„Quellen zur Geschichte der Deutschen in Ungarn 1944-1953“

Eine neue Publikation sammelt Quellen zur Haltung der ungarischen Regierung in den Jahren der Enteignungen und Ausweisungen

Ágnes Tóth (Hg.): Quellen zur Geschichte der Deutschen in Ungarn 1944-1953, Budapest 2018, Argumentum-Verlag, ISBN 978-963-446-805-9, 1.424 S.

Der Band „Quellen zur Geschichte der Deutschen in Ungarn 1944-1953“ in deutscher und ungarischer Sprache ist das Ergebnis eines mehrjährigen Projektes des Forschungsinstituts für ethnische und nationale Minderheiten des Gesellschaftswissenschaftlichen Zentrums der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest und des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen. 

Die Projektleiter Ágnes Tóth und Mathias Beer heben in der kurzen Einführung hervor, dass es bisher über die Haltung der ungarischen Regierung zur deutschen Minderheit in den Jahren der Enteignung und Ausweisung noch keine umfangreiche Quellensammlung gab. Sehr viele der 400 Quellen werden zum ersten Mal publiziert, die Texte sind in ungarischer Sprache verfasst und haben deutsche Zusammenfassungen. Alles konnte nicht übersetzt werden, weil dafür nicht genügend Geld zur Verfügung stand. 

Außer von den beiden Projektträgern kam finanzielle Unterstützung auch vom deutschen Bundesministerium des Inneren, vom Ungarischen Nationalen Kulturfonds, vom Stiftungslehrstuhl für deutsche Geschichte und Kultur in Südost- und Mitteleuropa der Universität Pécs und der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen.      

Im Kapitel über den Forschungsstand führt Ágnes Tóth aus, warum die Jahre der Verfolgung der Deutschen in Ungarn lange ein Tabu-Thema waren. Erste quellengestützte Darstellungen erschienen erst seit 1988. Nach 1990 begannen Historiker in Ungarn, Interviews mit den ehemaligen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion Deportierten zu führen. In der BRD dominierte lange ein politikwissenschaftlicher Ansatz in der Forschung über die deutschen Minderheiten, nun werden auch die gesellschaftlichen Umstände stärker berücksichtigt. 

Diesen Ansatz verfolgt der Quellenband. Es werden die Handlungsspielräume der Politiker und Beamte in den verschiedenen Regionen genau dokumentiert. Neu ist die Auswertung von Kirchenarchiven als Quellen. 
Tóth betont in der Einführung, dass aufgrund des deutschen Angriffskrieges in der Sowjetunion etwa 20 Millionen Menschen umgekommen waren und daher 1944 ein großer Mangel an Arbeitskräften herrschte. Doch bereits im Dezember 1941 hatte Stalin gegenüber dem britischen Außenminister Eden gefordert, dass nach Kriegsende Arbeitskräfte aus Rumänien und Ungarn in der Sowjetunion zum Wiederaufbau eingesetzt werden sollten. Diese Staaten hatten sich am Angriff auf die Sowjetunion beteiligt. Seit August 1943 plante eine sowjetische Kommission den Transfer von deutschen Arbeitskräften auch aus Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Bulgarien. Insgesamt war die Deportation von 5 Millionen Deutschen vorgesehen. 

Als die Rote Armee Südosteuropa einnahm, begann im November 1944 die Registrierung deutscher Arbeitskräfte. Unter den Deportierten stellten den größten Anteil mit rund 70.000 die Deutschen aus Rumänien, es folgten die 50.292 aus Ungarn. Ende 1944 waren noch viele Ungarndeutsche in SS-Einheiten an anderen Fronten und konnten nicht verhaftet werden. 

Der erste Transport aus Ungarn fuhr am 28. Dezember 1944 in die Sowjetunion ab. Bei der Konferenz in Jalta stimmten Roosevelt und Churchill diesen Deportationen zu, die mit der Kollektivschuld der Deutschen legitimiert wurden. Keine Partei in Ungarn setzte sich für die deutsche Minderheit ein. Die ungarischen Kommunisten wollten ihre Anhängerschaft verbreitern, indem sie den Bodenbesitz der Deutschen an Ungarn verteilten. Da sie entscheidende Positionen im Innenministerium und bei der Polizei errungen hatten, konnten sie auch die Internierung der verbliebenen Deutschen umsetzen. Bis Juni 1947 wurden 120.000 Deutsche aus Ungarn in die amerikanische Besatzungszone ausgesiedelt. Im Juli 1947 stimmte die Regierung der Sowjetunion zu, dass 50.000 Deutsche in die sowjetische Besatzungszone transportiert wurden. Es folgte der ungarisch-slowakische Bevölkerungsaustausch, der im Herbst 1948 abgeschlossen wurde. Zwischen 1946 und 1950 versuchten über 8.000 Deutsche illegal nach Ungarn zurückzukehren, doch viele wurden nach Österreich abgeschoben. 

Nach Abschluss der Vertreibungen hielten sich noch etwa 220.000 Deutsche in Ungarn auf. Sie waren teilweise wegen ihrer Berufe als Bergleute oder Industriearbeiter von der Aussiedlung freigestellt worden. Die neue Verfassung von 1949 untersagte eine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Konfession oder Nationalität. Von Herbst 1949 bis Dezember 1950 wurden aus der Sowjetunion mehrere Tausend ungarische Staatsbürger deutscher Nationalität, die zur Zwangsarbeit verschleppt worden oder als Kriegsgefangene inhaftiert waren, repatriiert. Sie wurden in Ungarn im Zuge des forcierten Aufbaus der Schwerindustrie eingesetzt. 

Die ehemaligen Kriegsgefangenen mussten bis 1953 in Sondereinheiten arbeiten. Dann wurden die Lager in Ungarn aufgelöst und die Lage begann sich zu normalisieren. In beschränktem Umfang ermöglichte die Regierung zwischen 1952 und 1956 muttersprachlichen Unterricht für die Kinder der Deutschen. Der Kulturverband der Deutschen Werktätigen in Ungarn hatte den Auftrag, gute ungarische Patrioten heranzubilden. 
Die Vorgehensweise bei der Übersetzung der Quellen soll an einem Beispiel vorgestellt werden. Der zweieinhalb Seiten lange Hirtenbrief des Erzbischofs von Eszergom vom 17. Oktober 1945 wird in deutscher Sprache folgen-dermaßen zusammengefasst: „Fürstprimas József Mindszenty ruft in seinem Hirtenbrief die Behörden auf, die Gefangenen, Kranken und Alten zu schützen, wobei er gesondert die Unhaltbarkeit des Prinzips der Kollektivschuld gegen die Ungarndeutschen hervorhebt. Er zieht eine Parallele zwischen den gegen die Juden und die Deutschen angewandten Verfahren und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Gefahr eines ähnlichen Schicksals der Ungarn jenseits der Grenzen.“ (S. 432-433) 

Die Fußnoten zu den Personen sind ausschließlich in ungarischer Sprache verfasst. Doch in der Einführung war dieser mutige Einsatz von Mindszenty bereits erwähnt worden – mit dem Kommentar, dass solche innerungarischen Proteste ebenso wie auch die Mahnungen von Diplomaten von den ungarischen Behörden ignoriert wurden. 
Der Band enthält eine umfangreiche Literaturliste, in der auch deutsche Titel zu finden sind. Er ist ein sehr wichtiger Beitrag zur Minderheiten- und Migrationsforschung.