Mit anderen Augen

Ein Buch der Kronstädter Stadtschreiberin Paula Schneider

Dieses Buch fällt zunächst nicht auf. Im großen Haufen der Neuerscheinungen über Siebenbürgen, der Reportagen, fiktiven oder wahren Erzählungen, der Bildbände für Touristen und Transsylvanien-Fans, kommt es äußerlich bescheiden daher. Man erkennt das Kronstädter Rathaus im Gegenlicht, weiß umrandet, als läge frischer Schnee. Tauben umflattern den zweisprachigen Titel: „Andersstadt und Hünenkronen / Orașul altfel și Coroana uriașilor“.

Beim Blättern bleibt der Blick zunächst an Fotos hängen. Ungewöhnliche Perspektiven, seltsame Details, besondere Blickwinkel. Ist das die Stadt im Osten, um es mit Adolf Meschendörfer zu sagen, der im Buch mehrfach zitiert wird? Das alles haben wir gesehen und doch noch nie erblickt, ist ein Fazit. Zwar ist nicht jede Einzelheit, die der Dichterin während ihres Aufenthalts als Stadtschreiberin in Kronstadt von Mai bis September 2017 vor die Kamera kam, von Bedeutung, aber ihr Blick ist scharf. Und liebevoll. Manchmal spöttisch, aber ohne Bitternis.

Paula Schneiders Sprache ist voller Poesie, lebt vom Unausgesprochenen und beschwört magische Bilder. Die Übersetzerin Petra Antonia Binder hat Großes geleistet, indem sie diese lyrische Prosa in elegantes Rumänisch übertrug. Eine Schwester im Geiste, wird sie spinnwebfeinen Nuancen gerecht. „Irgendwann/ landet jeder Drache, jede Fledermaus. / Egal durch wie viele Sprachen/ es ging und Straßen. / irgendwann kommt er an ein Ende. / Der Flug/ durch Dämmerung und Abend... // Când-va/ aterizeaz˛ fiecare dragon, fiecare liliac./ Indiferent prin câte limbi/ și străzi a trecut./ Cândva ajunge la un sfârșit./ Zborul/ prin amurg și seară...“ (Seiten 106 und 107).

Kronstadt-Besucher in Eile werden wenig anfangen mit diesem zarten Bild-Textband. Für transsylvania-in-four-days ist er ungeeignet, als Stadtführer der vielen Tausend kommt er nicht in Frage. Er ist etwas für Kenner, für Liebhaber im wahrsten Wortsinn. Paula Schneider nimmt uns an der Hand und lässt uns eintauchen in die Atmosphäre einer Stadt, die unsere ist, und es doch nicht zu sein scheint. So viele Zwischentöne, so viele Metaphern scheinen durch die Zeilen. Die Bilder, obwohl kleinformatig, sind voller Anspielungen. Ein einziger, schneller Blick wird dem allen nicht gerecht. Mit diesem Buch hat Paula Schneider unverwechselbare Fußspuren in Kronstadt hinterlassen. Das Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens hat die Herausgabe von „Andersstadt und Hünenkronen” finanziell unterstützt. Wir sind die Beschenkten.