Rettung des Individuums vor der Vermassung

Porträtkunst der „Neuen Bukarester Schule“ in Schloss Cantacuzino in Buşteni

Andreea Floreanu: „Der bittere Morgen“

Vertreter der „Neuen Bukarester Schule“ in Schloss Cantacuzino in Buşteni

In den Räumen des Schlosses Cantacuzino in Buşteni findet noch bis 6. Dezember eine Ausstellung mit Werken junger rumänischer Künstlerinnen und Künstler statt, die eines verbindet: Sie haben alle an der 1864 gegründeten Nationalen Universität der Schönen Künste in Bukarest ihr Handwerk erlernt. Ihre Ansätze und Absichten und ihre Motivwahl verbindet sie über den individuellen Stil und die eigene Technik hinaus. Daher darf man mit gewissem Recht von einer „neuen Bukarester Schule“ sprechen, die im Schloss Cantacuzino ihre erste Gruppenausstellung organisiert.

In den 1980er und Anfang der 1990er Jahre gab es bereits eine Gruppe rumänischer Künstler, die sich als „Bukarester Schule“ bezeichnete, um sich auch begrifflich von der Klausenburger Schule abzusetzen. Formulierungen wie „Repräsentanten der neuen Bukarester Schule“ oder der Begriff „Wiederentdeckung“ sind vor diesem Hintergrund durchaus zutreffend, denn die jungen Künstler, die aktuell in Buşteni ausstellen und alle in den 1980er Jahren geboren sind, sehen sich in einer Tradition. Wie sie waren auch die Vertreter der Bukarester Schule gesellschaftskritisch und revolutionär. Sie fürchteten damals um das Recht des Individuums in der kommunistischen Gesellschaft, so wie ihre Nachfolger heute fürchten, dass das Individuum in Gefahr sei, seine Rechte an die moderne Massengesellschaft abzutreten.

Diese Gefahr, der der Einzelne heute trotz aller Beschwörungen der Freiheit und der Selbstverwirklichung ausgesetzt ist, markieren die Künstler durch die Kontrastierung entindividualisierter Personen einerseits und die Neubelebung der Porträtkunst andererseits. Die Entindividualisierung und Uniformierung etwa durch moderne Einheitskleidung wird durch eine scharfe, überdeutliche Individualisierung konterkariert. Das Porträt dient als künstlerisches Mittel, als Kontrast zur Vermassung und als Kritik an der kapitalistischen Einheitsgesellschaft, die das Individuum nur noch als Konsumenten wahrnimmt.

Die „neue Bukarester Schule“, eine Gruppe junger rumänischer Künstler, entstand um die Malerin Oana Ionel. Die Ausstellung in Buşteni organisierte Ionel gemeinsam mit dem deutschen Kunstsammler Thomas Emmerling. Die „Mitglieder“ der Künstlergruppe haben alle international Erfahrungen gesammelt und konzentrieren sich in ihren Arbeiten auf die Beschreibung der menschlichen Natur in ihrer Vielfalt.

Die Globalisierung hätte den Blick auf diese Vielfalt zwar geweitet, aber ihn auch verengt. Wahrgenommen würde nur, was einem bestimmten, international vermarktbaren, aber auch politisch tolerierten Muster entspricht. Damit sind die gesellschaftskritischen Ansätze der Künstler der neuen Bukarester Schule durchaus neu und innovativ. Sie wollen mit ihrer Kunst dazu beitragen, eine neue rumänische Gesellschaft zu prägen, die einerseits von Freiheit und Verantwortung, Bildung und Kultur getragen ist, die sich andererseits ihrer überlieferten Werte, etwa der christlich-orthodoxen Kultur bewusst bleibt. Ein Humanismus ist ihnen Anliegen, der das Individuum, den Menschen ernst nimmt, zugleich aber auch seine Verantwortung für die Gesellschaft, für das größere Ganze.

