Mit der Pandemie kam die Infodemie

Angriffe gegen Demokratie und Pressefreiheit in Südosteuropa

Im Notstand Maulkorb für die Presse? Symbolbild: Pixabay

„Wascht euch die Hände… und schützt euch vor den Medien“. Dies empfiehlt der albanische Ministerpräsident persönlich seinen Bürgern in einer Sprachnachricht vor jedem getätigten Handy-Anruf. Und Politiker in Bulgarien tönen: „Es ist Zeit, dass die Medien jetzt mal die Klappe halten.“ Die Informationshoheit ist zur Zeit des Notstands in der Pandemie in vielen Ländern Südosteuropas wieder fest in staatlicher Hand. Nur keine Fragen stellen… Stattdessen gibt es frontale Briefings, Pressekommuniqués, Facebook-Postings und Nachrichten an auserwählte Mitglieder von Whatsapp-Gruppen. Mit der Pandemie brach auch die Infodemie über Südosteuropa herein.

Bekämpft wurde nicht nur der Virus. Sondern auch Fake News, Panikmache und Desinformation. Gleich mehrere Länder stellten die Verbreitung von Falschnachrichten unter Strafe – ohne genauere Definition, was Missbrauch Tür und Tor öffnet. Journalisten, die über mangelnde Schutzausrüstung medizinischen Personals oder die Zustände in den Krankenhäusern berichteten, wurden festgenommen, bedroht, strafverfolgt. In der Studie der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) „Im Ausnahmezustand: Corona, die Medien und neue Regeln in Südosteuropa“ von Hendrik Sittig und Darija Fabijanic heißt es: „Die Corona-Krise scheint die immer noch vorhandenen Demokratie-Defizite in Südosteuropa zu verstärken. Verschärft wird die Lage durch mangelndes Bewusstsein für Qualitätsjournalismus, oft interessengeleitete, zum Boulevard neigende Medien sowie ein relativ niedriges Vertrauen in journalistische Arbeit und wenig ausgeprägte Medienkompetenz der Bevölkerung.“

Am 8. Mai veranstaltete das Medienprogramm Südosteuropa der KAS zusammen mit dem Zentrum für das Studium der Demokratie (CSD) in Sofia eine Online-Debatte zum Thema „Der schrumpfende Raum für Pressefreiheit in Südosteuropa (Rumänien, Bulgarien, Serbien, Albanien) in der Covid-19 Pandemie und im Ausnahmezustand“. Lageberichte aus ihren Ländern präsentierten Dr. Zef Preci, Exekutivdirektor des albanischen Zentrums für Wirtschaftsforschung (ACER), Irina Nedeva (Vorsitzende der Vereinigung Europäischer Journalisten (AEJ) in Bulgarien, Elena Calistru, Gründerin und Leiterin von „Funky Citizens“, Rumänien, sowie Dr. Igor Novakovic, Forschungsdirektor am Internationalen Zentrum für Sicherheitsfragen (ISAC) in Serbien. Die Moderation führte Rumena Filipova vom CSD.

Albaniens Premier warnt Bürger vor den Medien

Schon vor der Pandemie war es nicht gut bestellt um die Pressefreiheit in Albanien. Ministerpräsident Edi Rama ließ keine Gelegenheit aus, Journalisten, die er als „Mülleimer“ bezeichnete, zu diskreditieren. In der Corona-Krise warnt er Handynutzer vor jedem Telefonat: „Wascht eure Hände, geht nicht zum Vergnügen aus dem Haus, lüftet so oft es geht und schützt euch vor den Medien.“

Dr. Zef Preci fasst die Probleme in seinem Land zusammen: Die Medien seien in der Hand von drei-vier Familienclans ohne jegliche Erfahrung im Journalismus. Ihr Hintergrund: ein politischer oder die Glücksspiel-Branche. Schon vor dem Ausnahmezustand waren Gewalt und Online-Stalking gegen Journalisten häufig, 2019 gab es zahlreiche physische Angriffe, auch mit Tränengas. Nun seien Drohungen an der Tagesordnung. Die Regierung hält ein eisernes Informationsmonopol: Während des Ausnahmezustands gab es kaum Pressekonferenzen, und wenn doch, waren keine Fragen zugelassen. Medizinisches Personal durfte nicht mit der Presse sprechen. Informiert wurde durch einseitige Regierungsstatements, oft in Form von Videoclips.

