Orthodoxie für Unorthodoxe

Berliner Konfessionskundler Hans-Dieter Döpmann legt Standardwerk über orthodoxe Kirchen in einer Neuauflage vor

Nonne im Kloster Cornet im Alttal Foto: der Verfasser

Klosterkirche in Sâmbăta de Sus Foto: Peter Helbich

Die orthodoxen Kirchen wirken kultur- und gesellschaftsprägend im gesamten ost- und südosteuropäischen Raum. Die Rumänische Orthodoxe Kirche ist mit über 20 Millionen Gläubigen in Rumänien und in der Diaspora die zweitgrößte orthodoxe Kirche der Welt nach der Russischen Orthodoxen Kirche. Sie ist die einzige Ostkirche mit lateinisch-romanischer Sprache und nimmt eine besondere Brückenfunktion zwischen Ost und West ein. Mit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2007 zählen mittlerweile rund 40 Millionen EU-Bürger zur Orthodoxen Kirche. Der Berliner Konfessionskundler Hans-Dieter Döpmann bietet mit seinem  Werk „Die orthodoxen Kirchen in Geschichte und Gegenwart“ eine exzellente Einführung in die Theologie, Geschichte und Spiritualität der Ostkirchen. 

Der vorliegende Band stellt eine ganz außerordentliche Leistung dar. Nachdem es bisher zwar viele exzellente Darstellungen zu einzelnen Themen der ostkirchlichen Spiritualität und vor allem zur Liturgie und Ikonografie gibt, gleichzeitig aber gut lesbare Gesamtdarstellungen zu Geschichte, Theologie und Spiritualität der Ostkirchen weitgehend fehlen, bietet Hans-Dieter Döpmann hier eine mutige, aber gelungene Gesamtschau zu Geschichte, Spiritualität, Kultur und Frömmigkeit der Ostkirche sowie zur Geschichte der orthodoxen Kirchen von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Die Darstellung startet mit einer Präsentation der historischen Entwicklung der Ostkirchen von der Aufteilung des Reichsgebietes in der Antike, die bereits damals auch eine sprachlich, liturgisch und theologisch unterschiedliche Akzentsetzung und Frömmigkeitspraxis zur Westkirche andeutete. Die heutigen orthodoxen Kirchen, aber auch die orientalischen orthodoxen Nationalkirchen und die unierten Ostkirchen werden hier gleichermaßen gründlich und konzentriert dem Leser erschlossen. Der Band ist wissenschaftlich fundiert und bietet zu jedem Thema und Abschnitt ausführliche Literaturhinweise.

In der historischen Darstellung wird vor allem deutlich, dass die Kreuzzüge die Spaltung des Christentums stärker und nachhaltiger vertieft haben, als dies die Ereignisse im Jahr des offiziellen Schismas 1054 bewirkt haben (vgl. S. 54). Döpmann bietet hier wie im ganzen Buch eine ausgewogene und objektive faktenorientierte Darstellung, die von ihrer Zielsetzung her Experten wie Laien eine kompakte und gut lesbare vertiefte und substanzielle Einführung an die Hand gibt. Ein äußerst hilfreiches Glossar rundet den Band ab (S. 350-354). 

Der Autor schafft es, seine historischen Ausführungen nahtlos und harmonisch mit einer integrativen Präsentation orthodoxer Theologie, Kultur und Frömmigkeit in Ost- und Südosteuropa zu verbinden. Wer die orthodox geprägten Völker Südosteuropas wie etwa Rumänen und Bulgaren verstehen will, erhält hier eine hervorragende Einführung. Alle wichtigen Themen werden kundig und tiefgründig behandelt. Dazu zählen Gottesdienstpraxis und -verständnis, die verschiedenen Gottesdienstformen, das Kirchenjahr, die Sakramente, Weiheriten und Amtshandlungen, die Glaubensgrundlagen wie Schriftverständnis und Glaubenslehren, die Kirchenstrukturen, Mönchtum, Heilige und Ikonen. Ausführungen zu sonst selten behandelten Fragestellungen, wie nach dem Sozialbezug des Glaubens, der orthodoxen Diakonie und Soziallehre sowie der Ökumene, runden die Darstellung ab.

Döpmann versteht sich als Vermittler zwischen West und Ost, der die Ostkirchen authentisch aus ihrer eigenen Geschichte und Theologie, Frömmigkeit und Entwicklung heraus versteht, erklärt und beschreibt, statt westliche Fragestellungen und Entwicklungen als Maßstab und Kriterien wie eine Folie über die Ostkirchen zu legen. Darin hebt sich das Buch sehr wohltuend von manch anderer Darstellung ab. Vieles an Unverständnis, Kritik und Missverständnissen gegenüber orthodoxen Kirchen in Ost- und Südosteuropa seit 1990 ist auch der Tatsache geschuldet, dass der westliche Beobachter schnell eine Bestätigung seiner eigenen Traditionen und Entwicklungen bei den Orthodoxen sucht, die sich jedoch nicht vereinnahmen lassen und ein oft unverstandenes ureigenes Profil besitzen, das Döpmann hier erschließt.

Dabei argumentiert Döpmann differenziert. Das gilt auch für schwierige Fragen, wie das Verhältnis der orthodoxen Kirchen zum Nationalismus oder das Verhalten gegenüber den kommunistischen Regimes bis 1989. Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur Unterdrückung der Kirche in der Sowjetunion nach 1918, vor allem in ihren Auswirkungen auf die Entwicklung in den Satellitenstaaten nach 1945 (vgl. S. 71 ff). 

Besonders erfreulich ist, dass Döpmann sich manchem Vorurteil entgegenstellt. So widerlegt er etwa das Klischee, Orthodoxe würden keine Sozialarbeit betreiben, weist aber gleichzeitig zu Recht darauf hin, dass die orthodoxen Kirchen kaum staatliche Zuschüsse für ihre Sozialarbeit erhalten (vgl. S. 261-266 und S. 269 ff). Auch weist er Kritik an staatskirchlichen Regelungen nach 1990 zurück, die in der Betonung der historischen Rolle der Orthodoxie in heutigen Rechtstexten eine Benachteiligung religiöser Minderheiten erkennen. Er macht deutlich, dass die Orthodoxe Kirche in den monierten Rechtstexten keine Privilegien oder rechtliche Vormachtstellung genießt.

Unterstrichen werden darf seine Kritik an einer einseitigen Wahrnehmung der Orthodoxie in westlichen Medien und Kirchen, die sich oft auf Themen wie Kirche und kommunistische Geheimdienste oder Äußerungen zur Homosexualität beschränke (S. 269). Der Ostkirchenkundler unterstreicht, dass sich die Orthodoxe Kirche etwa auch deutlich gegen Egoismus und Konsumdenken, Mafia und Korruption äußert. Dem in zweiter, überarbeiteter und ergänzter Auflage erschienenen Buch sind viele Leser zu wünschen. Der Band kann zu einem besseren Verständnis der Ostkirchen als kulturprägende Kraft in Ost- und Südosteuropa dienen. Wer die orthodoxe Kultur in Rumänien verstehen will, bekommt hier eine erstklassige Darstellung geboten. Die Orthodoxie wird hier auch für „Unorthodoxe“ tiefgründig und verständlich erklärt.


Hans-Dieter Döpmann: „Die orthodoxen Kirchen in Geschichte und Gegenwart“; Peter Lang Verlag: Frankfurt am Main/Berlin u. a., 2. überarbeitete und ergänzte Auflage 2010, 366 S., ISBN 978-3-631-60449-6 (=Trierer Abhandlungen zur Slavistik, Bd. 9)