Pomona Zipser: Über Schönheit und Strenge – und Berlin

Aus der Reihe Werkstattgespräche mit Heinke Fabritius

Pomona Zipser (l.) und Heinke Fabritius, Berlin im Mai 2020. Mit den Werkstattgesprächen besucht Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen, in loser Folge die unterschiedlichsten Ateliers, Übungs- und Arbeitszimmer und bittet deren Akteure zu Wort. Entdeckungsfreuden auf beiden Seiten sind in Aussicht gestellt.

Pomona Zipser ist Bildhauerin. Nach einer Kindheit in Ploiești und dem Abitur in München hat sie freie Kunst studiert. Ihr Meisterlehrer war Lothar Fischer. Seit den frühen 80er-Jahren in Berlin, spricht sie in diesem Interview über die Stadt, in der sie zu Hause ist, und davon, welchen Einfluss das Leben in Berlin auf ihr Werk hat. Sie erzählt von ihrer Vorliebe für Holz sowie von der Begeisterung für Funktionales und Architektonisches. Schönheit, so sagt sie, habe mit Konstruktion und Strenge zu tun. Der Hang zum Recyclen ist bei ihr keine Mode, sondern Konzept. Es führt zurück auf eine früh erworbene Lebenshaltung, auf alltägliche Sparsamkeitserwägungen, die das Leben in den kommunistischen Gesellschaften prägten. Der Mut zur Übersetzung solcher Erfahrung gründet nicht zuletzt im freiheitlichen Umfeld des elterlichen Künstlerhaushalts, den Paul und Katharina Zipser in den 60er-Jahren in Rumänien führten.

Frau Zipser, Sie sind sowohl als Zeichnerin wie auch als Bildhauerin tätig, den eindeutigen Vorzug geben Sie jedoch dem bildhauerischen Arbeiten. Ihre Skulpturen, wenn ich sie so nennen darf, sind zurzeit im ZAK, dem Zentrum für Aktuelle Kunst in der Zitadelle Spandau, zu sehen. Die gemeinsame Ausstellung mit Claudia Busching und Andrew Stonyer wurde nach der vorzeitigen coronabedingten Schließung nun bis August verlängert. Diese Zusammenschau mit ihren Künstlerkollegen macht das markante Profil Ihres Werks auf besondere Weise fassbar, vor allem Ihren so erfrischend freien und doch konstruktiv strengen Umgang mit traditionellen Materialien und Techniken.

Ich arbeite tatsächlich am liebsten oder überwiegend mit Holz und das in unterschiedlichen Dimensionen. Es ist hauptsächlich deshalb Holz, weil es eine ganz persönliche Vorliebe ist. Aber ein anderer Teil davon ist sicherlich auch, dass Holz nicht zu schwer zu bearbeiten ist. Ich habe es gern, wenn ich nicht einen riesigen Aufwand betreiben muss. Vor allem aber geht es auch darum, dass ich gerne mit vorhandenem Material arbeite. Ich finde es unglaublich reizvoll, aus Dingen, die schon vorhanden sind, etwas zu machen. Und ich finde es ganz langweilig, in einen Laden zu gehen und mir Sachen, die ich brauche, zu kaufen. Schon die Vorstellung, dass ich nicht anfangen kann zu arbeiten nervt mich. Also angenommen, ich bin jetzt im Atelier oder ich bin zu Hause, und ich denke mir: Oh, ich möchte gerne das und das machen. Schon die Vorstellung, dass ich jetzt erst in den Laden gehen muss und mich dort ärgern muss über das Schlange-stehen, die Suche in den Regalen und das Irgendetwas-nicht-Finden, ist kontraproduktiv. Die Lust ist doch, eine Idee zu haben und mit dieser ins Atelier zu rennen. Und dann, Teile zusammenzusuchen und sofort anzufangen, das zu machen, woran man dachte. Das ist doch das Vergnügen! Natürlich ist es ein Elend, wenn ich dann irgendetwas brauche, was ich nicht habe. Aber auf diese Weise entstehen verrückte Sachen.

Der Zufall spielt also eine Rolle und insofern sind Ihre Arbeiten zumindest zu Beginn von einer gewissen Offenheit geprägt, denn es geht Ihnen doch offensichtlich um ein allmähliches Verfertigen der Gedanken?

