Schäden durch Online-Schule jetzt korrigieren

Woran Eltern mit ihren Kindern unbedingt rechtzeitig arbeiten sollten

Seit wenigen Wochen sitzen wieder fast alle Schüler Rumäniens in den Bänken. Es scheint langsam wieder in Richtung „Normalität“ zu gehen, die Kinder verbringen nicht mehr ganz so viel Zeit vor dem Bildschirm. Doch die während der letzten Monate formulierten Warnungen zahlreicher Gesundheitsexperten sollten Eltern trotzdem nicht voreilig in den Wind schlagen: Die exzessive Nutzung von elektronischen Kommunikationsgeräten während der Pandemie hat weltweit Folgen mit sich gebracht, wie einige Studien zeigen. Wichtig ist jetzt, die entstandenen physischen und psychischen Schäden frühzeitig zu korrigieren und negativen Verhaltensweisen entgegenzuwirken.

Cyberbullying, Datenklau, Fake News

Elektronische Kommunikationsgeräte haben den Kindern während des letzten Jahres  erlaubt, trotz Ausgangsbeschränkungen am Unterricht teilzunehmen und ihre Klassenkameraden zumindest virtuell zu treffen. Die NGO Salvați Copiii (Rettet die Kinder) hat neulich 5000 Schulkinder und Jugendliche zum Thema „Auswirkungen von Covid-19 auf rumänische Kinder“ befragt: 54,7 Prozent der Teilnehmer haben eine übermäßige Nutzung der Bildschirmtechnologie zugegeben, was oft auch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Familie geführt hat. Ebenfalls seien knapp ein Viertel der Schüler Opfer von Cyberbullying oder ungewollter Veröffentlichung persönlicher Daten gewesen, fast 40 Prozent seien von Fake-News verwirrt worden. Ein Ergebnis, das auch von mehreren internationalen Studien untermauert wird. Bereits im Jahr 2016 kam eine an der renommierten Stanford-Universität durchgeführte Studie zu dem Schluss, dass 82 Prozent von 7800 befragten Schülern falsche von tatsächlichen Nachrichten nicht unterscheiden konnten. 

Die NGO Salvați Copiii hat sich dementsprechend vorgenommen, in der Zeitspanne von April bis September dieses Jahres eine Serie von kostenlosen Webinaren unter dem Motto „Verantwortliche Eltern im digitalen Zeitalter“ in Bukarest, Ploiești, Konstanza, Hermannstadt/Sibiu und Neumarkt/Târgu Mureș anzubieten sowie zahlreiche Online-Events zu organisieren. Das detaillierte Veranstaltungsprogramm ist auf edupedu.ro einzusehen.

„Pandemische Körperhaltung“

Über schädliche Folgen der pandemiebedingten Einschränkungen auf Kinder berichtet eine mehrmonatige Studie des Bukarester Vereins „KinetoBebe“, an der 745 Eltern von Kindern bis zum zwölften Lebensjahr teilnahmen. Die Ergebnisse seien „besorgniserregend“, die „Auswirkungen bereits in der Entwicklung der Kinder zu bemerken“. Aufgrund des langandauernden Bewegungsmangels  hatten fast 70 Prozent der Eltern Veränderungen in der Körperhaltung ihrer Kinder festgestellt. 50,4 Prozent haben deswegen sogar einen Besuch beim Physiotherapeuten in Betracht gezogen. 

Die Studie unterstreicht die Wichtigkeit der Bewegung für Kinder, sowohl für eine korrekte Körperhaltung als auch für den Muskelaufbau – wobei darauf verwiesen wird, dass eine längere falsche Körperhaltung bereits ab sechs Wochen vom Körper als normal empfunden wird. Experten warnen, dass Bewegungsarmut auch zu langfristigen gesundheitlichen Schäden wie Kreislaufstörungen, Diabetes, Depression oder Suchtverhalten führen kann. 

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschrieb bereits 2019  in ihren „Richtlinien zur physischen Aktivität und zum Schlafverhalten von Kindern” weitläufige Langzeitauswirkungen mangelnder Bewegung: Sie reichen von der Fehlentwicklung der Muskeln und Knochen über Rücken- und Genickbeschwerden bis hin zu Schlafproblemen, einem erhöhten Osteoporose- und Krebsrisiko und sogar zur Beeinträchtigung der Gehirnfunktion. 

In den USA ist bereits der Begriff „pandemic posture“ (pandemische Körperhaltung) verbreitet. Zahlreiche Kliniken wie beispielsweise das „West Texas Rehabilitation Centre“, aber auch mehrere Ratgeberseiten im Internet, bieten physiotherapeutische Unterstützung zur Verbesserung dieser „pandemischen Körperhaltung“ an, die durch eine falsche Sitzposition wegen der langfristigen übermäßigen Nutzung elektronischer Geräte entsteht: hängende Schultern, gekrümmter Rücken, vorgestreckter Nacken, usw. 

Experten betonen: Gerade jetzt sollten Kinder wieder genügend Zeit im Freien und mit sportlichen Tätigkeiten verbringen. Einfache Streckübungen, Fahrradfahren und die ehemalig traditionelle Morgengymnastik seien sehr hilfreich. Physiotherapeuten können zudem gezielte Übungen zur Verbesserung der Körperhaltung empfehlen. 

