„Nothelfer“ waren gefragt – und sie sind gekommen

Das Kirchendach der nördlichsten Kirchenburg in Siebenbürgen ist gerettet

Fotos: Sorin Județ

Am gleichen Tag, an dem um uns ein Krieg ausbrach, brechen in Siebenbürgen die ehrenamtlichen Helfer der Ambulanz für Denkmäler mitten in der Nacht bei Schnee auf. Dreizehn Freiwillige  machen sich auf den Weg zu einer Notintervention an der nördlichsten Kirchenburg in Siebenbürgen – im Dorf Wermesch/Vermeș im Kreis Bistritz-Nassod.

Der Einsatz an der Wermescher Kirche war ursprünglich für September 2022 geplant, jedoch führte der Einsturz eines Teils des Daches unter der Schneelast Anfang Februar dazu, dass die Intervention viel früher als geplant eingeleitet werden musste. Die Zeit wollte auf sich nicht mehr warten lassen.

Was haben wir getan?  

So ist es dazu gekommen:

Der Bistritzer Verein Petrus Italus Trust, als Träger des Projektes „Ambulanz für Denkmäler“ im Kreis Bistritz-Nassod, nahm sich als ersten Rettungseinsatz die Sicherung der ehemaligen evangelischen Kirche in Wermesch schon im Dezember 2021 vor, als die Ambulanz für Denkmäler Bistritz-Nassod ins Leben gerufen wurde. Doch am 7. Februar knickte ein Teil des Chordachs ein. Folglich nahm der Bistritzer Verein mit Unterstützung des Vereins Monumentum (Initiatoren des Projektes Ambulanz für Denkmäler) zwischen dem 24. und dem 26. Februar eine Notsicherung vor. Konkreter bedeutete diese erste Etappe der Sicherung Folgendes: Es wurde ein Gerüst in komplizierter Höhe aufgebaut, so dass man bis zu den für September geplanten Arbeiten ein provisorisches Verdeck an der Apsis des Chors aufstellen konnte.

„In der Regel planen wir unsere Einsätze frühzeitig, denn das Kulturerbe ist seit 30 Jahren in einem konstanten Verfall und stellt somit theoretisch täglich einen Notfall dar. Dieses Mal war aber klar, dass uns das Chordach und das Chorgewölbe nicht erhalten bleiben, wenn wir nicht binnen einiger Tage handeln. Für Ende Februar war Schneefall angekündigt, und zusätzliches Gewicht hätte zwangsläufig zum Einsturz des Daches geführt, so wie es auch mit dem nördlichen Teil passiert war. Der schwierigste, heikelste Teil der Intervention stellte das Entfernen der Ziegeln dar, da sich die gesamte Dachhaut in einem fragilen Gleichgewicht hielt. Wir verfügen über eine Gruppe an Freiwilligen mit einer Leidenschaft für das Kulturerbe, die sich schon bei der ersten Aufforderung bereit zeigten, den ersten Zug in Richtung der Ortschaft zu nehmen, wo eine Notmaßnahme an einem Denkmal durchzuführen ist. Viele der Teilnehmenden sind im Bereich des Kulturerbes aktiv und sie waren sich somit der unmittelbaren Gefahr und des Wertes dieser mittelalterlichen Kirche bewusst – eine Kirche mit besonders wertvollen künstlerischen Elementen, insbesondere die Fresken aus dem 14. und 15. Jahrhundert im Chorbereich.

Das Gerüst stand bereit, die Wagen waren funktionsfähig, wir sind also ins Auto gestiegen und losgefahren. Zudem hatten wir das Glück, dass sich auch die zuständige Kreisdirektion für Kultur  sehr schnell für das Erhalten der für die Intervention notwendigen Dokumente mobilisiert hat.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Giebel auf der entgegengesetzten Seite des Chors weiterhin einsturzgefährdet ist. Dieser stützt sich auf das Dach des Kirchenschiffes und es ist ein Wunder, dass er bist heute durchgehalten hat. Wir nehmen uns vor, schnellstmöglich einen Oberbau über das gesamte Kirchenschiff zu errichten, um den weiteren Verfall zu vermeiden. Das ist aber eine erhebliche Investition, wofür uns die finanziellen Mittel fehlen“, erzählt Eugen Vaida, Leiter des Vereins Monumentum.

Fast die Hälfte des Chordaches war eingestürzt und die verbliebene Struktur war stark beschädigt. Diese empfindliche Struktur konnte das Gewicht der Ziegel nur schwer halten – also hat man mit großer Aufmerksamkeit über zwei Tonnen Ziegeln entfernt. Anfangs musste der infolge des Einsturzes resultierende Schutt weggeräumt werden, die übrigen Ziegel auf dem Kirchendach sowie die beschädigten Elemente beseitigt werden. Das Fehlende an der Dachstruktur musste mit neuem Holz ergänzt werden. Schließlich stellte man ein provisorisches Verdeck auf. Jetzt bestehe keine Einsturzgefahr mehr, erklärte uns Stefan Vaida, Vizepräsident des Vereins Monumentum.

Wer hat uns dabei unterstützt?

