview für die Lokalzeitung „Turnul Sfatului“.

Die 20 Artikel zählende Festschrift zum 80. Geburtstag von Prof. em. Dr. Hans Klein, die abends am 3. Juli im Bischofshaus der EKR von Dr. Rainer Reuter festlich vorgestellt wurde und beim Zentrum Evangelische Theologie Ost (ZETO) angefordert werden kann, trägt den Titel „Dem Leben dienen“. Er ist identisch mit dem Leitspruch Hans Kleins. „Würde ich noch einmal neu anfangen, wären mir zwei Dinge wichtig: bei der Wissenschaft und den Menschen zu bleiben.“