Nachfolgeregelung im Unternehmen: „Gefühl und Verstand müssen zu einer Symbiose finden“

Gespräch mit Dr. Franz Mattig, Nachfolgespezialist von Mattig Management Partners

Dr. phil. nat. Franz Mattig, diplomierter Steuerexperte, Mitinhaber der Schweizer Mattig-Gruppe mit Sitzen u. a. in Rumänien, befasst sich bevorzugt mit gesamtheitlicher, interdisziplinärer Unternehmungsberatung auf nationaler und internationaler Ebene. Indem er relevante Themenbereiche sichtet, bewertet, systematisiert und miteinander verknüpft, ermöglicht er umfassende Lösungen mit nachhaltig positiven Erfolgsaussichten.

Vor lauter „technischen“ Problemen bei der Nachfolgelösung im Unternehmen kommen die emotionalen Aspekte in der Regel deutlich zu kurz. Doch der Unternehmer, sein berufliches/privates Umfeld sowie der Nachfolger müssen „emotio“ und „ratio“ ins Lot bringen, soll dem gemeinsam vollzogenen Nachfolgeprozess nachhaltiger Erfolg beschieden sein. Im Gespräch mit der ADZ erläutert Dr. Franz Mattig, Nachfolgespezialist von Mattig Management Partners mit Sitzen in Bukarest, Temeswar/Timişoara und Hermannstadt/Sibiu, wie die Regelung der Nachfolge auch emotional gelingt.

Herr Dr. Mattig, beim Thema „Nachfolge“ dominieren die harten Fakten. Warum kommen die Emotionen im Prozess der Nachfolgeregelung oft zu kurz?

Emotionen haben den Ruf, sich wie hochflüchtige Gase zu verhalten. Oft weiß man nicht, woher sie kommen, wohin sie sich verziehen, wann und aus welcher Himmelsrichtung sie das nächste Mal wieder heranwehen. Emotionen lassen sich nicht so einfach fangen und fassen wie vermeintlich rationale „facts & figures“. Emotionen sind nicht das weiche Innere, das übrig bleibt, wenn man bei einem Menschen die Rationalität abschält wie von einer Orange die Haut.
Ein Blick ins etymologische Wörterbuch bestätigt: Das Unstete, Unfassbare, Unkonkrete, Unvorhersehbare und Unbeherrschbare des Begriffs Emotion, den man am ehesten mit „Gefühlsbewegung“ übersetzen kann, versteckt sich bereits in seiner lateinischen Herkunft. Da ist es bis zur Assoziation, Emotionen verhielten sich so unzuverlässig wie flatterhafte Fähnchen im Wind, nur ein Katzensprung. Kein Wunder, dass Emotionen manch vernunftbegabtem Unternehmer lästige Dornen sind, die vielfach im ungünstigsten Moment stechen, sodass Entscheide, die nach allen (rationalen) Regeln der Kunst (bzw. Vernunft) vorbereitet wurden, von einer Sekunde auf die andere im Nichts zerplatzen.

Was kann ein Unternehmer tun, um das – wie Sie sagen – Platzen seiner Nachfolgehoffnungen zu verhindern?

Auf dem Weg zur Nachfolge lauert eine Vielzahl emotionaler Schlaglöcher. Wer diese Straße nicht gründlich saniert und hofft, mit Ausweichen ans Ziel zu gelangen, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Achsenbruch erleiden und auf der Strecke liegen bleiben. Beherzigt man die Managementweisheit, dass ein Unternehmerleben erst dann als gelungen bezeichnet werden darf, wenn auch die „Erntezeit“ – sprich Nachfolge – erfolgreich gestaltet werden konnte, sollte man das Thema Emotionen sehr ernst nehmen. Frank Halter, lic. oec. HSG, Mitglied der Geschäftsleitung Center for Family Business der Universität St. Gallen (CFB-HSG), bestätigt dies: „Die Emotionen sind von zentralster Bedeutung und dürfen nicht negiert werden. Ein rein rationales Abwickeln der Unternehmensnachfolge habe ich noch nie beobachtet.“

Sie schlagen also vor, die emotionalen Aspekte systematisch anzugehen.

