Orten und Gegenständen eine Stimme geben

Vorstellung des Bildbandes von Anton Roland Laub „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“

Der Bildband „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“ von Anton Roland Laub, Hrsg. Frizzi Krella, ist 2020 beim Kehrer-Verlag in Heidelberg, Deutschland, erschienen . Er kann im Erasmus Büchercafe oder unter buechercafe.ro bestellt und dank des Künstlers bei der Nationalbibliothek, der Bibliothek des Goethe-Instituts u. a. durchgeblättert werden. 144 Seiten. ISBN 978-3-96900-013-7

Die Schreibmaschine nimmt die letzten 20 „Alo“-Schreie des Diktators noch einmal auf.

Der von zwei zueinander senkrecht gestellten Holzspanplattentischen abgegrenzte Sitzplatz der Ceaușescus im Büro Nr. 3 in der Militärstation in Târgoviște, wo sie zum Tode verurteilt (l.) und vor einer Wand erschossen wurden (r.)

Das „goldene“ Badezimmer des Diktatorenpaares | Fotos: Anton Roland Laub

Man steht vor einem in rotem Kunstleder gebundenen Buch mit dem Titel in goldenen Buchstaben hineingeprägt. Auf den ersten Blick scheint es für einen rumänischen Bürger, der das kommunistische Regime erlebt hat, ein Band aus der Buchreihe Nicolae Ceaușescus „Rumänien auf dem Weg des Aufbaus der vielseitig entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ zu sein, aber etwas stimmt da nicht... 
Das Porträt des Diktators erscheint, wie damals üblich, auf der dritten Umschlagseite, doch sein Gesicht wurde ausgelöscht und auch der Titel klingt anders: „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“, letztes Weihnachtsfest von Ceaușescu. 

Der Bildband des deutschen Fotokünstlers rumänischer Herkunft, Anton Roland Laub, stellt den Zeitgeist der 80er Jahre in Rumänien sowie den Zeitraum um die ‘89er Revolution sowie die letzten Tage im Leben des Diktatorenpaares Nicolae und Elena Ceaușescu in der Fotoserie „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“ in besonderer Weise neu zusammen. Der Band basiert auf der gleichnamigen Fotoausstellung des Künstlers, die im Februar 2021 am Rumänischen Kulturinstitut in Berlin stattgefunden hat, aber wegen des Lockdowns nicht besucht werden konnte. Die eigentliche Vernissage fand erst im Dezember 2021 im Bukarester Goethe-Institut statt und konnte bis zum 8. Januar dieses Jahres besucht werden. Anlässlich der Finissage hat das Goethe-Institut ein Gespräch mit dem Künstler organisiert, welches am Montag, den 10. Januar, im Pavillon 32 stattgefunden hat und weiterhin online auf der Facebookseite des Instituts verfolgt werden kann. 

Ziel des Werkes von Anton Roland Laub ist es, durch die intermediale Problematisierung der Wende 1989 die Beobachter zum kritischen Denken über die jüngste Vergangenheit Rumäniens anzuregen, sie zu Assoziationen und einer Auseinandersetzung mit den eigenen Erlebnissen und Vorstellungen zum historischen Trauma der Revolution herauszufordern, zumal die rumänische Justiz die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus bis dato verzögert. Der Fotokünstler hofft, der Beschluss des EU-Parlaments vom 17. Dezember 2019 anlässlich der 30. Gedenkfeier der rumänischen Revolution könne die rumänischen Behörden zur Analyse und Erläuterung der Revolutionsverbrechen antreiben. Bis dahin kann auch die Kunst ein Impuls für das Publikum sein, über historische Ereignisse nachzudenken, sich damit auseinanderzusetzen, um aus einer schicksalhaften Vergangenheit den Weg in eine sinnhafte Zukunft zu finden. 

Im Mittelpunkt von Laubs Werk stehen Räume und Gegenstände und was diese offenbaren oder verbergen. Diese wirken als stumme Zeugen der traumatischen Geschehnisse oder sogar als „Trauma-Orte“. In dieser Hinsicht untersucht der Künstler das institutionelle Gedächtnis, indem er das Privathaus der Ceaușescus, den Hinrichtungsort des Diktatorenpaares in Târgoviște und die Casa Poporului, den aktuellen Parlamentssitz ins Visier nimmt. 

Der Bildband setzt sich aus verschiedenen Fotoserien zusammen. Die ironisch den Personenkult widerspiegelnd betitelte Fotoreihe „Of Titans and Geniuses“ (Von Titanen und Genies) 2017-2019 gibt wenige Einblicke in das vermeintlich luxuriöse Innere der auf dem Primăverii-Boulevard Nr. 50 gelegenen Ceaușescu-Villa mit 80 Zimmern. Die kitschigen goldfarbenen Mosaike und Wasserhähne im Badezimmer, die vielen Pelze im Kleiderschrank Elena Ceaușescus, der im Louis XIV-Stil dekorierte Salon und das Schlafzimmer des Ehepaars sowie der private Kinoraum kontrastieren stark mit den bescheidenen eisernen Kasernenbetten, den Holzspanplattentischen der Militärbasis in Târgoviște, wo das Diktatorenpaar zuletzt geschlafen beziehungsweise gegessen hat und infolge eines Scheinverfahrens, das nur 55 Minuten dauerte, just am Weihnachtstag 1989 zum Tode verurteilt wurde. 

