Nichts ist ewig in unserer vergänglichen Welt

Zur Ewigkeitsgarantie in der rumänischen Verfassung

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Der Rat der Front zur Nationalen Rettung (Consiliul Frontului Salvării Naționale, CFSN), der zu wesentlichen Teilen aus der alten Nomenklatura bestand und die politische Souveränitätsnachfolge des totalitären Regimes antrat, übernahm nach dem Tod Nicolae Ceaușescus auch die grundlegenden staatlichen Funktionen. Von Februar bis Mai 1990 bildete sich zusätzlich der Provisorische Rat der Nationalen Einheit (Consiliul Provizoriu de Uniune Națională, CPUN) – eine Art Vor-Parlament – als rumänische Variante des Runden Tisches, welcher den Handlungsrahmen zur institutionalisierenden Verfassunggebenden Versammlung abstecken sollte.

Wortführer war dabei der CFSN, andere Oppositionsgruppen hatten eher eine symbolische Bedeutung. Das vom CPUN verabschiedete Wahlgesetz regelte gleichwohl weit mehr als die bloße Durchführung der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung. Tatsächlich stellte das Wahlgesetz eine Vor-Verfassung dar, welche detaillierte Vorgaben zur künftigen Staatsform (Präsidialrepublik), zum Wahlmodus des Staatspräsidenten (allgemeine und direkte Wahl) und zur Struktur des künftigen Parlaments (Zweikammer-Parlament) machte. Die auch als legislative Institution fungierende Verfassunggebende Versammlung wurde schließlich am 20. Mai vom Volk gewählt. Die zur Partei formierte Front der Nationalen Rettung erreichte dabei in beiden Kammern eine Zweidrittel-Mehrheit und konnte folglich den verfassungsgebenden Prozess dominieren. Weiterhin gewann der noch im Dezember 1989 vom CFSN zum vorläufigen Staatspräsidenten ernannte Ion Iliescu die Präsidentschaftswahl schon im ersten Urnengang mit einer deutlichen Mehrheit von 85,1 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen.

Der erste Textentwurf einer neuen rumänischen Verfassung, der von einem 23-köpfigen Komitee ausgearbeitet wurde, war einer „der illiberalsten Verfassungsentwürfe, die bis dahin in einem osteuropäischen Land vorgelegt wurden“ (John Elster). Auf Druck des Europarats, der neben anderen Institutionen die Versammlung beriet, wurde der Entwurf deutlich verbessert und am 21. November 1991 vom Parlament (Verfassunggebende Versammlung) mit einer Mehrheit von 81,2 Prozent der Stimmen verabschiedet. Darüber hinaus kam es am 8. Dezember noch zu einem ursprünglich nicht vorgesehenen Verfassungsreferendum, welches die neue Verfassung mit 77,3 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen bestätigte. Am gleichen Tag trat die Verfassung in Kraft.

Die absehbaren Beitritte zur Europäischen Union sowie zur NATO machten schließlich Anfang des neuen Jahrtausends eine umfassende Verfassungsrevision notwendig, über die ein parteiübergreifender Konsens – mit Ausnahme der Großrumänienpartei (Partidul România Mare, PRM) – herrschte. Im Juni 2002 wurde auf Initiative beider Parlamentskammern ein Ausschuss zur Ausarbeitung von Vorschlägen für eine Verfassungsreform eingesetzt, der aus 21 Abgeordneten und Senatoren und je einem Vertreter von Regierung und Präsidialamt sowie dem Ombudsmann bestand. Des Weiteren wurde mit der Gründung eines zivilgesellschaftlichen Verfassungsforums, welches sich aus je einem Abgeordneten der Parlamentsparteien und Minderheitenorganisationen sowie Vertretern der Nicht-Regierungsorganisation Asociația Pro Democrația zusammensetzte und Änderungsvorschläge aus der Bevölkerung sammeln sollte, eine zumindest partielle Beteiligung der Zivilgesellschaft sichergestellt. „Dieses konsensuelle Vorgehen stellte die Verfassungsänderung auf eine breite Basis und sicherte die Zustimmung von Parlament und Bevölkerung“ (Ralf Thomas Göllner).

Die Schlussabstimmungen zum Gesetz 429/2003 (Verfassungsrevision) am 16. September 2003 endeten im Senat mit 100 zu 37 und im Abgeordnetenhaus mit 265 zu 62 Stimmen. Das obligatorische Verfassungsreferendum nach Artikel 147, welches laut Referendumsgesetz ein Quorum von 50 Prozent + 1 Stimme erreichen musste, fand bei einer Wahlbeteiligung von 55,70 Prozent eine Zustimmung von 91,06 Prozent. Die revidierte Verfassung trat am 29. Oktober in Kraft.

Artikel 152 der Verfassung (unverändert aus der Version von 1991 übernommen, damals als Artikel 148 geführt) regelt im Kapitel „Änderung der Verfassung“ „Die Beschränkungen der Revision“:

(1) Die grundsätzlichen Bestimmungen dieser Verfassung, der nationale, unabhängige, einheitliche und unteilbare Charakter des rumänischen Staates, die republikanische Regierungsform, die territoriale Integrität, die Unabhängigkeit der Justiz, der politische Pluralismus und die offizielle Sprache können nicht Gegenstand einer Revision sein.

(2) Des Weiteren können keine Veränderungen verfasst werden, welche als Resultat die Revision der Rechte und fundamentalen Freiheiten der Staatsbürger oder ihrer Garantien zur Folge haben.