Emotionen sind in jeder einzelnen Phase der Nachfolgeregelung präsent und müssen in den gesamten Prozess einbezogen werden. Es ist darum von Vorteil, wenn sich alle Direktbeteiligten (Unternehmer und sein geschäftliches/privates Umfeld, Nachfolger) frühzeitig mit „unbequemen“ Fragen wie den folgenden auseinandersetzen: Bin ich wirklich bereit und willens, meine Nachfolge zu lösen (Unternehmer) bzw. ein Unternehmen zu übernehmen (Nachfolger)? Was erwarte ich von der Zukunft? Wie verhalte ich mich bei Ungewissheiten? Wie sehr machen mir finanzielle Unsicherheiten zu schaffen? Habe ich Angst vor Veränderung? Wie gehe ich mit „Machtverlust“ (Unternehmer) bzw. „Machtgewinn“ (Nachfolger) um? Definiere ich mich (nicht) nur als Funktionsträger (Unternehmer)? Bin ich als Pensionist überflüssig (Unternehmer)?

Diese Art der kritischen Selbstanalyse auf emotionaler Ebene wird wohl vielen Unternehmern alles andere als leicht fallen.

Insbesondere Unternehmer, die ihr eigenes Geschäft über Jahre und Jahrzehnte mit viel Engagement auf- und ausgebaut haben, entpuppen sich gerne als „Emotions-Nihilisten“. Obwohl sie die Notwendigkeit der Nachfolgeregelung rational zwar durchaus einsehen, führen sie zahllose Ausflüchte an, warum der Zeitpunkt jetzt gerade besonders ungünstig sei: Ich arbeite immer noch gerne… Mir geht es gut und ich bin nach wie vor fit… Es gibt für mich noch so viel zu tun… Pensionierung ist etwas für ältere Leute und darum nichts für mich… Meine Kinder sind für die Nachfolge noch nicht bereit… Mein Berater sagt mir dann schon, wenn es soweit ist…

Es ist darum unumgänglich, den Prozess der Nachfolgeregelung auf einer klaren und damit stabilen emotionalen Basis aufzubauen. Um dieses funktionierende Fundament zu schaffen, ist gerade für den Unternehmer Aufrichtigkeit mit sich selbst und seinen Mitmenschen (berufliches/privates Umfeld, Nachfolger) von größter Bedeutung. Er muss sich vom erwähnten „Emotions-Nihilismus“ verabschieden, sich den oben aufgelisteten Fragen offen und ehrlich stellen, die geistigen Ärmel hochkrempeln und emotionale Grundlagenarbeit leisten.

Wie sieht diese emotionale Grundlagenarbeit konkret aus?

Der Unternehmer soll sich auf diese drei Aufgaben konzentrieren:

Erstens: Wünsche, Interessen, Erwartungen und Ziele aller am Nachfolgeprozess direkt beteiligten Personengruppen müssen ausgesprochen, definiert und (schriftlich) festgehalten werden. Begründung: Bei der Regelung der Nachfolge wirken sich Vermutungen, Annahmen oder gar Unterstellungen, Vorhaltungen und Verdächtigungen verheerend aus (von Lügen oder Verheimlichungen ganz zu schweigen…). Wenn der Unternehmer mit seinen Wünschen um keinen Preis herausrückt, die Angehörigen ihre Interessenlage beharrlich verschweigen oder der potenzielle Nachfolger mit seinen Erwartungen eisern hinter dem Berg hält, weiß niemand, woran er ist und wohin die Nachfolge-Reise führt. Unter solchen Umständen kann keine vertrauensvolle Atmosphäre entstehen oder ein fruchtbarer Nachfolgeprozess ins Rollen kommen.
Um den Emotionen-Nebel zu lichten und die wahren Beweggründe sichtbar zu machen, bedarf es einer transparenten Kommunikation, die allgemein akzeptierten Regeln und Abmachungen folgt. Nur in einem stress- und angstfreien Umfeld ist es möglich, die eigenen Emotionen zu offenbaren. Wie Sie wissen, gelten Emotionen als Fenster zur Seele, weshalb dem Unternehmer hier eine einfache Regel helfen kann: Behandeln Sie Ihre Nachfolgeregelungspartner so wie Sie von Ihnen selbst behandelt werden möchten…