Aber auch die albanische Öffentlichkeit misstraut den Medien. Sie seien von Politikern und Lobbyisten finanziert, heißt es, „manchmal zurecht, manchmal nicht“, meint Preci. Im Kampf gegen Desinformationen wurden Inhalte aus Online-Medien gelöscht und Webseiten blockiert. „Die Lage verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr und kulminiert nun während der Krise“, fasst Preci zusammen. Umso schlimmer, als während des Notstands in Albanien keine gedruckten Zeitungen erschienen, die Bürger konnten sich nur online informieren. „Doch Internet ist teuer“, so Preci. Nur wenige Bürger könnten sich den Anschluss leisten.

Bulgarien will Knast für Fake News einführen

Nicht viel anders präsentiert sich die Lage in Bulgarien. Auf der Liste zum Pressefreiheitsindex der Organisation „Journalisten ohne Grenzen“ belegt es in diesem Jahr Platz 111, den letzten in Europa, informiert Irina Nedeva. Die Medienlandschaft - gedruckt und online - beherrsche eine Hauptfigur: der Parlamentarier und Oligarch Delyan Peevski. Die Einstellung der Regierung gegenüber der Presse in der Krise? „Es ist Zeit, dass die Medien jetzt mal die Klappe halten“, zitiert Nedeva.

Alarmierend: Am 19. März hatte das Parlament ein Gesetz mit Maßnahmen für den Ausnahmezustand eingereicht, worin unter anderem die Verbreitung von Fake News mit Geldstrafen bis 5000 Euro und bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden sollte. Der KAS-Länderbericht ergänzt: Gegen diesen Teil des Gesetzes legte Präsident Rumen Radev, der der Opposition angehört, sein Veto ein. Er begründete dies mit der Gefahr von Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit, zumal es keine Definition von Fake News beinhaltete. Der Abschnitt wurde daraufhin aus dem Gesetz entfernt. Doch die Idee ist noch lange nicht vom Tisch. Die Regierungspartei kündigte an, es überarbeitet erneut vorlegen zu wollen.

Sollte es denn überhaupt Maßnahmen geben, in der Krise gegen Fake News vorzugehen? Mit dieser Frage wird Nedeva aus dem Publikum konfrontiert. „Es gibt eine ständige Diskussion unter Journalisten darüber“, meint diese und räumt ein: „Fake News können gefährlich sein. Doch in Bulgarien sehen wir keinen Einfluss von außen, keinen Angriff gegen die Demokratie oder die Grundfeste der EU.“ Der Kampf gegen die Verbreitung von Fake News richte sich an interne kritische Stimmen - eine Gefahr für freien Journalismus. Konkrete Beispiele: Zwei Ärzte, die öffentlich über den Mangel an Schutzausrüstung klagten, wurden strafrechtlich verfolgt. Ein ehemaliger Journalist wurde wegen Panikmache und Verbreitung von Falschnachrichten angeklagt, als er die Geschichte seines Vaters auf Facebook postete, der wegen eines Schlaganfalls im Krankenhaus behandelt worden war und sich dort mit Covid-19 infiziert hatte. Er hatte über die Zustände im Krankenhaus berichtet und darüber, dass niemand in der Familie als immerhin engste Kontakte auf Covid-19 getestet wurde.

Auch in Bulgarien reicht das Gebaren der Regierung von frontalen Briefings statt interaktiven Pressekonferenzen bis hin zu Pressekommuniqués, die nur an bestimmte Agenturen gehen. „Der Präsident kommuniziert lieber über Facebook, als mit Journalisten zu sprechen“, klagt Nedeva.

Zum Thema Datenschutz kritisiert sie, dass die Polizei zur Kontrolle der Einhaltung der Quarantäne ohne vorherigen Gerichtsbeschluss auf die Daten der Mobiltelefone zugreifen dürfe, um Personen über ihre Handys zu lokalisieren.  

Mangelnde Transparenz auch in Rumänien

Nicht ganz so schlimm präsentierte Elena Calistru die Lage in Rumänien, auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten mit anderen Ländern gäbe - die eher frontale Informationspolitik, mangelnde Transparenz, Druck auf Journalisten. „Dabei schadet mangelnde Transparenz nur dem Image der Institutionen“, meint Calistru. Manche Politiker informierten über Whatsapp-Gruppen, deren Mitglieder sie natürlich selbst bestimmen. Whistleblower aus dem Gesundheitswesen, die Mängel offenlegten, würden unter Druck gesetzt. Auch Korruption spiele eine Rolle: Die Aufträge zur Lieferung von Ausrüstung für das Gesundheitswesen gewännen plötzlich Firmen, die zuvor nie mit medizinischen Beschaffungen zu tun hatten, dafür aber Querverbindungen zu den politischen Entscheidungsträgern erkennen ließen.

