„Nein, diese neue Ordnung wird niemals funktionieren“

Drehscheibe Athénée Palace – Rosie Gräfin Waldeck berichtet aus Bukarest über Hitlers Pläne für Europa

Ernest H. Latham (Mitte) mit Dagmar Zink Dusil (v. li.), Ioana Ieronim, Hannelore Neves bei der Buchvorstellung im Schillerhaus. Foto: George Dumitriu

Sie war die einzige Kriegsberichterstatterin, die ausschließlich aus einer Hotellobby heraus meldete, spotten böse Zungen. Andere verdächtigten die in Deutschland geborene jüdische US-Journalistin wegen ihrer Kontakte zu verschiedenen Nazi-Größen als deutsche Spionin. Auf jeden Fall muss sie Aufsehen erregt haben, die betörend elegante Vierzigjährige, die an einem heißen Sommertag – am 14. Juni 1940, der Tag, an dem Paris fiel - im Bukarester Athénée Palace eincheckte. Und siebeneinhalb Monate in der Hauptstadt des letzten Landes, das „Hitler-Europa“ von Russland trennte, blieb. Rosie Gräfin Waldeck war freie Berichterstatterin der US-Zeitung „Newsweek“. „Ihr Zimmer im ersten Stock des Athénée Palace war ein Platz in der ersten Reihe mit Blick auf eine kritische Zeit in der Geschichte Rumäniens, des Balkans und Europas“, so der amerikanische Historiker und Diplomat Ernest H. Latham.

Vom ersten Abend an taxiert von lüsternen Augen, umschwärmt von Offizieren, Diplomaten und Adligen, war ihr der Spagat zwischen schlüpfrigen Anzüglichkeiten auf den plüschigen Sofas der Lobby in der berühmtesten Herberge des Balkans und der gespielt-verschwörerischen Vertrautheit im lebhaften Austausch auf der Jagd nach Informationen wohlvertraut. Geschätzt als kluge Gesprächspartnerin, gleitet sie zielsicher zwischen Militärs, Salondamen, Journalisten und Spionen, politischen Strippenziehern und Intriganten, die fließend ineinander übergehen. Unter ihrer Feder nehmen historische Ereignisse Farbe und Form an: der Verlust der Bukowina und Bessarabiens, die Organisation der Auswanderung der dortigen Deutschen; der noch schmerzlichere Verlust eines Teils Siebenbürgens, von Hitler angeordnet und von den Rumänen zähneknirschend hingenommen.

Einfühlsam beschreibt sie das Trauma der frankophilen Rumänen nach dem Fall von Paris - und den Versuch, sich an die Deutschen, die neue Macht in Europa, anzunähern. Den Sturz und die Vertreibung König Carols II. und die Machtergreifung der Eisernen Garde, ein zahnloser Tiger, nachdem ihre Führer jahrelang verfolgt und hingemetzelt worden waren, geduldet von General Ion Antonescu, bis er mit Hitlers Segen ihr Ende besiegelte. Die Revolution der Gardisten unter Horia Sima und ihre kurze Koexistenz mit Antonescu, ihre bis zuletzt hochgehaltene Illusion, die Deutschen würden sie als faschistische Brüder schätzen - und schützen. Dann, wie die abservierten Gardisten ihre unblutige Revolution mit blutigen Pogromen in Bukarest beenden, Synagogen niederbrennen, Menschen wie Schweine abschlachten und an Fleischerhaken mit dem Schild „koscher“ aufhängen. „Wut an der Gegenwart und Verzweiflung an der Zukunft, die zur Frustration der Vergangenheit hinzukamen, hatten aus dem Gardisten-Pöbel Bestien gemacht“, schreibt Waldeck.

Immer wieder hebt sich der Vorhang spektakulär unter ihrer spitzen Feder. Gibt den Blick auf die Bühne der Geschichte frei: auf die korrupte königliche Kamarilla, die verhasste Königsmätresse Elena Lupescu, den charismatischen Gründer der Eisernen Garde, Corneliu Zelea Codreanu, der in Bauernkleidung auf weißem Pferd durch die Dörfer ritt. Auf Intrigen, Ränkespiele und die Namen, die dahinter stehen: Malaxa, Auschnitt, Dr. Tester. Auf die Nazis, die im Athénée Palace ein- und ausgingen: Nicht alle waren mit Hitlers Ideen einverstanden, und doch standen sie geschlossen zu der Rolle Deutschlands als Kraft hinter der neuen Ordnung, die es in Europa zu installieren galt. Warum? Und warum war diese, so Waldeck, von Anfang an zum Scheitern verurteilt?