Zweitens: Emotionen und Fakten dürfen nicht vermischt werden. Begründung: Auch wenn es der Quadratur des Kreises gleicht: Emotionen und Fakten sollten auseinandergehalten werden. Natürlich ist klar, dass gerade das Wahrnehmen, Bewerten und Gewichten von sogenannt „harten“ Fakten durch die Emotionen des Betrachters beeinflusst wird. Ebenso klar ist aber auch, dass die anzugehenden Fragen möglichst „objektiv“ und sachlich bearbeitet werden müssen. Ideal ist, wenn Bauchgefühl und Verstandesanalyse ein Gleichgewicht bilden und zum selben Resultat führen. Überdeckt oder dominiert die „emotio“ die „ratio“, ist dies ebenso ungünstig wie umgekehrt. Halten Sie sich in diesem Zusammenhang ein einfaches Beispiel vor Augen: Öl und Wasser verbinden sich nicht miteinander. Egal wie intensiv Sie die beiden Flüssigkeiten miteinander umrühren – sie vermischen sich auch mit Gewalt nicht…

Drittens: Unternehmertum ist ein Lebenskonzept.
Begründung: Für die allermeisten Unternehmer ist die eigene Tätigkeit eine Berufung. Sie erleben ihre Aufgabe nicht als Arbeit, sondern als lebenslange Aufgabe. Unternehmerisches Denken und Handeln lässt sich aber nicht wie eine Glühbirne an- und ausknipsen. Unternehmertum beschränkt sich in der Regel auch nicht auf eine normale 40-Stunden-Woche mit fünf Arbeitstagen oder endet abrupt mit dem Erreichen des 65. Lebensjahrs. Es ist darum logisch, dass Unternehmer ihre Daseinsberechtigung, ihr Selbstbewusstsein und ihre Befriedigung mehrheitlich aus dem Unternehmertum schöpfen. Wird das damit verbundene Tätigkeitsfeld – z. B. im Rahmen einer Nachfolgeregelung – gekappt, kann der Unternehmer in eine Sinn- und Lebenskrise geraten. Wer ein Arbeitsleben lang sein ganzes Herzblut ausschließlich der Firma geopfert hat, steht beim Rückzug aus dem Betrieb vielleicht plötzlich vor einer emotionalen Leere. Gerade weil Unternehmertum ein Lebenskonzept ist, sollte der Unternehmer zusammen mit seinem Umfeld rechtzeitig um Ersatz besorgt sein.
Denken Sie daran: Unternehmer sind Menschen, die etwas unternehmen – dies können sie auch außerhalb des bisherigen Geschäfts tun…

Sie haben im zweiten Punkt vom unerlässlichen Gleichgewicht zwischen „emotio“ und „ratio“ gesprochen. Wie kann ein Unternehmer diese beiden Aspekte ins Lot bringen?

Genau diese Frage habe ich vor einigen Jahren dem bekannten Schweizer Jesuitenpater und Zen-Meister Niklaus Brantschen gestellt. Er antwortete: „Ich muss mir als Unternehmer klar werden: Du bist mehr als deine Arbeit. Du bist mehr als dein Unternehmen.“ Menschsein ist ein ganzheitliches Unterfangen bzw. „Projekt“, bei dem alle Fähigkeiten entwickelt werden sollten. Wer nur sein Gehirn trainiert, vernachlässigt seine emotionalen Bedürfnisse und Fähigkeiten. Es entsteht ein ungesundes Gleichgewicht. Die schlimme Konsequenz: In dem Moment, da der Unternehmer loslässt, lässt ihn die Sinnhaftigkeit seines Lebens ebenfalls los und er fällt in das genannte schwarze Loch. „Man kann das Loslassen nicht machen, aber man kann das Machen loslassen“, sagte Brantschen zu mir. Ergo versprechen Nachfolgelösungen eigentlich nur dann Erfolg, wenn in ihnen Gefühl und Verstand zu einer Symbiose finden. In diesem (Ideal)Fall wissen und spüren alle Beteiligten – Übergeber, Nachfolger, Mitarbeitende, Kunden usw. – quasi instinktiv, dass die gefällte Nachfolgelösung gut ist und gelingen wird. Es stellen sich Vertrauen, Zuversicht, guter Wille, Glaubwürdigkeit, Loyalität, Respekt und zu guter Letzt Erfolg ein.

