Schaulaufen der Zwischenräume

Gabriela von Habsburg stellt erstmals in Rumänien aus

Im Glasrahmen der Lithografie „HF blue, 2016“ spiegelt sich ein Fenster des Kunsthauses 7B Michelsberg.
Foto: Klaus Philippi

Rumänien ist ein Übergangsraum. „Westeuropäern erscheint es viel zu viel balkanisch und orientalisch, während Osteuropäer es viel zu westlich und okzidentalisch finden. In Wirklichkeit aber hat dieser Raum zwischen Ost und West seine eigene Identität. Als ein Raum zwischen dem Rom des katholischen Westens und dem orthodoxen Byzanz hat Rumänien schon immer eine Brückenrolle gespielt. Ziel waren nicht Wien, nicht Konstantinopel, sondern immer beide“, führt Bukaresterin Dr. Oana Ionel (Jahrgang 1984) ins Feld. Und sie liegt richtig, die Malerin aus der Talentschmiede der Universität der Künste Bukarest, denn für die temporäre Ausstellung „Spaţiu Între – In between“ von Gabriela von Habsburg im Kunsthaus 7B Michelsberg/Cisnădioara hat sie sich auch als Kuratorin bestätigt. 

Am orthodoxen Pfingstsonntag, dem 20. Juni, war dieses siebenbürgisch-sächsische Dorfzentrum bei Hermannstadt/Sibiu Schauplatz einer Begegnung, zu der Kunstsammler und Kunsthaus-Programmleiter Thomas Emmerling beizeiten für den Sommer 2020 eingeladen hatte. Dass sie aufgeschoben werden musste, tut ihrer Qualität jedoch keinen Abbruch. Kunst aus der Hand von Gabriela von Habsburg (Jahrgang 1956), Tochter von Otto von Habsburg (1912-2011) und Enkelin des letzten Kaisers von Österreich und Ungarn, Böhmen und Kroatien, hält schließlich jeder Krise Stand. „Kunst ist nicht systemrelevant. Kunst ist Existenz-relevant“, wie Thomas Emmerling nachmittags auf der Vernissage im Kunsthaus 7B untermauerte.

Bildhauerin und Lithografin Gabriela von Habsburg, Kuratorin Dr. Oana Ionel und der verdient zufriedene Hausherr hätten sich für das Vorstellen der Exponate in Michelsberg kein politisch und kulturell verständigeres Premierenpublikum wünschen können. So viele Menschen hatten sich von ihrer persönlichen Einladung oder Neugierde in das Kunsthaus 7B treiben lassen, dass es kaum noch möglich war, sich auf den hauteng bemessenen Stehplätzen um die eigene Achse zu drehen. Hermannstadts Bürgermeisterin Astrid Fodor (Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien, DFDR), Reinhart Guib, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR), Kreisratsmitglied Gabriel Tischer (DFDR), Martin Bottesch, Siebenbürgen-Vorsitzender des DFDR, Varró Sándor, Stadtpfarrer der Reformierten Kirchengemeinde Hermannstadt, Stefan Tobler, Direktor des Instituts für Ökumenische Forschung Hermannstadt, Schauspieler und Ex-Ensemblemitglied des Radu-Stanca-Theaters Hermannstadt Franz Kattesch, Prinzessin Sofia von Rumänien und sogar Nikoloz Nikolozishvili, Botschafter Georgiens in Rumänien, standen dicht an dicht gedrängt im selben Ausstellungsraum wie auch Fotografen, Journalisten und Kunstfreunde aus Michelsberg und Region.

Die Anwesenheit von Botschafter Nikoloz Nikolozishvili war kein Zufall. Weltbürgerin Gabriela von Habsburg, im Großherzogtum Luxemburg geboren, hat wiederholte Male in Georgien ausgestellt, von 2001 bis 2009 an der Staatlichen Akademie für Künste in Tiflis unterrichtet und Georgien von 2009 bis 2013 als Botschafterin in Deutschland vertreten. „Als ich das erste Mal nach Georgien gereist bin, lag der Bürgerkrieg (in Abchasien und Südossetien, Anm. d. Red.) noch nicht lange zurück. Aber das Bedürfnis der Menschen nach Kunst war sehr groß. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wollte ich all die Länder bereisen, die ich vorher nicht bereisen konnte“, so die an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) studierte Philosophin und Alumna der Kunstakademie München aus adligem Haus, das einem Vorgängerbau des demokratischen Europa fast 800 Jahre lang voran stand. Thomas Emmerling entließ das Publikum erst aus dem Kunsthaus 7B, nachdem er ein latent negatives Klischee entkräftete und richtigstellte, dass „Rumänien nicht Südost-europa ist. Georgien ist Südosteuropa, und das ist 2500 Kilometer weiter weg von Rumänien.“ Wo also auch eine Trägerin des habsburgischen Namens sich künstlerisch wie zuhause fühlen kann.

