Patriarchalisch, aber nicht ökumenisch!

Schifft Rumäniens Orthodoxe Kirche sich auf den Härtekurs ein?

Ein Bild der törichten Jungfrauen gleich rechts im Seitenflügel nach dem Eintreten in die orthodoxe Hauptkathedrale Hermannstadts. Darunter der weise König Salomo. Riskiert die Orthodoxe Kirche Rumäniens, sich selbst von der Lebenswirklichkeit auszusperren? | Foto: der Verfasser

Betritt man das Institut für Ökumenische Forschung Hermannstadt (IÖFH), fällt auf, dass etwas nicht mehr so ist, wie es noch immer sein könnte und schon einmal war. Und das gerade in einer Zeit, wo Dr. Serafim Joant˛, dem rumänisch-orthodoxen Metropoliten von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, am 9. August 2021 der Abt-Emmanuel-Heufelder-Preis der bayerischen Benediktinerabtei Niederaltaich verliehen wurde. Rechnet man hinzu, dass Klaus Johannis am 22. Juli Patriarch Daniel Ciobotea zum 70. Geburtstag gratulierte und ihm die höchste Staatsauszeichnung Rumäniens zuerkannte, müssten doch im deutschen Hermannstadt und rumänischen Sibiu keine ökumenischen Schwierigkeiten zu vermelden sein. Wäre nur das Rechnen mit Glaube, Konfession und Kirche nichts Kontroverses. Seit Anfang August 2021 ist das IÖFH Geschichte.

Den Bücherstapeln auf den Tischen und der noch nicht gelöschten weißen Magnettafel im großen Vortragsraum mit seinen fast bis an die Decke reichenden Bibliotheksschränken haftet einen Monat vor Beginn des Hochschuljahres 2021/2022 der letzte Hauch einer Art Schockstarre an. Die erste Schreckwirkung scheint jedoch bereits überwunden. „Centrul de Cercetare Ecumenică Sibiu“ (CCES) hieß das IÖFH auf Rumänisch. Das Kürzel CCES war lange Zeit allseits geschätztes Markenzeichen. Dass der über 16 Jahre enthusiastisch betriebene Haussegen hier in der personell ganz offen ökumenisch besetzten Etage des Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) etwas schief hängt, bedeutet eine Nachricht, die regional längst in aller Munde ist, aber von keiner Konfessionsgemeinschaft als positiv gewertet werden kann.

Stefan Tobler, promovierter Theologe aus der reformierten Schweiz und seit 2003 Dozent am Studiengang für protestantische Theologie an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULBS), blieb auf der Höhe des eben verstrichenen Sommers nichts anderes übrig, als das 2005 von ihm selbst mitbegründete IÖFH aufzulösen und bei Dr. Sorin Radu um formale Unterstützung der Beibehaltung aller laufenden Institutsbelange zu bitten. Das vom Rektor der ULBS zugesicherte Heimrecht unter dem Dach des Forschungsinstituts für Kulturerbe und Soziokulturelle Geschichte dürfte ihm niemand mehr streitig machen.

Türen öffnen, Gefahren bannen

Trotz Auflösung werden die Bibliothek im Teutsch-Haus der EKR und das alljährliche Ökumene-Gastsemester auch weiterhin unter Rücksicht auf die Orthodoxie Siebenbürgens und Rumäniens verlustfrei genutzt werden können. „Die Hand der lutherischen Kirche zu weiterem und vertiefendem Dialog im Geiste der Ökumene, derer sie sich zutiefst verpflichtet weiß, wird ungeachtet der jüngsten Entwicklungen weiter-hin auf allen Ebenen ausgestreckt bleiben.“, versicherten Bischof Reinhart Guib und die EKR „im Angesicht der erstarkenden säkularen, nationalistischen, populistischen und fundamentalistischen Gefährdungen“ Anfang September.

Schon gar nicht von der Unfrieden schürenden Haltung der Rumänischen Orthodoxen Kirche (BOR) in Mitleidenschaft gezogen ist die Vierteljahreszeitschrift „Review of Ecumenical Studies Sibiu“ (RES) des IÖFH, dessen Ex-Co-Direktor Prof. Dr. Stefan Tobler sich einem klerikal vereinzeltem Widerstand gegenübergestellt sieht, den er in sechzehn Jahren geschmälert haben zu können glaubt. Dass die RES zu den nur zwei theologischen Publikationen Rumäniens zählt, die im Herbst 2020 in der Wertung des Bildungsministeriums die maximale Punktzahl auf sich vereint haben, bestärkt Stefan Tobler, die Herausgabe der international gefragten Zeitschrift nicht zu abzubrechen. Irgendwo ist sie schließlich nicht mehr und nicht weniger als das Gütesiegel seiner Arbeit.

Ginge es nach der großen Zahl persönlich genährter ökumenischer Erfolgsbeziehungen im Terrain, die für das tolerante Siebenbürgen stehen, hätten sich das Erzbistum Hermannstadt der BOR und das  Dekanat der Fakultät für Orthodoxe Theologie „Andrei Șaguna“ an der ULBS den eigenmächtigen Rückzug vom IÖFH nicht anmaßen dürfen.