In der dritten Aufgabe erwähnten Sie, dass der Unternehmer auch außerhalb des Betriebs aktiv sein soll – aber auch ihm stehen nur 24 Stunden pro Tag zur Verfügung…

Ein Unternehmer soll das eine tun und das andere nicht lassen. Neben der Arbeit einen Ausgleich finden – neben dem Ausgleich eine Arbeit finden. Alle Tätigkeiten als gleichwertig, gleich wertvoll und gleich wichtig taxieren, behandeln und ihnen Zeit, Energie und Aufmerksamkeit schenken: Mitarbeitende führen, die Enkelkinder hüten, Kunden akquirieren, mit der Partnerin ins Theater gehen, Fertigungsprozesse sicherstellen, ein Buch lesen, Produktpreise verhandeln, sich in der Gemeinde engagieren, die eigene Nachfolge regeln, das Leben nach der Arbeit vorbereiten. Unternehmer, die erst am Tag ihrer (selbstbestimmten) Pensionierung darüber nachdenken, was sie ab dem morgigen Tag tun möchten/sollen, sind hoffnungslos zu spät dran.

Nun zu Ihrem Einwand: Ein Unternehmer der befürchtet, dass diese Strategie des rechtzeitigen und regelmäßigen Austarierens zu einer Verdoppelung seiner persönlichen Belastung in der letzten Tätigkeitsphase als Unternehmer führen könnte, sollte sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst werden. Mit anderen Worten: Möglich ist alles, aber alles ist nicht möglich – das menschliche Leben ist schlicht zu kurz. Damit ein Unternehmer alles unter einen Hut bringt, könnte er einen gewaltig großen Hut fabrizieren lassen. Doch das nützt ihm nichts, weil ihm dieser Hut nicht passen und – im wahrsten Sinne des Wortes – zu einer untragbaren Situation führen würde.

Ist es also sinnvoll, dass ein Unternehmer möglichst früh das Thema Nachfolgeregelung anpackt?

Eine seriöse Nachfolgeregelung, die langfristige Erfolgsaussichten bieten soll, dauert in der Regel rund zehn Jahre. Es ist also höchst fahrlässig, sich als Unternehmer erst im Alter von 70 Jahren Gedanken über das Wann, Wie, Wen usw. zu machen. Ich habe vorhin von den „Emotions-Nihilisten“ gesprochen. Sie haben oft auch große Mühe mit der Tatsache, dass die biologische Uhr gnadenlos tickt. Ich habe ebenfalls vorhin von der eigenen Endlichkeit gesprochen. Dieser Aspekt sollte jeden Unternehmer motivieren, die Nachfolge frühzeitig anzugehen. Dafür ist man eigentlich nie zu jung! Als Unternehmer könnte man sich ja z. B. zu seinem 50. Geburtstag selbst einen Nachfolgeprozess schenken. Wer früh anfängt ist auch früher fertig und hat dann nach zehn Jahren noch genügend Elan und Energie, um mit 60 Jahren wieder etwas Neues anzupacken. Nachfolgeregelung – auch und gerade auf emotionaler Ebene – bedeutet nicht das Ende. Im Gegenteil, ein frühzeitiges Vorgehen eröffnet spannende Perspektiven, neue Horizonte und attraktive Chancen!

„Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt“, soll der legendäre chinesische Philosoph Laotse gesagt haben. Welchen emotionalen Schritt soll ein Unternehmer im Nachfolgeprozess zuerst machen?

Hier zitiere ich gerne wieder Niklaus Brantschen. Er beschreibt einen ersten konkreten Schritt so: „Der Unternehmer sollte geschäftlich, wie auch räumlich, Distanz schaffen. Vielleicht geht er auf Reisen. Distanz tut auf jeden Fall Not. Der Mensch ist nämlich nicht nur ein geistiges Wesen – er ist eingebunden in Gewohnheiten, Gegebenheiten und Abläufe. Blickt ein Unternehmer täglich zum Fenster hinaus und sieht dabei seine Mitarbeitenden, wie sie ihm zuwinken, wird ihm und den anderen die Ablösung nicht leichter gemacht.“