Eingeladen und angereist war sogar Kulturwissenschaftler Dr. Elmar Zorn, in München und am Chiemsee in Oberbayern lebend. Weder ein sich anbiedernder Lifestyle noch elitäre Arroganz sei für Gabriela von Habsburg charakteristisch, betonte er in Michelsberg. Die bildende Künstlerin mit ausgeprägtem Hang zur Arbeit mit Edelstahl und seit 2014 auch Professorin an der Visual Art, Architecture and Design School der Free University Tiflis gestaltet in Lithografien und kleinen bis großen Skulpturen die einfachsten geometrischen Formen wie Kreis, Dreieck und Viereck zu Rahmen für leicht verstehbare und dennoch sehr tiefgründige Nachrichten. Von Farben macht sie nur dezent Gebrauch. Ihre Skulpturen werfen Schatten auf die weißen Wände. Auch die Lithografien haben etwas Dreidimensionales an sich. Der Katalog der Ausstellung, den Fotograf Scott Eastman gestaltet hat, kann davon nur Bruchstücke zeigen.

„Spaţiu Între – In between“ zeigt Exponate der Jahre 1994 bis 2020 und bleibt bis zum 5. September 2021 in Michelsberg zu Gast. Der herausfordernde Name der Ausstellung geht auf einen Vorschlag von Kuratorin Dr. Oana Ionel zurück und entspricht voll und ganz dem Credo Gabriela von Habsburgs: „Genau wie in der Musik die Atempause den Ausdruck verstärkt, so wirkt die Skulptur durch die gezielt geschaffenen Leerräume. Eine Skulptur ist eine Auseinandersetzung mit Räumen.“ Im Garten des evangelischen Pfarrhofes gleich nebenan steht beispielsweise die 2001 gebaute und 175 mal 125 Zentimeter große Skulptur aus Edelstahl mit dem Titel „Chaconne“, von der nicht zuletzt auch die klassische Konzertreihe „Michelsberger Spaziergänge“ an den letzten zwei Sonntagen im Monat Juli und am ersten Sonntag im Monat August zehren können wird.

Gabriela von Habsburg beansprucht den Applaus nicht für sich  alleine. Ihre hohe Wertschätzung für die herausragend intellektuelle Vorarbeit von Kuratorin Dr. Oana Ionel brachte sie auf der Vernissage im Kunsthaus 7B begeistert zur Sprache. Auch Kritiker Dr. Elmar Zorn stellte fest, dass im Schaffen Gabriela von Habsburgs „bei aller Strenge keine Kälte“ festzustellen ist. Eine europaweit, in den USA und aktuell erstmals auch in Rumänien gefeierte Künstlerin, die das Spielfeld nicht Vorurteilen überlassen möchte. „Was kennzeichnend ist, stellt sich immer erst retrospektiv heraus.“

Einen Trick, der sich durch viele Lithografien zieht, erläutert sie philosophisch: „Das Auge schließt die Form auch von selbst ohne das Ausfüllen bis zum letzten Detail durch den Pinsel oder Stift.“ Vollendung geschieht stets von Neuem in der Wahrnehmung jedes einzeln betrachtenden Menschen und schränkt niemandes Freiheit ein. Zu spannenden Reflexionsübungen lädt bestimmt auch die 2015 geschaffene Lithografie „QF cerc bleo, 3-20“ ein – der hellblaue, breite und gekrümmte Farbstrich, etwa wie eine ausgestreckte Handfläche aussehend und einen in grauen und schwarzen Tönen schraffierten sowie nicht ganz geschlossenen Kreis haltend, eignet sich als Bild zu den ersten zwei Versen der Bibel. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ Bei Gabriela von Habsburg tritt die Welt durchlässig auf, und das nicht nur für das Schöne und Einfache, sondern auch für Dunkles, Mattes, für Überlappungen, Verdrehungen und auch für einschneidende Rot-Töne. Licht und Schatten sind mehr als nur Begriffe für das Gliedern von Gut und Böse.

Der Ausstellungskatalog kommt nicht über dokumentarischen Wert hi-naus. Die Idee eines „Spaţiu Între – In between“ lässt sich tatsächlich nicht auf Hochglanzpapier drucken. Zudem hatte die Vernissage nichts mit Routine zu tun, wenn auch das Beethoven-Hauptthema auf Schillers „Ode an die Freude“, zur Eröffnung gespielt von Iuliana Cotîrlea (Violine) und Gabriel Silişteanu (Viola), sicher von den Gastgebern bestellt statt von den zwei Orchestermitgliedern der Staatsphilharmonie Hermannstadt frei gewählt worden war. Anders dafür die Kunstlieder „Trockne Blumen“ und „Erlkönig“ von Franz Schubert, in denen bittersüßer Beigeschmack menschlichen Alltags den Ton angibt. Ohne mehr Aufmerksamkeit für Zwischen- und Grenzräume dürfte das Motto „Alle Menschen werden Brüder“ der Europahymne immer Fiktion bleiben.