Schiefergas-Fracking in Europa: Traum oder Albtraum?

Proteste auch in Rumänien gegen die umstrittene Methode

Schiefergasbohrung in den USA Foto: Daniel Foster / flickr.com

In der vergangenen Woche traf sich der Europäische Rat, bestehend aus den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, in Brüssel. Das Thema sollte diesmal nicht wie so oft die anhaltende Staatsverschuldung sein, sondern die europäische Energiepolitik. Aus aktuellem Anlass wurden zwar zusätzlich die sogenannten Steueroasen auf die Tagesordnung gesetzt, aber über Energiefragen, wie zum Beispiel die Ausbeutung unkonventioneller Gasvorkommen durch das hydraulische Aufbrechen von Gestein, kurz Fracking, wurde auch diskutiert. Der zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger verkündete schon im Vorfeld, dass er noch in diesem Jahr eine unionsweite Regelung dieser äußerst umstrittenen Methode zur Gewinnung von Schiefergas anstrebe.

Konkret beschreibt Fracking die Erzeugung von Rissen im Gestein, denn im Unterschied zu herkömmlichen Gasvorkommen ist Schiefergas in Tonstein gespeichert und kann somit nicht ohne Weiteres gefördert werden. Um es aus dem Gestein zu pressen, sind zunächst Tiefenbohrungen sowie weitere Horizontalbohrungen notwendig, durch welche ein sogenanntes Fracfluid, eine Mischung aus Wasser und diversen, teilweise gesundheitsschädlichen Hilfsstoffen in die Bohrung eingepresst wird. Etwa fünf Millionen Liter Wasser plus Chemikalien sind für ein einziges Bohrloch erforderlich sowie zusätzlich einige Millionen Liter Sand, damit sich die erzeugten Risse nicht sofort wieder schließen. Neu ist diese Technologie keinesfalls, schon in den 1940er Jahren wurde sie in den USA kommerziell angewandt. Größere Bedeutung gewann das Verfahren allerdings erst um die Jahrtausendwende durch die Entwicklung effektiverer Fracking-Technologien, welche beispielsweise ein horizontales Bohren in der Tiefe ermöglichten, sowie das Steigen des Gaspreises, der die teure Fördermethode nun rentabel machte.

Einen wahrhaften Boom erlebte das Verfahren in den USA dann Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Die Förderung von Schiefergas durch Fracking hat den Förderrückgang von konventionellem Erdgas in kurzer Zeit mehr als aufgefangen. Jenseits des Atlantiks feiern Regierung und Industrie seitdem den Anbruch eines neuen Energiezeitalters. Und tatsächlich, von einem Gasimporteur hat sich das Land zu einem Gasexporteur gewandelt. Die Gaspreise sind derweil um bis zu 80 Prozent gefallen. Doch gerade dieser große Erfolg, so WDR-Wirtschaftsredakteur Jürgen Döschner, kann sich sehr schnell ins Gegenteil wenden. Mittlerweile schreiben fast alle Gaskonzerne in den USA Verluste bei der Schiefergasförderung. Das sie dennoch daran festhalten, hat, laut Döschner, einen ganz einfachen Grund: Im Jahr 2010 hat die US-Börsenaufsicht ihre Regeln zur Bewertung von Öl- und Gaskonzernen geändert, fortan wurden auch unkonventionelle Lagerstätten wie Ölsand, Tiefseeöl und eben Schiefergas als Reserven angerechnet, und ohne die riesigen Schiefergasvorkommen in ihren Büchern würden die Aktienkurse der Energieriesen einstürzen.

Doch auch die Stimmen der Mahner werden lauter. Während in Europa noch von einer goldenen Energiezukunft geträumt wird, hat der kanadische Geowissenschaftler Peter Hughes im Auftrag der Denkfabrik Post Carbon Institute die Förderdaten von Tausenden Schiefergasbohrungen analysiert und dabei festgestellt, dass der Förderrückgang schon nach drei Jahren 80 bis 95 Prozent beträgt. Die ehemalige Finanzberaterin bei Merrill Lynch und Gründerin der Denkfabrik Energy Policy Forum, Deborah Rogers, greift in ihrem Gutachten „Schiefer und die Wallstreet: War die Talfahrt der Erdgaspreise gewollt?“ eine andere Seite des Fracking-Booms an. So schreibt Sie: „Das jüngste Überangebot auf dem Erdgasmarkt wurde hauptsächlich durch eine Überproduktion bewirkt, um die Ertragsziele von Finanzanalysten zu erfüllen. (...) Ferner wurden Leasingverträge für nicht erforschte Schiefergasfelder gebündelt, ähnlich der durch Hypotheken gesicherten Wertpapiere vor der Finanzkrise 2007, und mit zweifelhaften Kreditsicherungen an Fonds verkauft.“ Das soll heißen, dass hier eine neue Blase heranwächst und es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch sie platzt.

