Rumänische Tradition vom Feinsten

Geschichte, Bräuche und Gegenwartskultur harmonisch vereint in der Mărginimea Sibiului

Wer Ioan oder Ioana heißt, kommt am 7. Januar nicht ohne nasse Schuhe davon.
Foto: sibiu-turism.ro

Über 600 seltene Hinterglasikonen beherbergen die beiden Gebäude des Museums.
Foto: sibiel.net

Die Mărginimea Sibiului besuchen jährlich zahlreiche Touristen wegen ihrer natürlichen Schönheit, ihrer Gastronomie und Traditionen. Die Gegend in der Hermannstädter Umgebung, die insgesamt 18 Ortschaften im Süd-Westen des Kreises Hermannstadt/Sibiu umfasst, verfügt über ein reiches ethnologisches, kulturelles, arhitektonisches und geschichtliches Kulturerbe. Das Hermannstädter Randgebiet am Fuße des Cindrel- und des Lotrului-Gebirges, bewohnten schon immer überwiegend Rumänen, die sich mit der Schafzucht befassen.

Vom Altdurchbruch bis zum Mühlbacher Gebirge/Munţii Şureanu reicht das langgezogene Siedlungsband, welches die Ortschaften Boiţa, Sadu, Râu Sadului, Talmesch/Tălmaciu, Tălmăcel, Răşnari, Poplaca, Gura Râului, Orlat, Fântânele, Sibiel, Vale, Sălişte, Galeş, Tilişca, Rode/Rod, Poiana Sibiului und Jina umfasst. Vor allem Poiana Sibiului und Jina, aber nicht nur diese, sind im Laufe der Jahre zu Schmuckstücken der Gegend geworden. Hier konnten die Bergbauern der Kollektivierung während des Kommunismus entkommen und durch den Handel mit Wolle, Fleisch, Milchprodukten und anderen Geschäften regelrechte Vermögen ansammeln. Dementsprechend hat sich auch die Architektur, im Gegensatz zu jener von vor einem Jahrhundert, massiv geändert. Die Eigentümer ersetzten die traditionellen Holzhäuschen mit stattlichen zwei- oder mehrstöckigen Wohnhäusern, welche den Villen in den besten Hermannstädter Gegenden um nichts nachstehen.

Bräuche und Feste

Zu den Traditionen des Gebietes gehören auch heutzutage noch das Tragen der schwarz-weiß bestickten Volkstracht, die Glasmalerei sowie Bräuche, die vor allem zu den verschiedenen Feiertagen gepflegt werden. Den orthodoxen Kalender, der allgemein im ländlichen Bereich streng eingehalten wird, bereichern die Gemeinschaften in der Mărginime mit eigenen Traditionen, die von Dorf zu Dorf verschieden sind.

Traditionell beginnen die Winterfeiertage in den Dörfern der Mărginime mit dem Nikolaustag und der Bildung der „Ceata Junilor“. Die Truppe unverheirateter Jugendlicher kommt zusammen und ernennt einen Leiter, auch „Jude“ genannt, sowie einen Gastgeber, der für die Beschaffung der Verpflegung, der Getränke, des Feuerholzes usw. verantwortlich ist. Bis Weihnachten studiert die Truppe dann ein spezifisches Repertoire an Weihnachtsliedern ein, das von Ort zu Ort variiert und spezielle Lieder für den Bürgermeister, für den Pfarrer, den Leiter der Truppe und ihren Gastgeber umfasst. Das Weihnachtssingen beginnt an Heiligabend vor den Häusern des Bürgermeisters und des Pfarrers, anschließend werden bis in die Morgenstunden alle Häuser im Dorf besungen und am Ende stattet die Truppe dem Gastgeber einen Besuch ab.

Am ersten Weihnachtstag singen die Truppen nach der Weihnachtsmesse in der Kirche und nehmen am ersten und zweiten oder sogar auch am dritten Weihnachtstag an den Bällen im Dorf teil. Am vierten Weihnachtstag findet in Sălişte das große Treffen der Truppen statt, an welchem sich Teilnehmer aus der ganzen Mărginime, aber auch umliegenden Kreisen wie Vâlcea und Argeş beteiligen. Das Treffen der Jugendtruppen mit jährlich mehreren Hundert Teilnehmern wird seit 1895 veranstaltet, eine zehnjährige Unterbrechung gab es nur nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dargeboten werden spezifische Tänze wie die Învârtita und die Jiana, sowie Weihnachtslieder, und jede Truppe versucht, die anderen durch die Farbenvielfalt und den Schmuck ihrer Trachten zu überbieten. Der Veranstaltung wohnen jährlich zahlreiche Touristen bei, die sich gleichzeitig der Gastfreundschaft und der lokalen Gastronomie erfreuen.