Insbesondere die gleich mehrfache Betonung des Charakters Rumäniens ist auf den ersten Blick verwunderlich, lässt sich aber aufgrund der Historie durchaus nachvollziehen, welche zu dem Bedürfnis nach der Sicherung der staatsrechtlichen Grundsätze führte. Im Vertrag von Trianon wurden Rumänien wesentliche Gebiete zugesprochen und aus dem Nationalstaat ein Vielvölkerstaat, was Konflikte insbesondere mit Teilen der ungarischen Bevölkerung provozierte. Nur wenige Jahre später führte dann der Zweite Wiener Schiedsspruch zum Verlust einiger erst 1918 angeschlossenen Gebiete. Aus diesen historischen Umständen erklären sich die Festschreibung des nationalen, einheitlichen und unteilbaren Charakters Rumäniens und zudem die Festlegung der Amtssprache. Aufgrund seiner einstigen Lage im Spannungsfeld zwischen dem Russischen Reich einerseits und dem Habsburger Reich andererseits sowie der daraus folgenden Machteinflüsse schützt die Verfassung wiederum besonders die Unabhängigkeit Rumäniens und seine territoriale Integrität. Erfahrungen mit diktatorischen Regimen erklären weiterhin den Schutz der republikanischen Staatsform, des politischen Pluralismus und der Unabhängigkeit der Justiz.

Neben den materiellen Hürden haben die Verfassungsgeber, sowohl in der Version von 1991 als auch in der von 2003 (wortgleich übernommen), auch formale Hürden der Verfassungsänderung erlassen, welche die Stabilität gewährleisten sollen. Artikel 150 schränkt dabei zunächst die Initiativberechtigten ein:

(1) Die Revision der Verfassung kann vom Präsident Rumäniens auf Vorschlag der Regierung, von mindestens einem Viertel der Abgeordneten oder Senatoren sowie von 500.000 wahlberechtigten Staatsbürgern initiiert werden.

(2) Die Staatsbürger, welche die Revision initiieren, müssen min-destens der Hälfte der Kreise des Landes angehören, und in jedem der entsprechenden Kreise oder dem Munizipium Bukarest müssen mindestens 20.000 dokumentierte Unterschriften das Anliegen unterstützen.
Artikel 151 regelt das Änderungsverfahren:

(1) Der Entwurf oder der Revisionsvorschlag muss von der Abgeordnetenkammer und dem Senat jeweils mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 in beiden Kammern angenommen werden.

(2) Führt das Mediationsverfahren zu keiner Einigung, treffen sich Abgeordnetenkammer und Senat zu einer gemeinsamen Sitzung und entscheiden mit einer Mehrheit von drei Vierteln aller Abgeordneten und Senatoren.

(3) Die Revision ist verabschiedet nach der Bestätigung durch ein Volksreferendum, welches innerhalb von 30 Tagen nach der Annahme des Entwurfs oder des Revisionsvorschlags organisiert werden muss.
Trotz diverser Verfassungskrisen in den folgenden Jahren und eines 2013 einberufenen Parlamentsausschusses zur Reform der Verfassung sind bisher alle neuerlichen Anläufe einer Verfassungsänderung versandet.
Die praktische Relevanz von Ewigkeitsgarantien

Rumänien ist neben der Tschechischen Republik und der Republik Bulgarien das osteuropäische Transformationsland, welches durch eine Ewigkeitsklausel einen unveränderlichen Verfassungskern sicherstellt. Die Mehrheit der posttotalitären Verfassungen hat hingegen auf eine solche Lösung verzichtet, stellt aber wie in der Republik Polen, der Republik Lettland, der Republik Litauen sowie der Slowakischen Republik besonders wichtige Verfassungsabschnitte unter eine erhöhte Änderungshürde.

Das Vorhandensein einer Ewigkeitsklausel hat hingegen überwiegend historische Motive. Einerseits sollten bestimmte Machtverhältnisse in den Verfassungen festgeschrieben und andererseits eine Wiederholung von negativen historischen Erfahrungen verhindert werden. Ob und inwieweit inhaltliche Schranken der Verfassungsrevision möglich sind, wurde bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in der Staatsrechtslehre, insbesondere mit Blick auf die französische Republiksklausel von 1884 ausgiebig diskutiert. Dabei wurde die rechtstheoretische Möglichkeit einer Ewigkeitsgarantie immer dann in Frage gestellt, wenn nicht der Lehre der verfassungsgebenden Gewalt gefolgt wurde.

Für die Bewertung der rumänischen Ewigkeitsklauseln ist zunächst allgemein festzuhalten, dass das Land ein demokratischer Staat ist, der seine Verfassung wenigstens in einer Verfassungsgebenden Versammlung verabschiedet hat. Der naheliegende Gedanke ist folglich der, dass eine Totalrevision der Verfassung immer mit mindestens den gleichen Anforderungen möglich sein sollte. Dies gebietet schon die Verantwortung gegenüber den nachfolgend Geborenen. Der Staatsrechtler Georg Jellinek (1851-1911) vertrat sogar die Ansicht, dass eine bestehende Ewigkeitsgarantie legal überhaupt nicht aufgehoben werden kann. Dies galt seiner Ansicht nach auch für den Fall, in dem kein ausdrückliches Änderungsverbot die Klausel schützt. Denn ein Aufhebungsverbot sollte ihr immanent sein. Andernfalls würde eine solche Garantie ihre Wirkung von vornherein verfehlen.

Doch Jellinek konstatierte auch, dass sich Änderungserschwernisse und Änderungsverbote früher oder später der „normativen Kraft des Faktischen“ beugen müssen. Haben Ewigkeitsgarantien also lediglich einen symbolischen Wert oder entfalten sie ihre Stärke erst durch die „faktische Kraft des Normativen“?