Pandemiefolge Übergewicht

„Covid-19 könnte unter Umständen einen der beunruhigendsten Trends in der WHO-Region Europa verstärken – zunehmendes Übergewicht bei Kindern“, erklärte WHO-Regionaldirektor Hans Kluge. Bereits vor der Pandemie war in manchen Ländern laut Daten der WHO, bezugnehmend auf Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren, in 36 Staaten in der Zeitspanne 2015 bis 2017 jedes dritte Kind davon betroffen, insbesondere in der Mittelmeerregion. 

Dies gilt umso mehr zur Zeit der Pandemie. Die Kinderärztin und Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums Hamburg-Ost in Billstedt, Susanne Epplée, erklärte: „Ein halbes Jahr nach dem ersten Lockdown haben wir zum ersten Mal ein Kind gesehen, das sein Gewicht verdoppelt hatte. Vor der Pandemie war rund jedes zehnte Kind bei uns übergewichtig. Inzwischen ist es etwa jedes dritte.“ 

In Rumänien stellte die „KinetoBebe“-Studie fest, dass die bewegungsarme Lebensweise während der Pandemie bei fast einem Drittel der teilnehmenden Kinder zu Übergewicht geführt hat. Wichtiger denn je seien gerade jetzt körperliche Betätigung und eine gesündere Ernährung, Obst und Gemüse mit viel Vitamingehalt, so die Experten.

„Anzeichen psychischer Nöte“

Ebenfalls seien bei über 30 Prozent der „KinetoBebe“-Studienteilnehmer Verhaltensstörungen bemerkt worden. Auch in Westeuropa, beispielsweise in Frankreich oder Deutschland, steht  es ähnlich mit den „Anzeichen psychischer Nöte“, besagt eine Studie des Pariser Meinungsforschungsinstitut Ifop. Der Bedarf an Psychotherapie sei generell rasant gewachsen, berichten Psychologen aus aller Welt. 

Insgesamt 86 Prozent von 1143 Eltern aus Spanien und Italien, die an einer im Jahr 2020 durchgeführten Studie der Unversität Miguel Hernández teilgenommen haben, erklärten, ihre Kinder seien gelangweilt, zappelig und unkonzentriert. 44 Prozent der Kinder seien nervöser, 40 Prozent streitlustiger, 36 Prozent unselbstständiger, 27 Prozent sorgenvoller und 23 Prozent würden öfter als sonst weinen. Auch in den USA sei die Anzahl der an Depression leidenden Kinder und Jugendlichen im Vergleich zu vorpandemischen Zeiten um knapp ein Drittel gestiegen. 

Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC empfiehlt Eltern, einen engeren und regelmäßigen Kontakt mit den Kindern zu pflegen, gemeinsame Tätigkeiten durchzuführen, ihnen öfter zuhören und sie zu bestätigen, oder ihnen zusätzliche Tätigkeiten anzuvertrauen, neue Zielrichtungen und Aussichten geben, um ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken – und notfalls einen Besuch beim Psychologen anzudenken.

Auch Alina Mocanu, Psychologin der Jugendschutzbehörde Olt, weist die Eltern darauf hin, die Verantwortung ihrer Elternrolle tatsächlich wahrzunehmen. Kinder und Jugendliche würden immer Hilfesignale aussenden – insbesondere in außergewöhnlichen Situationen, in denen sie sich überwältigt fühlen – jedoch würden die Erwachsenen diese oftmals nicht wahrnehmen. Die Psychologin empfiehlt den Eltern insbesondere, die Freundschafts-Beziehung mit ihren Kindern wieder aufzubauen, weniger mit ihnen zu streiten, sondern eher anzuleiten, ihnen zuzuhören und gemeinsame Tätigkeiten auszuüben.

Bildschirmopfer: Augen

Augenärzte warnen schon lange vor den negativen Auswirkungen einer verlängerten Bildschirmzeit. Norbert Pfeiffer, Leiter der Uni-Augenklinik Mainz, sprach neulich von deutlich zunehmenden Augenbeschwerden in Deutschland als Kehrseite der digitalen Arbeits- bzw. Schulwelt. Grund dafür sei nicht nur die längere Zeit vor dem Bildschirm, sondern oftmals auch eine unsachgemäße technische Ausstattung. Zu Hause würde man sich seltener vom Bildschirm trennen als im Büro oder in der Schule und  auch nur knapp halb so oft blinzeln, was zu einer ungenügenden Benetzung der Hornhaut und in der Folge zu Kopfschmerzen und Sehstörungen führen kann. Längere Bildschirmzeiten können laut Pfeiffer sogar zu Kurzsichtigkeit führen, insbesondere bei häufigerer Nutzung des Handys oder Tablets – Risikofaktor für ein früheres  Einsetzen von Netzhautablösung, Glaukom und  Makuladegeneration und damit für Blindheit. Die übermäßige Fokussierung auf nahe Kleinbildschirme kann zur Fehlbildung des Auges führen. Experten raten daher, öfters vom Bildschirm aufzustehen und ins Freie oder zumindest ans Fenster gehen, um den Blick auf Objekte zu richten, die in unterschiedlicher Ferne liegen, und um dem Tränenfilm zu erlauben, sich zu erneuern.