Nicht nur Temeswar als Musical

Zum 25. Musical des Münchner Pädagogen und Musikers Wilfried Michl

Unverkennbar: Temeswarer Domplatz auf der Bühne des Musicals „Ilonka und die Macht der Karten“ (2012)

Wilfried Michl

Bereits die Handlung des „Zigeunerbarons“ soll sich ja in der Nähe Temeswars abgespielt haben. Franz Lehár lässte seine „Zigeunerliebe“ im Banater Bergland, am Ufer der Tscherna (Cerna), erblühen und in seiner Operette „Wo die Lerche singt“ gibt es sogar ein „Lied von Temesvár“… Also weshalb soll nicht auch im 21. Jahrhundert das Banat wieder im Mittelpunkt eines Musicals stehen – die Operette soll ja seit Lehár ausgestorben sein. Und so wurde vor einigen Jahren das Temeswar-Musical „Ilonka und die Macht der Karten“ zwölf Mal (!) in der Münchner Fachakademie für Sozialpädagogik gegeben. Und immer ein volles Haus.

Aschenputtel fällt aus dem Rahmen

Eigentlich ist Wilfried Michl schon seit einem halben Jahr in Rente und könnte gemütlich die freie Zeit genießen. Stattdessen steht er in der Aula der Städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik und gibt dem Musical-Orchester letzte Anweisungen.
Der in Orzydorf geborene Sänger, Pädagoge und Komponist Wilfried Michl hat vor wenigen Tagen sein 25. Musical in München auf die Bühne gebracht. Vor 25 Jahren inszenierte er dort zum ersten Mal ein Musical, „Prinz Pfifferling“ hieß es. Seitdem führt die Schule jedes Jahr ein Singspiel auf, begleitet von einem großen Orchester, das jährlich bis zu 4000 Zuschauer in die Aula lockt. „Aschenputtel fällt aus dem Rahmen“ stand in diesem Jahr auf dem Programm. Der 66-Jährige ist gelernter Opernsänger, aber ein Musical auf die Beine zu stellen, war auch für ihn damals neu. Bis heute komponiert er die Musik selbst, die in diesem Jahr irisch und schottisch angehaucht ist.
Viele der Darsteller haben längst ihren Schulabschluss gemacht und kehren dennoch jedes Jahr erneut auf die Bühne zurück. Nicht zuletzt ihnen ist es zu verdanken, dass das Musical so ein Erfolg geworden ist. „Die Ehemaligen sind eine große Hilfe. Sie unterstützen die Neuen und ziehen alle mit“, erklärt Wilfried Michl. So beginnt das große Projekt für die meisten direkt nach den Sommerferien mit dem Vorsingen.

Seit vielen Jahren bestreitet Wilfried Michl als Bariton zahlreiche Konzerte mit Werken Banater Komponisten nicht nur in Deutschland sondern auch im Banat. Und zwischen den Auftritten in Maria Radna oder Lugosch wird am neuen Musical komponiert. Ich weiß nicht, ob es die Banater Luft ist, die dem Komponisten solche gelungene Einfälle bietet, oder das ganze Ambiente um eine solche Konzerttournee herum. Jedenfalls ist das jeweilige Musical jährlich im September fertig und die Proben können beginnen.
Die jugendlichen Teilnehmer investieren viel Zeit und Ausdauer, vor allem des Teams wegen. Wer 100 Prozent geben will, steht allerdings auch vor Herausforderungen, Lehrkräfte wie Schüler. Denn während das Musical vorbereitet wird, geht der Schulbetrieb wie gewohnt weiter. Der Stresslevel ist extrem hoch, weil sich jeder selbst unter Druck setzt. Auch Wilfried Michl weiß das und gibt zu, dass in jeder Saison die letzten der zwölf Aufführungen die besten sind, weil die Darsteller dann schon mehr Routine haben.

Wenn am 1. Februar die letzte der zwölf Vorstellungen vorbei ist und der Druck von allen abfällt, ist die Atempause für die Organisatoren nur kurz. Für sie geht es schon bald wieder von vorne los. Im März werden Ideen für das nächste Stück gesammelt, die Musik wird komponiert und das Drehbuch geschrieben – damit, wenn das neue Schuljahr beginnt, wieder neue Darsteller gesucht werden können. Nur ob Wilfried Michl bei der Organisation erneut in der ersten Reihe steht, ist noch nicht klar. Der 66-Jährige möchte sich jetzt langsam zurückziehen. Aber ganz kann er das Musical und vor allem die Musik noch nicht loslassen. „Jetzt habe ich ja Zeit dazu“, sagt Wilfried Michl und lacht.

Chancen für das Temeswar-Musical in Temeswar?

Mitten auf der Bühne steht in ihrem ganzen Stolz die Pestsäule, rechts davon sieht man einige Prachtfassaden des Domplatzes, davor Temeswarer Bürger in ungarischen, rumänischen und banat-schwäbischen Trachten. Dazu eine von Temperament sprühende Musik mit allen Ethnoelementen dieser multiethnischen Region, vom Taragot über den Zimbal bis hin zur schwäbischen Blechmusik. Fast wie in einem Zigeunerbaron des 21. Jahrhunderts geht’s hier auf der Bühne zu. Und das Publikum tobt.
So präsentierte sich das Musical Wilfried Michls im Jahre 2012 in München: „Ilonka und die Macht der Karten“. Die Musik will durch deutsche, rumänische und ungarische Motive das Multiethnische besonders in den Volksszenen einbringen. Man hat auch versucht, durch ungarische, rumänische, „temeswarerische“ und schwäbische Sätze das Lokalkolorit einzufangen. Zwei der Darsteller sind gebürtige Ungarn und konnten die ungarischen Elemente betreuen. Eine Studierende ist in Hatzfeld geboren und hat die rumänischen Textstellen betreut. Wilfried Michl selber, der in Orzydorf aufgewachsen ist, hat versucht, die schwäbischen Texte möglichst akzentfrei zu vermitteln. Dazu tanzt ein Bär. Als musikalischer Höhepunkt sind, um ein harmonisches Miteinander der Völkergruppen zu versinnbildlichen, ein ungarisches, deutsches und rumänisches Motiv polyphon übereinandergelegt. 

Natürlich wäre ein solches Musical ideal für ein jugendliches Ensemble in Temeswar. Trotz bisheriger Gespräche und Bemühungen mit Institutionen Temeswars (Europäische Kulturhauptstadt 2021!) gibt es aber noch keinerlei Reaktionen. Aber: was nicht ist, kann noch werden.