Mutige Händler, geschickte Handwerker, Pioniere der Industrie

Beitrag der armenischen und jüdischen Minderheit zur wirtschaftlichen Entwicklung der rumänischen Moldau

Dr. Arsen Arzumanyan. Fotos: George Dumitriu

Prof. Dr. Carol Iancu

Die Synagoge von Hârlău: Am 13. Juni wurde sie nach Restaurierung wieder eröffnet, im Beisein ausgewanderter Juden. Prof. Iancu sprach über Bürgermeister Agapi.

Auf der sechsten Konferenz des Projekts „Brücken der Toleranz“ (siehe ADZ vom 2. Juli: „Plattform des freundschaftlichen Dialogs“) ging es um die Rolle der nationalen Minderheiten bei der wirtschaftlichen Entwicklung Rumäniens. Der Beitrag des Historikers Prof. Dr. Konrad Gündisch zur Rolle der einzelnen deutschen Volksgruppen bei der Entwicklung ihrer Region wurde bereits vorgestellt (siehe ADZ vom12. Juli: „Was bleibt vom Einfluss der Deutschen?“). Um die wirtschaftliche Regionalentwicklung der Moldau ging es in den Vorträgen von Dr. Arsen Arzumanyan, der den Beitrag der Armenier präsentierte, während Prof. Dr. Carol Iancu die ehemalige jüdische Gemeinschaft von Hârlău (Jassy/Iași) im 18. und 19. Jh. beleuchtete.

Armenier als „Gründerväter der Moldau“

Armenische Siedlungen gibt es in Rumänien seit etwa einem Jahrtausend. Bereits im 11. Jh. wanderten die ersten Armenier aus ihrer Heimat aus, in Richtung Krim, nach Galizien und in die Moldau. Gründe waren Einfälle aus Asien und das Erdbeben, das die historische Hauptstadt Ani zerstörte. In der Moldau ließen sie sich an Handelsknotenpunkten nieder: Suceava, Siret, Botoșani, Roman und Jassy. Durch geschickten Handel gelangten die meisten Armenier bald zu Wohlstand, der sich auch in der Entwicklung ihrer Siedlungsgebiete reflektierte. Der rumänische Historiker Nicolae Iorga bezeichnete sie deshalb als „Gründerväter der Moldau“. 
Historische Quellen stützen diese These: 1580 schreibt Giulio Manchinelli, die Armenier der Moldau seien reicher als alle anderen, dank ihres Handels mit Gewürzen. 1805 lobt Vicento Batiani, dank der Armenier sei Botoșani eine bekannte Stadt geworden, mit schönen Häusern und einem florierenden Markt. Der Historiker Tigran Grigorian erwähnt ganze Karawanen, die sogenannten „armenischen Wagenzüge“, die die Moldau durchquerten. In Jassy lief die Haupthandelsstraße mitten durch das armenische Viertel, die armenische Kirche (1395) gilt als ältestes Gebäude der Stadt. 

Nachdem Alexander der Gute von dem wirtschaftlichen Boom der Städte Lwow und Krakau dank armenischer Händler erfahren hatte, lud er solche 1407 in die Moldau ein und erließ ihnen die Steuern. Vom Erfolg bald überzeugt, siedelte er 1418 erneut 3000 armenische Familien in sieben Städten an. Auch Stefan der Große holte gezielt armenische Siedler ins Land, denen er Schutz und Privilegien versprach. Das Budget des Staats speiste sich nahezu vollständig aus dem Handel. Bojaren und Klöster waren von Abgaben befreit, während die armenischen Händler gute Steuerzahler waren. 

Karawanen zwischen Orient und Okzident

Die Armenier exportierten Rinder und Pferde nach Preußen, Österreich und Holland, aber auch Schafe, Schweine, Leder, Wachs, Käse und Weizen. Aus dem Westen führten sie Handwerksprodukte ein - Wollstoffe, Teppiche, Stickereien, Waffen und Luxusobjekte, aus dem Orient Gewürze, Wein, Farbstoffe und Seide. Einige brachten Bienenwachs aus der Walachei und aus Kronstadt/Brașov,  andere Zobelfelle aus Ungarn. Wollstoffe und Metalle aus Deutschland gelangen durch sie bis nach Indien. Im 16. Jh. brachten sie vor allem Weizen und Wein aus der Moldau nach Polen und Russland;  aus Polen wurde Papier importiert. Wachs, Honig, Fleisch und Fette aus der Moldau wurden in Konstantinopel verkauft. Weil die Qualität der exportierten Tiere oft nicht den Ansprüchen der Käufer entsprach, begannen sie, Rinder und Pferde billig zu erwerben und auf gepachteten Weiden selbst fett zu füttern für einen profitableren Verkauf. Einige Armenier kauften Land und wurden zu Großgrundbesitzern. Bis in die 1920er Jahre sind sie als Großproduzenten landwirtschaftlicher Produkte bekannt. Auf der Landwirtschaftsmesse in Paris wurden 1900 mehrere Produzenten aus Botoșani prämiert: Luca Ciomac und die Brüder Goilav aus Rânghilești gewannen die Goldmedaille für landwirtschaftliche Produkte, Spirituosen, Sirupe, Raps, Hanf, Leinsamen, Mohn und Sonnenblumen.

