Randbemerkungen: Akkumulation der Frustrationen

Wenn dieses Land von ehrlich an seinem Schicksal interessierten Politikern geführt wäre, hätte das jüngste Eurobarometer Alarm auslösen und Bemühungen um Lösungsansätze lostreten müssen. Zum ersten Mal seit EU-Beitritt Rumäniens hat die Bevölkerungsbefragung eindeutig eine mentale und sentimentale Abwendung von der EU signalisiert. Die bislang in solchen Fällen regelmäßig angewandten primitiven Erklärungen der Verantwortlichen – generell ist Brüssel schuld – sind inzwischen für niemand mehr glaubhaft, nicht einmal für diejenigen, die sie ständig wiederkäuen.

Dabei erleben wir ein Paradoxon: Mit dem Sinken des Vertrauens in die EU steigert sich einerseits die Erwartungshaltung gegenüber den Geldströmen, die Brüssel lockermacht (PNRR usw., alles nur EU-Mittel), andrerseits steigt die Wirtschaftsleistung und, parallel dazu, das Einkommensniveau der Bevölkerung Rumäniens – wenn auch die unprofessionell kontrollierte Inflation (die in Teilen noch befeuert wird durch die zahlreichen Gießkannengelder dieser Regierungskoalition) die Kaufkraft des Löwen stark mäßigt. Etwas, was sowohl Kommentatoren wie Regierenden entgangen (oder nicht bewusst gewesen) sein muss, dürfte in den vergangenen paar Jahren – etwa seit Ausbruch der Covid-Krise – passiert sein, das die Wende in der Perzeption der EU in der Bevölkerung Rumäniens herbeigeführt hat. 

Fast alle Investitionen, die gegenwärtig in Rumänien angedacht oder in Angriff genommen werden, sind durch den Nationalplan für Resilienz und Wiederaufbau (PNRR) – also ausschließlich durch EU-Mittel – finanziert. PNRR ist der erste Nationalplan Rumäniens überhaupt, der jene Kohärenz aufweist, die ein solches Vorhaben ausstrahlen muss. Vielleicht, weil dieser Plan unter dem Druck der EU ausgearbeitet und unter strenger Kontrolle der EU abgewickelt wird. Fast 30 Milliarden Euro lässt sich die EU diese Zukunftsprojektion Rumäniens kosten – wenn denn Rumänien sich an die selbstgestellten Vorgaben hält und nicht allzu viele balkanesische Drehs anwendet – siehe Sonderrenten. Trotzdem schwindet das Vertrauen in die EU – gerade im Jahr vor den nächsten EU-Parlamentswahlen. 

Ein Grund könnte sein, dass die hart am Rande von Gesetz und Verfassung gefassten Covid-Maßnahmen eng mit Brüssel abgesprochen wurden und dass die hiesigen Regierenden das bei jeder Gelegenheit – zu ihrer Selbstentlastung – unterstrichen haben. Damit wurde konsequent Angst und Frustration aufgebaut, egal ob bewusst oder nicht. Da trotz wirtschaftlicher Erfolgsmeldungen und steigenden Einkommens die Kaufkraft weiter durch die Inflation sinkt, muss wieder Brecht zitiert werden: „Erst kommt das Fressen…“. Frustrationen überlagern einander. Es bedarf nur leichten Drucks in die „richtige Richtung“, und wieder ist allein Brüssel schuld an der gesellschaftlichen und bürgerlichen Resignation. Fakt bleibt: Die EU hat für die Rumänen ihre Zauberkraft verloren. Nicht das Kunstgebilde EU, nur einzelne Mitgliedsstaaten üben noch eine Anziehungskraft auf die Bürger Rumäniens aus. 

Wann hat dieses Land zuletzt einen herzhaften öffentlichen Protest erlebt? Vielleicht hat diese soziale „Ruhe“ mit der Überdrüssigkeit gegenüber Brüssel zu tun. Oder mit einem wabbrigen Regierungschef, der alles andere als das ist, was sich ein strammer Rumäne unter einem General vorstellt. Oder mit einem Präsidenten, der in seinem letzten Amtsjahr vielleicht glaubt, bereits alles getan zu haben, was zum Wohl dieses Landes bewegt werden muss(te). Vielleicht auch mit der tolerierten Regellosigkeit landesweit, vom Unterrichtswesen zur Sozial- und Rentenpolitik, von der Wirtschaft zur Justiz, vom Sozial- zum Geistesleben. 

Erleben wir eine Akkumulationsphase des sozialen Unmuts, von Akkumulation der Wut? Ruhe vor dem Sturm? Gilt noch das rumänische Sprichwort von der explodierenden Mamaliga?