Genau, die Skulpturen, die ich mache, sind zusammengesetzte Skulpturen. Das sind Konstruktionen. Ich arbeite nicht aus einem Stück raus oder nehme etwas weg. Nein, ich setze Teile zusammen. Das Material, das ja recyceltes Material ist, bringt bereits Formen mit. Es sind nicht cleane, technische Stücke. Sie haben Einkerbungen, Öffnungen, Risse, sie sind dick, sie sind dünn, da stecken Nägel drin oder Schrauben. Diese Dinge inspirieren mich und geben eine Richtung an. Ich kann sie benützen, um meine Vorstellungen zu verwirklichen. So ist es ein Finden und Gestalten. Also ein Vorgang, der passiv und aktiv ist. Wenn man sich das als Konzept klarmacht, hat das zur Folge, dass die Verbindung enorm wichtig ist, weil ich ja am Ende ein Ding haben will. Die Verbindungen sind insofern gestaltprägend. Man könnte sagen, die Pomona ist eine, die verbindet.

Eine, die auf ganz besondere Weise verbindet.

Das Binden mit Seilen ist eine der mechanischen Möglichkeiten, eine Verbindung zu machen. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt. Zum Beispiel im ethnologischen Museum: habe mir dort die Südseeschiffe angesehen. Dabei ist mir klar geworden, dass die gebundenen Verbindungen nicht etwas Fahriges, Schlechtes sind, sondern etwas technisch sehr, sehr gut Funktionierendes. Wenn man damit arbeitet, muss man aber gut binden. Wenn ich unterrichte, bringe ich das auch meinen Schülern bei.

Sie leben seit den frühen 80er Jahren in Berlin, sind dort zu Hause. Sie haben die geteilte Stadt, aber auch die rasanten Veränderungen der Dekaden nach dem Mauerfall erlebt. Nur wenig davon spiegelt sich direkt in Ihrem Werk, dennoch ist es untrennbar mit Berlin verbunden, denn es geht um Metamorphose und Neugestaltung.

Ich bin sehr gerne in Berlin, lebe mit Überzeugung hier und möchte nicht gerne weggehen. Ich mag die Landschaft, ich habe natürlich Freunde und alles hier. Es ist die Stadt, mit der ich sehr glücklich bin, und ich habe hier ein berufliches Umfeld. Es wäre schwer, das alles zu verlassen. In meiner Arbeit benütze ich recyceltes Holz, und diese Teile sind oftmals Teile von Fenstern und Türen, ich finde sie auf der Straße, wenn Häuser abgerissen und modernisiert werden. Ja, das Material, mit dem ich arbeite, ist tatsächlich Material aus dieser Stadt.

Das besondere Interesse an ökologischer Effizienz und Sparsamkeit sind aber nicht die tragenden Beweggründe für ein solches Vorgehen, oder?

Nein, in meiner Arbeit gibt es auch das Gegenteil von Sparsamkeit, und zwar in dem eigentlich völlig haltlosen immer weiter Arbeiten und Anhäufen von vielen Teilen. Ich bin nicht eine, die reduziert, die eine Form zu vereinfachen sucht, gar nicht. Ich habe nie in die Richtung gedacht, sondern der Arbeitsprozess ist eher wuchernd. Ich frage mich immer: Was kann man denn mit dem gefundenen Material machen? Mein Interesse ist es, mit eben diesen Mitteln etwas zu machen. Ja, weil ich mich gefordert fühle, mich technisch gefordert fühle. Technisch gefordert sein, ist ein unkünstlerisches Problem. Und das ist wichtig, es ist real und handfest. Es geht nicht um Sperenzchen: Will ich eine Form mehr nach links oder rechts, oder größer oder vielleicht ganz anders haben? Nein, es sind ganz komplizierte oder nicht komplizierte, aber auf jeden Fall reale, technische, handfeste Probleme, die ich lösen möchte und über deren Lösung ich mich dann auch freue.

Ich denke aber, dass sich diese Haltung durch mein ganzes Leben zieht und dass das auch etwas mit meiner Herkunft aus Rumänien zu tun hat, wo ich die ersten 12 Jahre verbracht habe. Und mit der Lebenserfahrung dort, die so war, dass man natürlich nicht – so wie in der hiesigen kapitalistischen Konsumgesellschaft – ganz leicht eingekauft hat. Man fragte sich nicht: Was brauch ich denn? Ach so: Ich brauche das und das. Also geh ich schnell und kauf mir das und das. Die Grundhaltung war anders: man lebte mit dem, was man hatte.

Sie beschreiben eine für die damalige Lebenswelt charakteristische Weise der Gestaltung und Bewältigung des Alltags. Genau diese Strategien greifen Sie auf und übertragen sie in Ihren künstlerischen Arbeitsprozess. Das ist innovativ und auch sehr unabhängig.