Dreizehn Freiwillige waren in Wermesch mit dabei, manche bei ihrem ersten Einsatz, andere haben bereits über zwanzig Einsätze hinter sich. Alle haben aber die Leidenschaft für das Kulturerbe gemeinsam. Die von ihnen ausgeführten Arbeiten erfolgten mit finanzieller Unterstützung der Vereine Monumentum und Petrus Italus Trust – Alian]a pentru Patrimoniul Bistri]ean (Allianz für das Bistritzer Kulturerbe). Strategische Sponsoren waren Profi Romania, Dedeman und Romanian United Fund. Die orthodoxe Kirchengemeinde in Wermesch und die lokale Gemeindeverwaltung haben auch mit Arbeitskräften, Verpflegung (Essen) und Bereitstellung von  Räumlichkeiten zur Lagerung der Werkzeuge unterstützt.

Die Dorfgemeinschaft war auch dabei: Einige haben uns mit warmem Tee und Kaffe geholfen, andere haben tatkräftig unterstützt oder uns auf der Baustelle besucht und ermutigt. „Denn das ist die Ambulanz: Retter, die auf Gemeinden treffen, die ein verletztes Denkmal haben“, so Cornel Ban, Präsident des Vereins Petrus Italus Trust. Die kleine Adelina aus Wermesch, die im November mit ihrem Opa an den archäologischen Ausgrabungen mitgeholfen hatte, war diesmal auch dabei und hat am letzten Tag die Volontäre mit leckeren selbstgebackenen Krapfen verwöhnt. Sie war auch diejenige, die uns über den Einsturz des Kirchendaches informiert hatte und die auf „unsere Kirche aufpasst“, wenn wir nicht da sind.

Bei allen Einsätzen der Ambulanz spielt neben dem Know-How und der Einsatzbereitschaft der Fachleute die lokale Gemeinschaft eine wichtige Rolle. „Die Denkmäler können sich ja nicht selbst retten – eine Sensibilisierung diesbezüglich ist nötig. Die Kirche ist ein Zeuge der kulturellen lokalen Identität. Wir freuen uns auf jede Schubkarre, Schaufel, auf jeden Spaten, auf jede helfende Hand“, so Eugen Vaida.

Was kommt jetzt?

Im September folgt die zweite Etappe der Notintervention – geplant ist eine Restaurierung des bestehenden Daches, so dass die Kirche ein definitives Dach über den Chorteil bekommt.  Längerfristig ist eine Gerüstkonstruktion über die gesamte Kirche geplant, welche einerseits den weiteren Verfall verhindern wird und andererseits eine Restaurierung in sicheren Bedingungen für die teilnehmenden Teams ermöglichen wird.

Das Gute siegt. Nicht nur in Märchen anscheinend. So wie in Märchen Prinzessinnen gerettet werden, wird unsere Kirche in Nordsiebenbürgen dank der Ambulanz wohl auch gerettet. Der Verfall der Baudenkmäler hält nicht an, bloß weil in der Welt ein Krieg herrscht. Was um uns passiert, mag wohl beängstigend sein, gleichzeitig geschieht aber auch noch Gutes. Auch darauf müssen wir unseren Blick richten.


Was sagen die Nothelfer dazu?
„Jemand, der eine Neigung für die Architektur und Geschichte Siebenbürgens hat, aber nicht im Bereich tätig ist, fühlt sich ziemlich machtlos. Und oft kommt es dann dazu, dass du dich einfach auf Facebook oder bei Freunden beklagst, ohne eine konkrete Veränderung zu verursachen. Du wirst einfach wegen deiner Machtlosigkeit frustriert.
Für mich ist die Ambulanz wie eine Therapie. Ich kann so endlich mit anpacken, Hand anlegen und Sachen retten, die mir wichtig sind. So zeigst du durch Arbeit dein Interesse und deine Leidenschaft. Und am Ende eines Arbeitstages weißt du: Du hast alles getan, was du konntest. Und du bist mit dir selbst zufrieden. Nach Wermesch bin ich gekommen, weil ich dazu aufgefordert wurde. Hätte man mich in Vâlcea gebraucht, so wäre ich dahin gefahren. Ich hatte aber das Glück, an einer sächsischen gotischen  Kirche zu arbeiten. Und das ist genau das, was mich interessiert.
Und Wermesch ist auch in der Nähe des Dorfes, wo meinVater aufgewachsen ist – ein Dorf, von dem ich mehr aus Geschichten wusste. Während des Einsatzes habe ich mich wie bei den Sondereinheiten gefühlt: Eine kleine Gruppe, kurzfristig zur Tat aufgefordert.
Wir sind ohne Aufsehen gekommen, haben die nötigen Genehmigungen eingeholt, die Arbeitskleidung vorbereitet und sind direkt zur Baustelle geeilt. Zwei Tage. Ein und aus. Wir haben das Nötige getan, damit nicht alles einstürzt und haben uns zurückgezogen. Das Wetter hat dabei keine Rolle gespielt. Das große Team wird so in September noch etwas zu retten haben. Sonst hätten wir im September keine Kirche mehr gehabt. Sondern nur eine archäologische Stätte. Das ist aber bei uns ein größeres Problem: die mittelalterliche Architektur wird über Nacht zur Archäologie.“

Tudor Coman,
Volontär der Ambulanz für Denkmäler