Die einfachen Kleider der Ceaușescus, mit denen sich jedermann, dem ihre Heuchlerei nicht bewusst war, identifizieren sollte, sind in ihrem Privathaus auf Puppen ausgestellt. Diese sowie das Gebäude des staatlichen Fernsehsenders TVR und jene des Zentralkommitees, wo die letzte Rede des Diktators stattgefunden hat, nahm Laub aus einer schrägen Kameraperspektive auf. Mit dem ästhetischen Stilmittel des „Dutch Angle“  deutet der Fotokünstler da-rauf hin, dass die Illusion des Personenkultes, die Propaganda sowie das ganze auf Lügen, Unrecht und Verbrechen gründende kommunistische Regime irgenwann zu wackeln begann und letztendlich gestürzt ist. 

Wie eine zeitliche Rückschau tauchen Screenshots vom Bildschirm im TV-Format auf. Der Moment des Aufruhrs im Volk während der Ansprache Ceaușescus vom Balkon des Zentralkommitees am 21. Dezember, das Foto der Ceaușescus während des Schnellgerichts im Büro Nr. 3 der Militärstation in Târgoviște am Weihnachtstag 1989, wurden mit kontrastierendem Fernsehschnee im Hintergrund, ähnlich wie die Störbilder im Fernsehen der 80er Jahre, von Anton Roland Laub als Metapher des Verblassens der Erinnerungen verarbeitet. Weitere ähnliche Bilder von verschneiten Bergen, Bäumen und einem mit Kugeln und Lametta geschmückten Tannenbaum versetzen das historische Ereignis in winterlichen Kontext, der vom Titel des Bandes „LAST CHRISTMAS (of Ceaușescu)“ als Weihnachtszeit näher beschrieben wird. Laub hat sich für diesen Titel, den er mit dem bekannten romantischen Pop-Lied von George Michael teilt, entschieden, um die weihnachtliche Atmosphäre und den Zeitgeist der 80er Jahre mithilfe des akustischen Gedächtnisses der Beobachter zu suggerieren. Dies ist auch als Ironie gegenüber dem kommunistischen Präsidenten, der atheistisch war, gedacht. 

Die alte Schreibmaschine, die aus verschiedenen Per-spektiven auf dem grünen Hintergrund eines Greenscreens fotografiert wurde, stellt diesmal eine persönliche Erinnerung für Laub dar. In seiner Kindheit hatte er das Tippen der Schreibmaschine seines Vaters immer intensiv um Weihnachten hören müssen, da dieser sowie alle Leute, die ein solches Gerät im Privatbesitz hatten, Kontrollblätter des Buchstabenanschlags der Militz einreichen musste. Statt Seiten mit AAA, BBB, CCC wiederholen sich auf einem in die Schreibmaschine eingespannten Papier die Buchstaben A, L, O, welche das 20 Mal geschriene Ausdruckswort „alo“ (hallo) aus dem Prolog der letzten Rede Ceaușescus an die protestierenden Massen noch einmal aufnehmen. Laub behandelt damit die Inszenierung, sowie die Austauschbarkeit des Hintergrundes und des historischen Kontextes. Die Fotos mit den Tasten für die Sonderbuchstaben der rumänischen Sprache ă, ș, ț, î verweisen auf die Sinnlosigkeit und Sinnentleerung der Worte des Diktators, sowie die Holzsprache des totalitären Regimes. 

Anton Roland Laub versucht mit der vorliegenden Arbeit sowie mit der Fotoserie „Mobile Churches“, die er 2015 auch in Rumänien gezeigt hat, und dem rumänienbezogenen Projekt, an dem er gegenwärtig arbeitet, welches dieses Jahr als Bildband veröffentlicht werden soll, sich mit der traurigen, absurden Geschichte des kommunistischen Regimes, der Revolution und der Nachwendezeit auseinanderzusetzen. „Mit seinem assoziativen Blick durch die Lupe der Erinnerung schafft er eine Möglichkeit der Befragung der eigenen individuellen und der kollektiven Geschichte Rumäniens“, schlussfolgert Frizzi Krella, die  Kunsthistorikerin und Kuratorin der Ausstellung, auf der Laubs Bildband basiert. Zum Nachwort haben sie und Kunstkuratorin Lotte Laub beigetragen.

Anton Roland Laub, geboren und aufgewachsen in Bukarest, studierte an der Kunsthochschule Weißensee und der Neuen Schule für Fotografie, Berlin. Er hat sich an zahlreichen Ausstellungen in Paris, Athen, Bukarest, Berlin und Kaunas (Litauen) beteiligt und ist in der Sammlung Buch- und Medienkunst der Staatlichen Museen zu Berlin, der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Stadtmuseums Bukarest vertreten.