In der Silvesternacht veranstalten die Jugendgruppen das „Begräbnis des alten Jahres“ und tragen einen symbolischen Sarg, der mit Stroh und Stofffetzen gefüllt ist, durch den Ort. Zu Mitternacht wird er in Brand gesteckt, um die bösen Geister, das alte Jahr und alles Schlechte daran zu vertreiben.

Den Winterfeiertagen in der Mărginime setzt die „Taufe der Johannen“ (Udatul Ionilor) am 7. Januar ein Ende, welche in Tălmăcel seit mehr als 400 Jahren begangen wird. Nach dem Gottesdienst begibt sich ein Umzug, gebildet aus Trachtenträgern aller Altersgruppen, ein von geschmückten Bullen gezogener Karren, gefolgt von Eseln, die große Strohpuppen tragen, sowie Reiter in Trachten, zum Bach, wo alle, welche den Namen Ioan oder Ioana tragen, symbolisch getauft werden. Anschließend begibt sich der Umzug auf den Dorfplatz, wo traditionelle Volkstänze aufgeführt werden.

„Die Myrrhophoren“ (rumänisch: mironosiţele) sind ein Osterbrauch, den anno dazumal die Gemeinschaften in mehreren Dörfern pflegten und welcher Mitte des 19. Jahrhunderts entstand. Heutzutage wird der Brauch nur noch in Rode gepflegt. Es geht dabei um ein religiöses Trauerspiel, welches die Geschichte der Myrrhenträgerinnen Maria Magdalena, Maria Jacobi und Maria Salome wiedergibt, welche zum Grab Jesu gehen, Gewürze mit sich führend, es leer vorfinden und die Botschaft der Auferstehung Jesu erhalten. Die Schauspieler sind Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren, welche das Trauerspiel in der Osternacht nach der Messe in der Kirche vortragen. Die Mädchen tragen Trauerkleidung, die Jungen sind als die Heiligen Drei Könige verkleidet. Nach der Vorstellung stellen sich die Kinder vor der Kirche auf, wo sie von den Kirchgängern mit Geld beschenkt werden.
Weitere Bräuche und Feste in der Mărginime sind das Hirtenfest Mitte August, das Käse- und Ţuica-Festival Ende August oder Anfang September oder die Schafbock-Auktion im September. Zahlreiche Folklorefestivals werden zudem das ganze Jahr über begangen.

Traditionsreiches Handwerk

In der Mărginime haben sich vor allem die Handwerkskünste entwickelt, die auf natürlichen Ressourcen der Gegend basieren: Zimmerei, Radmacherei, Kürschnerei, Sattlerei oder Hinterglasmalerei, und die durch ihre hohe Qualität weltweit bekannt geworden sind.

Eine Besonderheit der Gegend und einen speziellen touristischen Anziehungspunkt stellt das Hinterglasikonen-Museum in Sibiel dar. Das Zosim-Oancea-Museum beherbergt die größte und wertvollste Sammlung an Hinterglasikonen in Siebenbürgen. Die rund 600 Exponate, welche ein regelrechtes Wunder künstlerischer Kreativität und religiöser Phantasie sind, begann der orthodoxe Pfarrer Zosim Oancea 1969 mit der Unterstützung der Dorfbevölkerung zusammenzutragen.

Die Gastronomie

Vor der Einführung des Maises aßen die Bewohner der Mărginime vor allem Backwaren aus Weizen-, Gerste-, Hafer- oder Hirsemehl. Nach dem 17. Jahrhundert wurde der Maisbrei zum Grundnahrungsmittel: Morgens aß man Maisbrei mit Milch, Käse oder Rührei, mittags Maisbrei mit diversen sauren Suppen und abends Maisbrei mit Käse. Abgesehen davon waren weitere Grundnahrungsmittel die Kartoffel und seltener das Brot, welches früher als Delikatesse galt. Nutztiere lieferten je nach Haushalt Kuhmilch, Eier und natürlich den mittlerweile weltberühmten Schafskäse. Eine Seltenheit und nur zu den Feiertagen üblich war Schweine-, Rind-, Lamm- oder Hühnerfleisch.
Heutzutage bietet die Mărginimea Sibiului alle Leckereien an, die das Herz eines Connaisseurs begehren könnte, von in Maisbrei verpacktem Schafskäse, diversen ausgezeichneten Käsesorten bis hin zu Speck oder geräucherten Wurst- und Leberwurstsorten.

Mit der natürlichen Schönheit der Gegend, der Geschichte, den Traditionen und ihrer Gastronomie hat die Mărginimea Sibiului vieles zu bieten. Wer sich einen oder mehrere Tage Zeit nimmt, kann vor allem zu den Feiertagen oder anlässlich der Festivals viel erleben und sich an der frischen Bergluft erholen. Die zahlreichen, vor allem zu Weihnachten, Neujahr und Ostern ausgebuchten Gästehäuser in der Gegend zeugen von der Beliebtheit dieses Landstrichs.