Ein Hotel als Drehscheibe

Februar 1942. Zwei Monate nach Amerikas Eintritt in den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht Rosie Gräfin Waldeck ihr sensationelles Buch „Athénée Palace“ über die während ihres Aufenthaltes gewonnenen Einblicke. Ein Kriegsbestseller, erschienen zum bestmöglichen Zeitpunkt. „Es war sozusagen der letzte Blick einer Amerikanerin, bevor sich die Tür schloss zu einem von Nazis beherrschten Europa“, sagt Latham über das im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ vorgestellte Buch: R. G. Waldeck, „Athénée Palace. Hitlers ‘Neue Ordnung’ kommt nach Rumänien“, aktuell in deutscher Übersetzung im Pop Verlag erschienen.

Zu Gast waren neben dem US-Historiker die Schriftstellerin und Übersetzerin des Werks, Dagmar Zink Dusil, sowie die österreichische Literaturkritikerin Dr. Hannelore Neves, die sich zuvor vergeblich für eine Übersetzung des Buchs engagiert hatte, und die Schriftstellerin Ioana Ieronim. Neves spekuliert, warum es bisher von deutschen Verlagen abgelehnt worden war: Die Nazis kamen darin zu gut weg.

Waldeck pflegte in ihrer Bukarester Zeit zahlreiche Kontakte zu hochrangigen Offizieren: Einen, den sie im Buch nur als „das hohe Tier“ bezeichnet, identifiziert Historiker Marc Atwood als Johann von Ravenstein, General unter Rommel in Nordafrika. Eine vertrautere Gesprächsbeziehung entsteht mit einem österreichischen Grafen, begeisterter Hitler-Anhänger, Nazi-Karrierist. Allerdings, räumt Neves ein, hatten die Nazis zu dem Zeitpunkt ihr monströses Gesicht noch nicht gezeigt. In Waldecks ausgeglichener Art der Beschreibung erkennt sie „den ehrlichen Versuch, zu verstehen, was die Deutschen wollen.“ Zwar beschreibt Waldeck die Nazis in Bukarest als gutaussehend, höflich und gebildet. Doch wittert sie, fern davon, sich blenden zu lassen, dahinter Strategie: Auf diese Weise wolle man erobern, bevor noch ein Panzer rollt.

Salondame Edit von Coler, angebliche Hitler-Spionin, nimmt Rosie von Waldeck in ihre Kreise auf. „Jedermann im Athénée Palace betrachtete Frau von Coler als eine Mata Hari der 40er Jahre, eine Vereinfachung, die alle glücklich machte“, sinniert diese. „Aber in Wahrheit war Frau von Coler so weit entfernt von Mata Hari wie eine Panzerdivision im Jahr 1942 von der Kavallerie 1914.“ Sie war nicht Hitlers Spionin, schließt sie, sondern eine Hitler-Propagandistin. Ihre Aufgabe sei wesentlich komplexer gewesen. Verführung war nicht mehr genug.

Dass Waldeck zwischen Beobachtung, eigenen Gedankengängen, mit ihren Gesprächspartnern diskutierten Sachverhalten oder von diesen vermittelten Ansichten klar unterscheidet, macht die Ergebnisse ihrer Analysen auch rückblickend interessant. Distanziert als Beobachter, erweist sie sich hingegen in der Kunst der Gesprächsführung als Meister: Auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen der Eisernen Garde und Antonescu, gibt sie „ihrem“ Grafen gegenüber vor, zu wissen, wen Hitler unterstützt. Dieser reagiert verblüfft: „Glücklicherweise haben wir eine Zensur hier und Sie können diese Information nicht verwenden.“ Er bestätigt die Information, fragt beharrlich nach der Quelle. „Ich bekannte, dass niemand mir etwas gesagt hatte“, gesteht Rosie, „sondern dass ich Hitlers Verhaltensweise herausgekriegt hatte, genauso wie der Dorftrottel den Affen findet: Indem ich mich fragte, wohin ich mich verstecken würde, wenn ich ein Affe wäre. Eine Methode, mit der ich zwanzig Jahre lang beobachtet hatte, wie die Politik sich entwickelt, was häufig zu genaueren Schlussfolgerungen führte als die meisten sogenannten Informationen.“

Spionin oder Abenteurerin?