Durch ihre dominante Rolle im Handel bildeten die Armenier die Bevölkerung der ersten moldauischen Städte. Ihr Einfluss spiegelte sich auch in politischen Positionen wider. Im Mittelalter genossen sie weitgehende Autonomie in Suceava, Roman, Botoșani und hatten eine eigene Art „Bürgermeister“. Bedeutende armenische Handelszentren gab es auch in Galați, Tecuci, Bârlad, Vaslui, Bacău, Târgu Ocna, Târgu Trotuș, Focșani, Cotnari, Târgu Neamț, Dorohoi und Huși. Eine gewisse Konkurrenz im Handel entstand mit der Einwanderung der Juden, räumt Arzumanyan ein.
An die Armenier der Moldau erinnert heute das armenische Kloster Hagigadar bei Suceava, 1512 von Drăgan Donavachian gestiftet. Mit einer Herde Ochsen unterwegs, hatte er an jener Stelle Rast gemacht und im Traum einen Engel singen hören. Er schwor daraufhin, ein Kloster zu gründen, falls der Handel erfolgreich verliefe. 

Jüdische Zünfte in Hârlău

Die wirtschaftliche Aktivität der Juden war über Epochen hinweg stets Fluktuationen unterlegen und hing stark von der ihnen auferlegten juristischen und sozialen Position ab, erklärt Prof. Iancu. Nach dem Ersten Weltkrieg bildeten sie inhomogene Gruppen mit starker Hierarchisierung und großen sozialen Unterschieden. Im Altreich waren Juden vor allem im Handel und Handwerk tätig, oder als Pioniere der Industrie, kaum jedoch in der Landwirtschaft - was daran lag, dass sie bis 1924 mit wenigen Ausnahmen keine Staatsbürger waren. Gemäß Verfassung galten Juden als „schutzlose Fremde“, das Recht auf Siedlung auf dem Land oder gar Landerwerb war ihnen verwehrt, dasselbe galt für öffentliche Ämter. Trotzdem spielten sie eine bedeutende wirtschaftliche Rolle, auch bereits vor 1919, die sich in der Zwischenkriegszeit weiter konsolidierte. 

Iancu beleuchtet als Beispiel die jüdische Gemeinschaft der Kleinstadt Hârlau, über die er 2018 eine Monografie verfasst hatte. Das erste bedeutende Dokument datiert auf 1768 und bezieht sich auf die Gründung der ersten Glasmanufaktur der Moldau durch Hețel Marcovici („Marco jidov“) auf dem Großgrund der Familie Cantacuzino bei Hârlău. Man kann also sagen, dass Juden  dieses Handwerk nach Rumänien brachten. Die Fabrik sollte drei jüdische Meister und 60 Arbeiter beschäftigen. Die Anwesenheit jüdischer Glasfacharbeiter in der Moldau des 18. Jh. wird durch ein weiteres Dokument bestätigt. 

Ein Schriftstück von 1769 gibt Aufschluss über die Berufe der Juden in verschiedenen Städten, darunter Hârlău: Sie verkauften auf dem Markt Schnaps, Heizöl und Lampenöl. In die Zünfte der Christen wurden Juden nicht aufgenommen, daher bildeten sie in der Moldau – wie auch in Hârlău – ihre eigenen Zünfte. Zunftdokumente geben Aufschluss über die Berufe der Juden: 1845 werden  in Hârl˛u 189 einheimische Juden, fünf ausländische, 49 Alte und 9 Witwen erwähnt. Sie gehen 48 verschiedenen Berufen nach, die sich in ihren Namen widerspiegeln - 41 davon rumänisch (z.B. Argintariu, Butnariu, Cizmariu, Croitoriu, Dascălu, Olariu, Pescariu etc.), fünf deutsch oder jiddisch (Blehmann, Caufmann, Drucman, Hamer, Lerer) und zwei hebräisch (Hahamu, Rabinu). 
Die demografische Entwicklung sieht wie folgt aus: 1859 gab es 1389 Juden (39,3 Prozent), 1886: 2254 , 1899: 2718 und 1910 nur noch 2032. Das Jahr 1910 reflektiert die Wirtschaftskrise , wegen der ca. 90.000 Juden Rumänien verließen, ein Drittel der 270.000 Juden im ganzen Land. Die Statistik 1910 erwähnt 233 Händler, 87 Schneider, 49 Schuster, 17 Schmiede, neun Schreiner und 191 „verschiedene Handwerker“ für Hârlău.