Kritik am Fracking selbst kommt insbesondere von Umweltschutzorganisationen und lokalen Aktionsbündnissen. Ihr Hauptangriffspunkt ist die mögliche Verunreinigung von Trinkwasser. Denn die Bohrungen verlaufen durch wasserführende Gesteinsschichten – entsteht ein Leck, kann es zur Verschmutzung des Grundwassers kommen. Auch wird nicht das gesamte Wasser-Chemikalien-Gemisch wieder abgepumpt, ein Teil verbleibt in der Erde. Die Erfahrungen zeigen allerdings, dass die meisten Probleme an der Oberfläche entstehen. Für einen Bohrplatz ist in der Regel eine Fläche von einem Hektar notwendig und um das gesamte Gasfeld zu nutzen etwa sechs bis sieben Bohrungen. Schon für eine einzelne Bohrung benötigt es jedoch nach Angaben von Greenpeace bis zu 1500 Lkw-Fahrten, um Wasser, Sand und Chemikalien an- und wieder abzutransportieren. Dies bedeutet ein Meer aus Containern und Schwertransportern auf zu bauenden Zufahrtsstraßen. Darüber hinaus Pipelines für den Wassertransport und Abwasserbecken für die Lagerung. Für Anwohner sind dies keine schönen Aussichten, von den enormen Eingriffen in die Natur und das Ökosystem ganz zu schweigen.

Die Staats- und Regierungschefs haben sich Oettingers Vorstoß am Donnerstag noch nicht anschließen können, doch auch ein generelles Verbot wollten sie nicht beschließen. So bleibt die Abschlusserklärung beliebig und frei interpretierbar, in welche Richtung die Europäische Union bei diesem äußerst umstrittenen Thema steuern will. Da heißt es: „Die EU-Energiepolitik muss die Versorgungssicherheit der Haushalte und Firmen, durch sichere und nachhaltige Methoden, auf einem bezahlbaren und wettbewerbsfähigen Niveau gewährleisten. Dies ist besonders wichtig für Europas Konkurrenzfähigkeiten angesichts einer steigenden Nachfrage der Industrieländer sowie der hohen Energiepreise und -kosten.“ Die EU-Kommission soll nun bis Jahresfrist eine Analyse der Preise und Kosten für Energie in den Mitgliedsstaaten, unter besonderem Fokus zu den Auswirkungen auf die Haushalte, mittelständischen Betriebe sowie energieintensiven Unternehmen, vornehmen.

Indes scheint der Schiefergastraum in Teilen Europas schon jetzt ein jähes Ende zu nehmen. Während neben Frankreich auch Holland und Bulgarien die Suche generell verbieten, zogen sich zuletzt aus dem Vorreiterland in Sachen Schiefergasförderung, Polen, die drei Gaskonzerne ExxonMobil, Talisman und Marathon aufgrund schlechter Förderaussichten gänzlich zurück.

In Rumänien mussten die Lokalbehörden der Gemeinde Sânmihaiu Român im Kreis Temesch die bereits an ein Unternehmen erteilten Schürfrechte auf Druck der Bevölkerung wieder zurückziehen und in Bârlad demonstrieren seit Monaten teils mehrere Tausend Menschen gegen bereits genehmigte Erkundungsbohrungen für den amerikanischen Energiekonzern Chevron. Grünes Licht bekam Chevron auch für Probebohrungen an der rumänischen Schwarzmeerküste. Der Gegenwind kommt hier sogar aus dem benachbarten Bulgarien, wo erst vor zwei Wochen im grenznahen Dobrich Tausende Menschen gegen die Fracking-Pläne Rumäniens demonstriert haben. Einheimische und europäische Politiker müssen sich dementsprechend die Frage gefallen lassen, wie lange sie noch gegen die eigenen Bürger regieren wollen.