Wunschdenken

Was Dr. Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer und Dechant der EKR in Schäßburg/Sighișoara, in seiner Promotionsarbeit „Eine einmalige Gabe. Die Frage der Anerkennung der christlichen Taufe zwischen evangelischer und orthodoxer Kirche und die Praxis in Rumänien“ schildert, die 2019 an der ULBS von einem mehrheitlich orthodox besetzten Gremium für sehr gut befunden und heute vor fast genau einem Jahr in Buchform vorgestellt wurde (Honterus-Verlag), zeigt die diskursive Härte im patriarchalischen Elfenbeinturm der BOR auf: „Wir beide sind uns einig in der Einschätzung, dass, wenn die Einheit der Kirche von uns beiden abhinge, wir diese nicht morgen realisieren würden, sondern dies bereits gestern getan hätten.“ So beschreibt Dr. Fröhlich das Verhältnis zu seinem „Amtsbruder und väterlichen Freund, Pr. i.R. Adrian Dobre. Er hat meine Sicht auf die Orthodoxie entscheidend geprägt.“ 

Nicht-orthodoxe Christen tun gut daran, sich den Unterschied zwischen der Orthodoxie als solcher und der orthodox institutionalisierten Mehrheitskirche vor Augen zu halten.

Warum? Weil die Binnenspaltung der BOR seit Jahren kein Geheimnis mehr ist. Verallgemeinerte man der Einfachheit zuliebe alles, was an der Kirche der ethnischen Mehrheit Rumäniens kritisiert werden kann, nähme man jenen Geistlichen, die in Vertretung der rumänischen Orthodoxie weniger anklagend als Patriarch Daniel predigen, ihre Stimme. Angst? Ja. Ein lähmendes Gefühl, das in der BOR doppelt umgeht.

Zum einen hat sie sich bereits intern eingegraben, denn „auf vielen theologischen Webseiten in rumänischer Sprache ist ´ökumenisch´ ein Schimpfwort; auch offen denkende Theologen verwenden es deshalb oft nur noch mit Vorsicht“, konstatiert Stefan Tobler. Noch schwerer aber wiegt für die BOR wohl die extern auffallende Angst vor dem Szenario, dass das zunehmend säkulare Rumänien ihr die Einzugsgesellschaft verleiden könnte. Daran, dass der laizistische Staat seinen Menschen den Kirchgang nicht verbietet, wollen die orthodoxen Hardliner Rumäniens nicht festhalten. Sie wollen mehr. „Wir wollen die gesellschaftliche Kontrolle nicht verlieren!“, wie es ein Geistlicher der BOR 2018 auf der Konferenz „Interconfessional Marriages between Orthodox and Protestant Christians“ des IÖFH ausdrückte.

Ein sprechendes Motiv zwecks Füllung dieser Klammer ist die orthodoxe „Kathedrale für die Erlösung des Volkes“ in Bukarest. Philosoph und Buchautor Gabriel Liiceanu hat den Willen der BOR zu ihr in seinem Band „România. O iubire din care se poate muri“ (Humanitas-Verlag, 2017) bemängelt: „Dass sie (die hierarchisch hohen orthodoxen Kleriker, Anm. d. Red.) nicht wissen, dass auf der orthodoxen Synode 1872, die der Ökumenische Patriarch Antim VI. in Konstantinopel organisiert hat, die ´Erlösung nach Völkern´ unter dem Begriff des Ethnophiletismus (...) gerügt wurde, kann ich mir nicht vorstellen (...) Ethnophiletismus ist (…) Ausklammerung der Christenheit zuliebe eines einzigen Volkes.“ (freie Übersetzung d. Red.) Die autokephale BOR muss keiner anderen kirchlichen Behörde organisatorisch Rechenschaft ablegen. Addiert mit der Angst vor der Verweltlichung Rumäniens durch den säkularen Einfluss der protestantischen Ethik, die den Westen nachhaltig zu dem gemacht hat, was er ist, entsteht unweigerlich ein negatives Bild der BOR.

Erlaubnis oder Entfremdung

Paradox und nicht selten auch ärgerlich, dass Kleriker an der Spitze der BOR sich in genau diesem Bild wohlzufühlen vorgeben. Wer es wagt, ihnen zu verstehen zu geben, dass etwas Nacharbeit an ihrem Selbstbild gut täte, wird mundtot gemacht. Gelingt das nicht, weil wohlmeinend kritisierende Personen sich statt von innen auf dem externen Weg einschalten wollen, werden sie mit unfairen Mitteln zu Unpersonen statuiert. Nur Theologen, die sie beschäftigt, kann die BOR drohen.

