Rückkehr zu den Wurzeln des Dadaismus

Der Einfluss rumänisch-jüdischer Avantgardisten auf die moderne Kunst und Gesellschaft

Hochkarätige Persönlichkeiten würdigen die rebellische Chaoskunst, die sich aufmüpfig „Dada” nennt. Fotos: George Dumitriu

Die Bilder der nonkonformistischen Avantgardisten dürfen auch mal schief hängen.

„Bukarest-Zürich-Paris-Tel Aviv: Rumänische und Jüdische Avantgardisten im rumänischen Kulturraum” lautete das Thema der internationalen Konferenz, die Ende vergangener Woche in der Rumänischen Akademiebibliothek in Bukarest stattfand. Organisatoren waren die Universität Bukarest, das Goren-Goldstein Zentrum für hebräische Studien und die Rumänische Akademiebibliothek, in Kooperation mit dem Rumänischen Kulturinstitut und der Schweizer Botschaft in Bukarest. Als ausländische Gastredner traten in Erscheinung: Christine Vogel (Universität von Zürich), Adrian Notz (Cabaret Voltaire, Zürich), Radu Stern (Musee d'Elysee, Lausanne), Tom Sandquist (University College of Arts, Crafts and Design, Stockholm) und Michael Finkenthal (John Hopkins University, Baltimore, USA).

Die Konferenz befasste sich mit der Entstehung der avantgardistischen Dada-Bewegung zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Die aus Bukarest stammenden, rumänisch-jüdischen Künstler Marcel Janco und Tristan Tzara schufen die Basis für diese neue Kunstströmung, die sich radikal gegen alle bisher etablierten Regeln zur realistischen Darstellung auflehnte. Zusammen mit dem Surrealismus und dem Futurismus bildet der Dadaismus die Basis der sogenannten Avantgarde, die zur Entwicklung der abstrakten Kunst führte.

Die rebellische Dada-Bewegung etablierte sich in Europa zunächst in Zürich, beeinflusste jedoch bald das zeitgenössische gesellschaftliche, philosophische und spirituelle Denken in ganz Europa. Der Schweizer Botschafter H. E. Livio Hürzeler, der anlässlich der 100-jährigen diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und der Schweiz eine Ansprache hielt, bezeichnete Dadaismus und Diplomatie zwar als krasse Gegenpole, zumal letztere für Stabilität und Establishment steht. Doch konnten sich gerade Dank der Schweizer Diplomatie – also der politischen Neutralität zur Zeit des Ersten Weltkrieges - dort jene Künstler frei entwickeln, während das übrige Europa im Chaos unterging.

Die Geschichte des Dadaismus beginnt jedoch - in Bukarest! 1912 gründeten zwei jüdisch-rumänische Künstler, der Schriftsteller Tristan Tzara, geboren als Samuel Rosenbaum, und der Maler Marcel Janco (Iancu) die frühavantgardistische Zeitschrift „Simboluri”. Im Zuge des Ersten Weltkrieges wanderten beide nach Zürich aus, wo sie 1916 wieder zusammentrafen und mit dem Schweizer Poeten Hugo Ball, der Tänzerin Emmy Hennings, den Dichtern Christian Hülsenbeck und Hans Arp das „Cabaret Voltaire” ins Leben riefen. Während im restlichen Europa der Krieg tobte, entwickelte sich dort ein völlig neues Künstlermilieu, das sich provozierend „Dada” nannte. Dada (vielleicht dem rumänischen „da,da” entlehnt, also dem ungläubigen Ausruf „ja,ja”) steht für die Befreiung der Kunst ins Nichts: Tabula Rasa, Destruktion und Neuaufbau, der radikale Bruch mit allen bisherigen Werten. Man distanzierte sich von dem Anspruch, die Realität zu reproduzieren, integrierte Elemente kindlicher oder gar afrikanischer Kunst, Lautmalereien ohne Sinn, mehrstimmige Gedichte... unbändige, überschäumende Kreativität. Unsinn und Sinn verschmelzen im Chaos, das ständig Neues gebiert. Kunst soll nicht im Museum eingeschlossen, sondern mit jeder Faser gelebt werden, sagt Janco. Schnell überschreitet Dada die Grenzen der Kunst und avanciert zum Zeitgeist. Zahlreiche Produkte erhalten den Markennamen Dada, eine gleichnamige Zeitung wird gegründet.

Doch mit Tzaras Auswanderung nach Paris (1920) und Jancos Rückkehr nach Bukarest (1922) nimmt die Züricher Dada-Bewegung vorerst ein Ende. Mit der Zerstreuung ihrer Anhänger in alle Himmelsrichtungen schwappte die Idee auf andere Länder über. Vor allem in Genf, Paris, Berlin, Hannover, Köln, Tel Aviv und New York bildeten sich unabhängige Nuclei.

Dass Dada immer noch lebt – oder besser gesagt, wiedergeboren wurde - berichtete Adrian Notz, Direktor des neuen „Cabaret Voltaire”, das 2004 an der alten Züricher Adresse Ecke Spiegelgasse/Münstergasse entstand. Neben einem Ausstellungsraum in der Krypta gibt es dort einen Veranstaltungssaal und zwei Abteilungen – Dadalogie und Postdada – die sich wissenschaftlich und philosophisch mit dem Phänomen auseinandersetzen (www.cabaretvoltaire.ch).

War Zürich die Kinderstube des Dadaismus, so ist Bukarest seine Wiege. Das rebellische Kind ist nun für kurze Zeit in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, mit der Ausstellung „Wurzeln und Echo der Avantgarde”, die im Rahmen der Konferenz eröffnet wurde. Sie zeigt die Werke von Marcel Janco (Iancu), Paul P²un, Jules Perahim, Corneliu Mih²ilescu, Mili]a Petra{cu, Hans Mattis-Teutsch, M. H. Maxy und Victor Brauner und ist noch bis zum 17. Juni im Theodor-Pallady-Saal der Rumänischen Akademiebibliothek zu sehen.
Dass die Bilder dort schief hängen, ist wohl kein Zufall, sondern – Dada!