Beim Vorgehen gegen Fake News werde mit zweierlei Maß gemessen: Während „größere TV-Sender mit viel Geld“ unbehelligt blieben, seien eher unbedeutende Webseiten blockiert worden, meint Calistru. Und betont: „Wir brauchen andere Instrumente, um Fake News zu bekämpfen: Medienkompetenz, Bildung, Faktenüberprüfung und Qualitätsjournalismus.“ Die gute Nachricht: Gerade weil viele Meinungen „aus dem letzten Jahrhundert zu kommen scheinen, Wissenschaft ist offenbar nicht mehr in Mode“, informierten sich Bürger zunehmend aktiv. Zum ersten Mal würden längere Artikel zur Corona-Krise gelesen und Faktenchecking betrieben. „Wir sehen dies anhand des zunehmenden Verkehrs auf unserer Webseite“ (Anm.: Funky Citizens betreibt eine Faktencheck-Seite), so Calistru. „Die meisten Bürger sind ganz gut im Bilde, was die Krise betrifft.“

Serbien: schwierig, auf Informationen zu vertrauen

Ivan Novakovic präsentiert das Lagebild aus Serbien: Schon vor der Krise war die unabhängige Presse schwach. Regierungsnahe Sender belegen den meisten Platz. Whistleblowers genießen wenig Schutz, Angriffe gegen Journalisten seien häufig. Die Folge: verzerrte Informationen. Dies alles spitzte sich in der Krise weiter zu. Im angeblichen Kampf gegen Fake News wurden über 8000 Twitter-Konten gelöscht. „Wir hatten bei Weitem die meisten solchen Fälle im Vergleich mit anderen Ländern!“

Der KAS-Bericht bestätigt die sehr strikten Maßnahmen gegen die Verbreitung von Fake News, die jedoch weniger zur großflächigen Bekämpfung von Desinformation beitrugen, sondern vielmehr die Freiheit einzelner Personen einschränkten. So gab es Festnahmen aufgrund angeblicher Verbreitung von Panik: In Belgrad wurde ein Mann in Gewahrsam genommen, der in einer Messenger-Gruppe geschrieben hatte, dass ab dem nächsten Tag kein Benzin mehr an Privatpersonen verkauft werde. Am 1. April wurde eine Journalistin vom Online-Portal nova.rs wegen angeblicher Verbreitung von Panik arretiert, nachdem sie aus einem Krankenhaus in Novi Sad berichtet hatte, es gebe nicht genug Schutzkleidung und die Organisation sei unkoordiniert. Ein generelles Problem sei die mangelnde Transparenz und Behörden, die Medien bevorzugten, von denen sie wohlwollende Berichterstattung erwarten können.

Zum Thema Datenschutz heißt es im KAS-Länderbericht, Präsident Aleksandar Vucic hätte erklärt, dass Mobiltelefone mit italienischen Nummern geortet und verfolgt würden.

Dabei sieht die serbische Verfassung selbst im Notzustand Datenschutz als Persönlichkeitsrecht vor! Ortungen von mobilen Daten dürfen nur per Gerichtsbeschluss erfolgen.

Für Kritik sorgte auch die Verordnung, nur noch die Premierministerin und der Krisenstab dürften Informationen über die Pandemie veröffentlichen. Der Informationsfluss sollte damit zentralisiert und kontrolliert werden, lokalen Stellen wurde verboten, Journalisten zu informieren. Die Regelung jedoch hatte nur wenige Tage Bestand und wurde auf Initiative von Präsident Vucic wieder zurückgenommen.
 
„Erstmals in unserer Generation kommt es vor, dass die Demokratie geschwächt wird“, fasst CSD-Leiter Ruslan Stefanov die Probleme zusammen. Und bemerkt: „Es sieht aus, als würden unsere Regierungen alle dieselben Blaupausen benutzen.“ In Südosteuropa fehle die Kapazität, den Herausforderungen der Krise mit geeigneten demokratischen Mitteln zu begegnen. Es sei schwierig, Informationen zu vertrauen.


Faktencheck ist wichtig, vor allem in Zeiten der Krise. „Funky Citizens“ bietet auf www.factual.ro Rumäniens angeblich erste Faktencheck-Seite für politische und sonstige öffentliche Aussagen an.