Was motivierte den Einsatz dieser Frau, in dem sie nicht nur ihr Privatleben, sondern auch ihre Identität als Jüdin völlig in den Hintergrund stellte? Letzteres wurde ihr später von jüdischen Zeitgenossen als Verrat angekreidet. Das FBI hatte sie wegen ihrer deutschen Kontakte zeitlebens beobachtet, auch wenn sich der Verdacht auf Spionage nie bestätigte. Ein Grund waren ihre Besuche in Deutschland, nachdem sie bereits in die USA ausgewandert war. „Juden, die Nazi-Deutschland verlassen hatten, gingen nicht zurück“, erklärt Latham. Verdächtig auch, dass sie Johann von Ravenstein während seiner Kriegsgefangenschaft in Kanada besuchte. 800 Seiten umfasste ihre Akte beim FBI – eine wertvolle Quelle beim Studium ihrer Biografie, bekennt Latham.

Rosie von Waldeck schreibt, ihre Nazi-Kontakte in Bukarest hätten offenbar keine Probleme mit ihrer nicht-arischen Herkunft gehabt. Auf die direkte Frage an den Grafen, ob sie nicht seiner Karriere schade, antwortete dieser, hohe Offiziere seien von den Regeln ausgenommen.
War Waldeck nun Spionin? Oder reizte sie schlicht und einfach die Jagd nach Informationen, das Kombinieren, der Versuch, zu verstehen? Eine intellektuelle Herausforderung, der sie umso freier nachgehen konnte, wenn kein staatlicher Auftraggeber sie mit Vorschriften einschränkte.

Zweifellos war die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Bankiers, geboren als Rosa Goldschmidt am 24. Juli 1898 in Mannheim, zeitlebens eine Abenteurerin. Reisen, auch monatelang und in ungewöhnliche Ecken der Welt, prägten schon vor dem Einsatz in Bukarest ihre Biografie. Nach ihrer ersten Scheidung 1925 von dem Gynäkologen Ernst Gräfenberg verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt nach Paris, wo sie die Leidenschaft zum Journalismus entdeckte. Franz Ullstein, Leiter des gleichnamigen Verlagskonsortium, stellte sie 1927 als politische Berichterstatterin ein. 1928 reiste sie für vier Monate nach Moskau, Leningrad, Nish-ni-Nowgorod, Saratow, Tiflis, Baku, Armenien, Kiew, Charkow, dann nach Französisch-Westafrika: Dakar, Gaoua, Oua-gadougou, Bobo-Dioulassour, Segou. Nach ihrer Rückkehr machte ihr der gut 30 Jahre ältere Witwer einen Heiratsantrag. Die Ehe löste einen Skandal in der Familie Ullstein aus, die Scheidung war vorprogrammiert.

1931 reist Rosie zum ersten Mal in die USA. Sie beschließt, zu bleiben, kehrt jedoch mehrmals nach Deutschland zurück. Nach der Lektüre ihrer 1934 veröffentlichen Autobiografie schreibt Malcolm Cowley: „Wenn man ihr Buch gelesen hat, gefällt einem Hitler keineswegs besser, aber man kann verstehen, warum viele Menschen ihn als Retter betrachten.“

Die Zeit bis zu ihrer Einbürgerung in den USA überbrückt Rosie durch eine Scheinehe mit dem ungarischen Grafen von Waldeck, was ihr einen ungarischen Pass beschert. Dieser war nötig, weil Nazi-Deutschland die Pässe ausgewanderter Juden annullierte.

Waldeck machte durch mehrere Liebschaften von sich reden, verrät Latham. Ob sie ihre Reize auch gezielt zur Informationsgewinnung einsetzte, bleibt offen. In ihrem Buch deutet sie selbst nur an einer Stelle an, wie enorm der Druck der Männerwelt gewesen sein muss, in der sie sich als attraktive Frau – recht selbstsicher - bewegte.