Das mit der Unabhängigkeit, mit der Sicherheit im Leben, das hat sicherlich zu tun mit der Erfahrung des Emigrierens. Ganz bestimmt, es ist so was Verrücktes, was da stattfindet. Etwas, was eigentlich ein Mensch überhaupt nicht aushalten kann. Eigentlich ist es etwas völlig Undenkbares, dass man einen Menschen aus dem Zusammenhang nimmt, in dem er lebt und ihn woanders hintut. Es ist so eine Art totale Krise, in die man gerät. Ich habe das bei Freunden erlebt. Aber es bewirkt sicherlich, wenn man dabei nicht zusammenbricht, dass man gestärkt daraus hervor geht.

In Ihren Arbeiten führen Sie Dinge zusammen, die unabhängig voneinander existiert haben. Findet in dem Dialog zwischen den Teilen, den Sie damit eröffnen, auch ein Nachdenken über wechselseitige Abhängigkeiten statt? Hat das mit In-der-Welt-sein-können oder mit In-der-Welt-stehen-können zu tun?

Ja, hat es. Es geht um Beziehungssysteme und Balancen. Diese herbeizuführen findet im Herstellungsprozess meiner Skulpturen statt. Ich bin jetzt so und so alt, über 60. Habe viele verschiedene Arbeiten gemacht und habe nicht mehr das Bedürfnis auszuprobieren, wie es ist, wenn überhaupt etwas Gestalt annimmt. Ich frage mich nicht mehr: Wie kann ich das umsetzen? Ich weiß, dass ich das kann. Vielmehr interessieren mich in den letzten Jahren komplizierte oder ungewöhnliche statische Probleme und Situationen.

Zum Beispiel Figuren, die ganz ohne Verankerung im Boden, allein durch die wechselseitig aufeinander wirkenden Kräfte und die Verteilung von Gewichten zu Standsicherheit finden? Ganz anders also als bei Kunst am Bau, die doch ein Fundament hat und in die Erde eingelassen ist.

Ja, ich finde, es ist in der Tat wechselseitige Abhängigkeit. Die Teile sind aneinandergebunden. Es ist ein Halten, das auf Zug stattfindet. Sie können stehen, weil sie aneinander angebunden sind und Zug vorhanden ist – eine Art von Hängen also.

In Berlin kennt man Sie vor allem mit ihrer großen Aluminium-Skulptur, die Sie 2001 im Rahmen eines Wettbewerbs der Berliner Wasserbetriebe konzipiert haben. Sie haben diesen Wettbewerb gewonnen und von 2004 bis letzten Dezember stand die große Arbeit gegenüber des Axel-Springer Hochhauses an der Rudi-Dutschke/Ecke Lindenstraße. Zentral positioniert hat sie das Gesicht Berlins als einer kreativen und dynamischen Stadt entscheidend mitgeprägt. Schön ist, dass darin, obgleich nicht aus Holz, sondern aus Aluminium gefertigt, dennoch alle für Ihr Werk charakteristischen Merkmale anklingen: die Struktur der Berliner Altbauhölzer, das Zusammenspiel von Recycling und Innovation, das Ausbalancieren ungleicher Teile und die fragile, nie endende Einübung des Gleichgewichts. Das sind starke Metaphern, die nicht nur für die Geschichte Berlins Gültigkeit beanspruchen dürfen.

Die Arbeit stand knapp 20 Jahre im öffentlichen Raum und wurde nun wartungs- und reparaturbedürftig. Ich bedauere, dass trotz nachhaltiger Unterstützung aus dem Senat und auch von Privatpersonen, die finanziellen Mittel hierfür nicht bereitgestellt werden konnten. Vielleicht fehlt es auch an der nötigen Entscheidungsfreude auf Seiten der aktuellen Eigentümer. Jedenfalls ist die Skulptur jetzt eingelagert, und ich werde natürlich weiterhin alles dafür tun, dass sie wieder aufgestellt wird. Das ist mir wichtig.

Auch für Berlin ist das wichtig, denn mit Ihrem nunmehr unsichtbaren Werk verliert die Stadt ein in vielerlei Hinsicht vitales Spiegelbild und spannenden Reflexionsraum. – Erfahrungen wie diese mindern Ihre Schaffenskraft jedoch nicht. Darf ich zum Schluss fragen, worin diese Ihren Ursprung hat?

Ich habe sehr starke Erinnerungen an das Atelier meines Vaters, welches ein großartiges, wirklich besonders schönes Atelier in Ploiești in Rumänien war. Es war schön, in seinem Atelier zu sein. So schön, dass ich ganz sicher bin, dass das eine Rolle gespielt hat bei meiner Entscheidung, Künstlerin zu werden.

Das ist in der Tat eine Basis für ein Künstlerinnenleben in Berlin. Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.