Jüdische Pioniere der Industrie

Ende des 19. Jh. gründet der Jude Idel Breazu die erste Druckerei der Stadt. Herman Jester, auch Landpächter, gründet im nahen Dorf Pârcovaci eine Glasfabrik, deren Produkte bis in die Walachei verkauft werden, und in Maxut-Deleni ein Sägewerk. 1912 gründet I]ic M. Barasch zwischen dem Bahnhof und dem Dorf Bădeni eine benzinmotorgetriebene Mühle, 1925  dann die Fensterglasfabrik „Geamul Moldovei“, die seine Söhne Beiu und Bubi weiterführen. Die Fensterglasfabrik wird bis 1940 von deutschen Meistern und „unqualifizierten jüdischen und christlichen Arbeitern“ geführt. 1935 wird zum zehnjährigen Jubiläum eine Sonderbriefmarke herausgegeben, die heute hohen Sammlerwert hat. 

Weitere erwähnenswerte Betriebe sind: die Mühle „Zaharia“ von Leiba F. Ițicescu, die Gerberei von David Herșcovici, die Druckerei „Globus“ von Sami Silberstein, die Töpferfabrik der Geschwister Moișa Cohn Teper und Azriel Teper, die Sprudelfabrik Faibiș und die Spiritusfabrik von Rubin Spodheim. Die meisten Gemischtwarenläden der Stadt gehörten Juden, wie auch das Restaurant „La Colțul Galben“ , das Hotel „Căldăraru“, das Café „Iancovici“, das einzige Kino „Zeilingher“, das auch als jiddisches Theater genutzt wurde, wenn ein entsprechendes Ensemble durchreiste, die Buchläden „Ștrul Breazu“ und „Globus“, die Wirtshäuser „La Ita cea roșcată“ (Zur rothaarigen Ita) und „Ștrul Cuten“, sowie die Bank von dessen Sohn Nuhăm-Natan Cuten. Zahlreiche Werkstätten und Händler versorgten die Stadt und die umliegenden Dörfer mit ihren Waren. Wenige Juden betätigten sich auch in der Landwirtschaft, züchteten Schafe, oder als En-Gros-Händler mit Nüssen und Trockenfrüchten.

Unentbehrlich für die Wirtschaft

Die Legionärszeit leitete den Niedergang der jüdischen Gemeinschaft in Hârlău ein. Zahlreiche Juden wurden überfallen und ausgeraubt. 1941 wurde die Enteignung jüdischer städtischer Immobilien angeordnet, die Bewohner mussten, um bleiben zu können, horrende Mieten zahlen. Antonescu erließ 1941 ein Gesetz, alle Juden zwischen Siret und Prut in den Süden des Landes umzusiedeln, alle anderen vom Land in die Kreishauptstädte. 40.000 moldauische Juden wurden entwurzelt. Hârlău war die einzige Stadt der Moldau, aus der die Juden nicht vertrieben wurden. Zu verdanken ist dies den guten Beziehungen der Gemeinschaft zum Bürgermeister, Pfarrer und den lokalen Bojaren Ghica-Deleni und Nicolae Polizu-Micșunești. 

Bürgermeister Ioan Agapi setzte sich mit wirtschaftlichen Argumenten gegen die Evakuierung der Juden ein. Diese Dokumente geben Aufschluß über ihre kommerziellen Aktivitäten. Des weiteren wird argumentiert, dank des jüdischen Beitrags zur „Pflichtarbeit“ konnte die Gemeinde bedeutende Arbeiten zur Instandhaltung der Straßen und Wege und zur Aufforstung leisten. Allein die Steuern der Juden beliefen sich auf über 20.000.000 Lei. Juden hatten der Stadt 5.600.000 Lei geliehen und 1.000.000 Lei für soziale Zwecke eingebracht, wovon Lehrwerkstätten und Schulkantinen betrieben wurden.

Dem Antrag auf Verschiebung der Evakuierung wurde stattgegeben, im Zuge der weiteren Ereignisse wurde er schließlich obsolet. Danach noch am Aufbau der Stadt beteiligt, verließen die Juden nach und nach Hârlău. Der Autor schließt, ihr Beitrag bis zum Zweiten Weltkrieg sei substanziell gewesen, sowohl in der Etablierung eines Handelsnetzes zur Vermarktung von landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkten aus der Stadt und den umliegenden Dörfern, als auch aktiv in sämtlichen Sparten des Handwerks.