Hitlers geschlossene Anhängerschaft

Eine Frage, die Waldeck stark bewegte, war die Dynamik der Nazi-Revolution, die „durch die ganze militärische und bürokratische Maschinerie von Hitlers Deutschland ging“. Über Dr. Carl Clodius, Chef der Sektion Wirtschaft, schreibt sie: „Menschen wie er fanden viele Dinge im Dritten Reich verwerflich, wogen sie aber gegen Dinge ab, die sie für lohnend hielten.“ Das „hohe Tier“ gestand ihr, dass die Behandlung der Juden das war, was er am wenigsten an der nationalsozialistischen Revolution billige: Die Ungerechtigkeit daran sei schwer zu ertragen. „Aber Hitler braucht seine hohen Offiziere“, kontert Rosie. „Sie hätten sich wirkungsvoll gegen Verfolgung einsetzen können.“ Ravenstein entgegnet: „Es hätte nur Uneinigkeit verursacht, und wir müssen einig sein, um stark zu sein.“ Für die amerikanische Öffentlichkeit sei diese Ansicht schwer zu verstehen, ganz gleich, wie nützlich dies für das Wohlergehen des Staates sei, argumentiert sie weiter. „Woraufhin er mich anstrahlte: ‘Ich mag es, dass es ein reiches und großes Volk gibt, das sich den Luxus leisten kann, gut zu sein.’“ Auch „ihr“ Graf glaubte fest an die neue deutsche Ordnung.

„Es war wie ein Rausch. Alle sagten, dass sie sich niemals so frei in ihrer Arbeit gefühlt hätten, wie sie es jetzt waren, mit keinem Reichstag, der sich im falschen Moment einmischte, und dass man ihnen niemals erlaubt hätte, so viel persönliche Initiative zu entwickeln wie jetzt, oder dass sie von oben so viel uneingeschränkte Anerkennung erhielten.“

Zuerst dachte sie, der Grund dafür sei, dass sie auf der Seite der Gewinner stehen wollten. Doch dies war nicht der Fall. Die meisten von ihnen schienen zu glauben, der Krieg würde auf einen Kompromiss hinauslaufen, sollte sie bald erkennen.

Warum die deutsche Ordnung scheitern musste

Zunächst zeigt sich Waldeck beeindruckt von der Erscheinung der Deutschen, die in Colers Gesellschaft verkehrten oder im Athénée Palace ein- und ausgingen. Auch die Art und Weise, wie sich Deutschland am wirtschaftlichen Aufbau Rumäniens beteiligt, findet ihre uneingeschränkte Anerkennung. Europa lag Hitler zu Füßen. Doch sie fragte sich: „Wie lange könnte Hitler es schaffen, seinen Charme zu beweisen? Und wie würde er es anpacken, um ihn nach dem Krieg zu beweisen, wenn er nicht mehr mit Panzern und Fallschirmspringern sprechen könnte? Würde Hitler mit seiner neuen Ordnung die Seele Europas gewinnen?“

Schnell kommt sie zu dem Schluss, dass Hitlers geplante neue Ordnung niemals funktionieren könne. Nicht in Zeiten des Friedens, selbst dann nicht, wenn er den Krieg gewinnen sollte. Auf den ersten Blick sah sie wie eine vollkommene Ordnung aus, doch „auf den zweiten Blick fand man, dass das wichtigste Element, das für jede Ordnung unerlässlich ist, fehlte“, analysiert sie: „die universelle Barmherzigkeit“. „Die Nazi-Ordnung stützte sich auf die Dreieinigkeit von Rasse, Nation und Staat. Jeder, der weder nordisch noch deutsch war, galt als Ketzer.“ Doch „die Kirche lässt jeden Ketzer, der bereut und das Licht sieht, an ihrer Barmherzigkeit teilhaben, aber in der neuen Nazi-Ordnung konnten nur die Deutschen auf Rettung hoffen.“

Vor ihrer Abreise fasst sie zusammen: „Durch ihre grausame Politik in Rumänien hatten die Deutschen den guten Willen einer Nation verloren, die nur zu bereit war, sie zu lieben und zu bewundern. In nur fünf Monaten hatten sie Rumänien seines Königs, seiner besten Provinzen, seiner Revolution beraubt und hatten die Rumänen dazu gebracht, solchen Terrororgien zu frönen, dass sie Spuren hinterließen wie eine schreckliche Krankheit. So kann man Europa nicht organisieren. Nein, diese neue Ordnung wird niemals funktionieren.“