Die Darstellungen sind manchmal abstrakt, manchmal sehr figurativ und realistisch wie Fotografien. Die Komposition, auch der abstrakten Darstellungen, erinnert an die klassischen Werke der Meister des „Goldenen Zeitalters“ der flämischen Malerei oder des phantastischen Realismus eines Salvador Dalí. Die Bildersprache ist weitgehend durchsichtig und klar.

Im Schloss Cantacuzino sind als Vertreter der „Neuen Bukarester Schule“ unter anderen vereint: Alexandra Baciu, Andreea Floreanu, Maia Stefana Oprea, Radu Rodideal, Alexandra Tătaru, Bianca Ioniţă und Diana Manole. Alexandra Baciu, die bereits Ausstellungen in Rom, Chişinău, Skopje und in Albanien hatte, zeigt eine sehr feminine Betrachtungsweise ihrer Themen. Ihre Darstellungsweise erinnert in ihren großformatigen Werken an die Wiener Schule des phantastischen Realismus, wie sie der vor Kurzem verstorbene Ernst Fuchs bekannt machte.

Ähnlich fantastisch und transzendent wirken die Bilder von Andreea Floreanu, die Menschen in ihrer Einsamkeit und Sehnsucht zeigt: eine Frau, die am Fenster steht und in eine nebelverhangene Landschaft blickt, oder eine junge Frau, die in sich gekehrt, mit geschlossenen Augen nachzudenken scheint. Ihr bunter, geblümter Rock deutet eine „Neuerschaffung“, einen Neubeginn an. In Alexandra Tătarus (Jahrgang 1989) Bild „Haschisch 1“ gibt sie gekonnt den langsam verschwimmenden Blick des berauschten Gegenübers auf einen bärtigen Mann in kariertem Hemd wieder.

Fotorealistisch ist die Darstellung einer Frau in Lederjacke, die jedoch den Kopf der Komik-Filmfigur „Shrek“ trägt – ein witziger, unerwarteter Kontrast. Maria Stefana Oprea, die bereits in vielen internationalen Ausstellungen aufgetreten ist, ermöglicht uns in abstrakten Zeichnungen einen Blick in das innere, psychische Universum, ganz im Gegensatz zu Bianca Ioniţă, die anonyme Menschen auf Rolltreppen zeigt, in Bewegung, oftmals von hinten oder oben, deren Gesichter tatsächlich nicht mehr zu erkennen sind – als Zeichen für die Verlorenheit und Entindividualisierung des Einzelnen in der modernen Massengesellschaft.

Dagegen beschreibt Radu Rodideal die Probleme der Individualität an der Grenze zwischen Freiheit und Egoismus. Diana Manole provoziert in ihren Aktdarstellungen mit einer natürlichen Unbekümmertheit, die zeigt, dass Nacktheit nicht nur Werbezwecken dienen oder pornografisch sein muss. Samir Vancica bringt Kunst dorthin zurück, wo sie angefangen hat, in den sakralen Raum, wobei in seinen Bildern eine leise Kritik an der Orthodoxie, eine Aufforderung zur Reform mitschwingt. Alexandru Cazanaru, der Bildhauer in der Gruppe, der bereits mehrere Ausstellungen, unter anderem in Salzburg und Bukarest hatte und dort Preise erhielt, überzeugt durch in Bronze und Blei gegossene Gefühle.

Oana Ionel, die Gründerin der Gruppe, überrascht in ihren Porträts durch eine faszinierende Klarheit der Linienführung und eine unaufdringliche Beschreibung von Gefühlen. Trotz der Vielgestaltigkeit, der Variationsbreite der stilistischen Mittel und Inhalte, sind die allesamt bemerkenswert talentierten Künstler an einem interessiert: der Wiederentdeckung der Porträtkunst, der Rettung des Individuums vor der Vermassung. Es geht ihnen um die Renaissance einer durchaus auch schönen, aber vor allem erkennbaren Kunst auf hohem Niveau. Die Künstler der „Neuen Bukarester Schule“ haben schon jetzt in der zeitgenössischen rumänischen und internationalen Malerei bleibende Akzente gesetzt, die es weiterhin zu verfolgen lohnt.