Schluss mit Lächeln

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Maskentragen spart Lippenstift – für Süchtlinge wie mich ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor. Seit Jahrzehnten gab es keinen Tag, an dem ich ungeschminkt auf die Straße ging. So etwas geht in Fleisch und Blut über wie Anziehen und Frisieren. Man kann es nicht abstellen, ohne sich nackt zu fühlen.

Dann kam die Maskenpflicht. Zuerst bloß in öffentlichen Innenräumen, also weiterhin zum Weggehen angemalt. Vor Ort rasch den Mundschutz übergestülpt – beim Abnehmen auf der Innenseite dann ein mittleres „Blutbad“! Ich überlege, ob es nicht sinnvoller wäre, mir den Kussmund außen aufzumalen. Vor allem jetzt, wo wir in Bukarest auch im Freien Masken tragen.

Hand aufs Herz, ich gehöre zu den ultrakonsequenten Maskenträgern. Ein geringes Opfer, wenn man überlegt, was man sich in der „Covid-Hauptstadt“ sonst einhandeln könnte – oder, noch schlimmer, nach Hause tragen! Auf dem Weg zur Arbeit gehört auch die Schutzbrille dazu, denn als Tretrollerfahrer muss man sich nicht nur gegen den Aufprall von Krankheitserregern wappnen, sondern vor allem von Staub und Insekten. Die will man nicht tränenblind mit ungewaschenen Fingern aus dem Auge fischen müssen.

Maske tragen ist lästig, aber Ärzte können es doch auch! Manche tragen aus Mangel an anderer Schutzausrüstung sogar freiwillig zwei übereinander. Auch das vielbeklagte Schwitzen unter der Maske ist keine Entschuldigung. Vielleicht verhilft die Vorstellung von ganzkörperverhüllenden medizinischen Schutzanzügen mit Gummistiefeln, stundenlang getragen, in die bei Hochsommertemperaturen der Schweiß von oben hineintrieft, zu ein wenig mehr Masken-Disziplin.

In Indien soll es inzwischen Reiche geben, die sich goldverzierte Masken über den Zinken stülpen. Und beim Fasching in Venedig, nimmt man da das Unangenehme als Entschädigung für das kollossale Spektakel nicht freiwillig gerne in Kauf? Alles eine Frage der Perspektive!

Ehrlich gesagt wundert es mich, dass die Covid-gebeutelte Modeindustrie nicht längst auf diesen Zug aufgesprungen ist. Wo bleiben die fröhlich bunten, personalisierten Kindermasken, im richtigen Format für kleine Gesichter, die den Schulanfang erleichtern? Wo die von Tausend und einer Nacht inspirierten Damenschleier mit dazupassender Kleidung: Pluderhose ŕ la Scheherazade mit leichtem Flatter-Kasack? Wo der Trikini für den Sommerurlaub?

Das Maskentragen kann man erträglich gestalten. Viel schwieriger ist die Kommunikation mit Maske: Vergeblich lächelt man darunter Freunde und Kollegen an. Wird Lächeln bald so unmodern wie Händeschütteln und Umarmen? Ersatzrituale, wie der Gruß mit den Fußspitzen oder Ellenbogen, setzten sich bei uns nicht durch.

Herzlich schmunzeln muss ich über die neue Karikatur von NEL, unserem Zeichner für die Wochenendseite: „Für Sie, Frau Lehrerin, damit Sie uns wiedererkennen“ steht in der Sprechblase über der maskierten Schülergruppe. Auf den verhüllten Gesichtern sind Namen aufgemalt: „Anna“, „Erwin“, „Mehmet“, „Emma“... (Sehen Sie S. 8)
Da fällt mir plötzlich ein, dass unsere beiden Praktikanten wohl noch nie mein Gesicht gesehen haben. Und wenn, dann nur ganz kurz – und ohne Lippenstift. 
Mein neues Corona-Ich.