Nadar – Der Mann, der eine Epoche ablichtete

Ausgewählte Porträts im Nationalen Kunstmuseum Temeswar gezeigt

Einer der ersten Weltstars: Die Schauspielerin Sarah Bernhardt von Félix Nadar verewigt.

Das hat er sich so wahrscheinlich nicht vorgestellt: 1863 saß Gaspard-Félix Tournachon mitsamt Gattin in einem eigens gebauten Luftballon fest. Der Aufstieg in die Lüfte, bereits einige Male erprobt, fing bei Paris an und endete nahe Hannover mit einem katastrophalen Absturz, der die beiden beinahe das Leben kostete. Wäre es die letzte Fahrt des Franzosen gewesen, wäre es vermutlich ein passender Abschied von der Welt gewesen. Eine abenteuerliche Geschichte über einen abenteuerlichen Künstler, der sein Leben für die zwei Dinge opferte, die ihm am wichtigsten waren: die Luftfahrt und die Fotografie. 

Beides sind Technologien, die sein Freund Jules Verne in seine Science-Fiction-Romane aufnahm. Schließlich zählt Tournachon zu den Vorreitern einer Kunstform, die erst ein Jahrhundert später die größten Namen hervorbrachte. Als Tournachon, genannt Nadar, starb, waren ein Ansel Adams, Henri Cartier-Bresson oder ein Philippe Halsman noch gar nicht geboren. Der Pionier hatte zum Zeitpunkt seines Todes bereits Geschichte geschrieben. 

Nadar fotografierte sie alle: Den Wegbereiter der literarischen Moderne, Charles Baudelaire; den Mann, der die Zukunft erfand, Jules Verne; den Impressionisten Claude Monet, den Tastenlöwen Franz Liszt. 

Alles, was Rang und Name hatte und besonders die Kunst des 19. Jahrhunderts prägte, wurde von Nadar in einem seiner Studios verewigt. Der Weg dorthin war ein komplizierter: Ursprünglich wollte sich sein Bruder als Fotograf versuchen, was ihm misslang. Später kam es zum Streit um den Namen „Nadar“. Ein Gericht entschied zu Gunsten Félix Tournachons, dem einzig wahren „Nadar“.

Seine Bilder erinnern daran, wie revolutionär das Jahrhundert war, in dem er lebte. Der Aufschwung der Wissenschaft und der Technologie, später von jüngeren Generation beklagt, wurde von Nadar und seinen Zeitgenossen mit einem großen Hurra aufgenommen. 

Schließlich stieg er 1863 in die Lüfte auf, um eines seiner größten Porträts zu fotografieren. Keine Person, sondern eine Stadt: Paris. Nach der Bruchlandung arbeitete Nadar an den ersten Blitzlichtgeräten, um auch in der Dunkelheit der Pariser Katakomben fotografieren zu können. Somit gelang Nadar als erstem Fotografen der Welt Paris sowohl aus luftiger Höhe, als auch aus ihrer finstersten Tiefe zu verewigen. 

Die abenteuerlichen Luftfahrten in dem Riesenballon, genannt Le Géant (dt. Der Gigant), beschreibt Nadar in seinem Buch „A Terre et en l’ Air: Memoires du geant“ welches 1864 erschien. Überhaupt dokumentierte Nadar, der auch als Journalist tätig war, seine Exkursionen in neue Bereiche der Kunst und der Wissenschaft. Mit der „Gesellschaft zur Förderung der Fortbewegung in der Luft mit Hilfe von Maschinen, die schwerer als Luft sind“ gründete er sogar einen Club für diejenigen, die wie er davon träumten, die Lüfte zu erobern. 

Es waren aber seine Fotografien, die den Weg für andere ebneten. Gebe es heute einen Starfotografen wie etwa Platon Antoniou ohne die Pionierarbeit eines Nadar? Vielleicht. Unumstritten ist der geschichtliche Wert seiner Arbeiten. Die Portraits großer Männer und Frauen, die sonst gesichtslos geblieben wären. Und trotz den technischen Einschränkungen seiner Zeit erkennt Nadar die Bedeutung von Licht und Komposition. Noch weit von den Möglichkeiten entfernt, die sich im 20. Jahrhundert erschließen, erfüllen seine Bilder bereits viele der Kriterien, nach denen man ein gutes Porträt bewertet. 

Viele Erfolgsgeschichten konnte Nadar nicht schreiben. Schließlich versuchte er sich in vielem und scheiterte auch in vielem. Ein abgebrochenes Medizinstudium zum Beispiel. Als Unternehmer ging er finanziell zu Grunde, als Freiheitskämpfer ins Gefängnis. 

Doch trotz Fehlschlägen suchte Nadar bis zum Ende nach dem nächsten großen Abenteuer. Ein Mann seiner Zeit, ein Optimist, ein Visionär und ein Pionier. Wäre Le Géants Flug von Paris nach Hannover 1863 der letzte Flug Nadars gewesen, es wäre eine Tragödie für die Epoche gewesen, die damit in glorreicher Tragik ihren wichtigsten Porträtfotografen verloren hätte. Wie hätte dann wohl das Bild eines Jahrhunderts ausgeschaut?


Die Ausstellung „Die großen Porträts Nadars“ wird bis am 15. September im Nationalen Kunstmuseum Temeswar gezeigt.