Mit welchen Arsenalien sie auffährt, wenn ihren Drohgebärden eine Angriffsfläche fehlt, hat Prof. Dr. Stefan Tobler gespürt, der von Einzelnen als „ökumenischer Kolonialist, Revisionist, Neomarxist“ beschimpft wurde. „Um deutlich zu machen, dass der Umgang mit mir ansteckend, meine Krankheit gefährlich ist. Eine Gruppe von Menschen, die Einfluss haben, glauben an diese Erzählung oder benutzen sie zur Stimmungsmache – und die anderen schweigen, müssen wohl schweigen.“ Sechs Monate lang hat Prof. Dr. Tobler sich vergeblich um Audienz beim siebenbürgischen Metropoliten Laurențiu Streza bemüht. „Eine Wand – welche Wand? – hat ihn abgeschirmt.“

Seit dem 24. Mai 2018 schreibt die BOR ihren Beschäftigten amtlich das Einhalten einer zweifach erschwerenden Bedingung vor: wer in innerchristlich oder international besetzten theologischen Kreisen mitreden möchte, muss dafür sowohl beim regional zuständigen Bischof als auch beim Patriarchat der BOR eine nominell erteilte und nur punktuell statt generell gültige Vertretungsgenehmigung anfordern.

Im Herbst 2019 reichte Dr. Stefan Tobler im Namen des IÖFH beim Bildungsministerium Rumäniens einen Antrag auf Finanzierung des knapp über eine Million Euro schweren Projektes „The Role of the Romanian Orthodox Church in Social Integration of Roma People: Towards a Participatory Approach“ ein, für das er um rumänische, isländische, liechtensteinische und norwegische Mittel des Europäischen Wirtschaftsraumes (European Economic Area, EEA) anfragte.

Ende November 2020 erteilte die Geschäftsführende Stelle für die Finanzierung der Höheren Bildung, der Forschung, Entwicklung und der Innovation (UEFISCDI), die dem Bildungsministerium untersteht, Dr. Stefan Tobler und den etwa zwanzig Theologen, Soziologen und Historikern des Projektteams aus Norwegen und Rumänien die Finanzierungszusage. Bezeichnend, dass bis auf Dr. Tobler alle Team-Mitglieder orthodox waren. Noch wichtiger aber zu wissen, dass im Frühjahr 2020 im Dekanat der ULBS-Fakultät für Orthodoxe Theologie „Andrei Șaguna“ ein nomineller Führungs-Wechsel vorgenommen wurde, der letztlich dazu führte, dass alle rumänisch-orthodoxen Team-Mitglieder des Forschungsprojektes unter Druck gesetzt wurden, sich wieder davon zurückzuziehen; andernfalls würden sie aus ihrem permanenten Dienstverhältnis entlassen. Dass das orthodoxe Erzbistum Hermannstadt diesem Projekt anfangs grünes Licht gegeben hatte, galt auf einmal nicht mehr.

Die rhetorische Notbremse

Stattdessen schoss die BOR sich, wie bereits beschrieben, auf Prof. Dr. Stefan Tobler ein. Sie nahm ihr inhaltliches Vertrauen für die Zusammenarbeit zurück. Dr. Tobler legt Wert auf die Information, dass es an ihm lag, die unaufschiebbare juristische Auflösung des IÖFH zu besorgen. Denn er will auch ohne Institut weitermachen. „Ich habe Solidaritätsbekundungen von sehr vielen orthodoxen Kollegen erhalten.“ Auch sieht er, dass „Kollegen an ihrer Kirche leiden.“

ULBS-Rektor Dr. Sorin Radu hat ihm volle Unterstützung für die Weiterführung des Roma-Projekts versprochen. „Die Versklavung der Roma in der feudalen Periode machte inhaltlich nur fünf Prozent des Projektes aus. Das Hauptgewicht lag auf positiven Beispielen von Roma-Integration durch orthodoxe Geistliche der Gegenwart. Aber das hat meine Gegenspieler nicht interessiert. Sie haben etwas Kleines herausgeholt, um es groß zu machen. Als ich anbot, auf diese kritischen fünf Prozent zu verzichten, waren sie nicht einverstanden, weil sie dadurch nichts mehr gegen mich in der Hand gehabt hätten.“

„Zwei Elemente machen für mich diesen Konflikt aus. Erstens die allgemeine Stimmung des Misstrauens und der Verteidigung gegen alles Säkulare und Westliche, was die BOR gerne unter der Vokabel  ´Neomarxismus´ summiert. Zweitens die Personen-Verflechtung auf lokaler Ebene. In was für einem Verhältnis diese zwei Elemente zu gewichten sind, ist mir unklar.“ Nominelle Schuldzuweisungen gestattet Stefan Tobler sich nicht. Ob die BOR ihn dauerhaft unter Quarantäne setzen wird? Und wie leicht mag es der EKR gefallen sein, beschwichtigend auf den orthodoxen Affront zu antworten? Sollte sie noch interne Stimmen hegen, die auf dieses Fehlverhalten der BOR gerne etwas weniger oder kein bisschen kulant reagiert hätten, wurden sie entweder überstimmt oder überhaupt gar nicht um Rat gefragt. Gut so.