Schreibwerkstatt an der „Nikolaus Lenau“-Schule

Schüler der Deutschen Spezialabteilung wurden kreativ

John Denvers Lied „Take Me Home, Country Roads“ wurde mit ortsspezifischen Begriffen wie „West Romania“ und „Timișoara“ lokal angepasst und von allen im Raum mitgesungen. | Fotos: Lorette Cherăscu

Die Ergebnisse der Schreibwerkstatt wurden feierlich im Festsaal der Schule vorgestellt. Geschichten, Gedichte, Verse, Lieder und ein „Gespräch“ zwischen Wald und Berg sind dabei entstanden und präsentiert worden.

Der rumäniendeutsche Schriftsteller und Dramatiker Thomas Perle durfte eine Schulwoche mit den Schülerinnen und Schülern der 10. MI und SW-Klassen an der Lenau-Schule verbringen und ihnen Methoden zum kreativen Schreiben näherbringen. | Foto: Volker Schmidt

Das Projekt wurde von der Donauschwäbischen Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg gefördert.

Die Schülerinnen und Schüler der Klassen 10 MI und 10 SW der Deutschen Spezialabteilung (DSA) an der deutschsprachigen „Nikolaus Lenau“-Schule in Temeswar/Timișoara haben in der dritten Schulwoche im neuen Schuljahr an einem Schreib-Workshop mit Thomas Perle, einem jungen rumäniendeutschen Schriftsteller und Dramatiker, teilgenommen. Betreut wurden die Schüler auch von ihren Deutschlehrerinnen Lorette Cherăscu und Katharina Graupe.
Perles Theaterstück „Karpatenflecken“ wurde im Rahmen des Europäischen Theaterfestivals „Eurothalia“, das vom Deutschen Staatstheater Temeswar (DSTT) organisiert wird, vorgestellt. Die Schülerinnen und Schüler durften die Vorführung besuchen, aber auch Tipps und Tricks seitens des Autors im Bezug auf das kreative Schreiben bekommen. Am fünften Tag des Workshops stellten sie ihre Schreib-Ergebnisse im Festsaal der Lenau-Schule vor. Herausgekommen sind außerordentliche Geschichten, Gedichte und musikalische Performances. 

Thomas Perle wurde 1987 in Oberwischau/Vișeul de Sus als Sohn eines Ungarn und einer Rumäniendeutschen geboren. 1991 wanderte er mit seiner Familie nach Nürnberg aus, wo er dreisprachig aufwuchs. Nach seinem Abitur sammelte er erste Erfahrungen als Volontär im Bereich Regie, Dramaturgie und Theaterpädagogik am Staatstheater Nürnberg. Er studierte an der Universität Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaft mit Diplomabschluss. „Schreiben ist für mich ein therapeutisches Instrument“, sagt der Schriftsteller, der bereits mit 15 damit angefangen hat. „Warum Therapie? Ich war immer auf Identitätssuche – Was war ich denn letztendlich: Rumäne, Deutscher, Rumäniendeutscher oder doch Rumäniendeutscher-Ungar?“ erzählt Thomas Perle. Gerade da er diese therapeutischen Geheimnisse des Schreibens beherrscht, hat der junge Autor mit den jungen Schülern seinen Workshop mit einem Identitätsspiel begonnen: „Wer ist man wirklich? Sie haben sich vielleicht bisher noch nie gefragt, welche ist die Person, aber auch die Geschichte hinter einem Namen?“ Die Teilnehmer wurden dabei eingeladen, sich auf Erkundungsreise zu begeben. So entstanden Rätsel, lustige Verse und Reime, alles in Bezug auf den eigenen Namen. 

P.A.U.L.
Paul ist ein so schöner Name
Ist der Name eines Mannes
Nicht der einer alten Dame
Ist überall, ohne Ausnahme
Er klingt so schön wie’ne Reklame

Paul ist wie ein schönes Lied
Mit super Klang und gutem Beat
Zwischen Raul und Paul gibt es kaum’nen Unterschied
Er klingt schön wie der Name Siegfried

Paul auf Lateinisch bedeutet klein,
Aber auf Altgriechisch heißt es groß zu sein
Und letztendlich passt er gut zu mir,
Auch wenn wenig Buchstaben, nur vier.
P.A.U.L “ -

Paul Florea, 10 MI

„Jeder ist auf seine Art besonders. Jeder hat seinen eigenen Namen. Und jeder Name hat eine Bedeutung. Gall war ein berühmter deutscher Arzt. Er war der Erfinder der Phrenologie. Rebecca ist hebräischen Ursprungs und es leitet sich vom hebräischen Namen Rivkah ab. Es hat auch einen biblischen Bezug. Rebecca war die Frau von Isaak und die Mutter von Esau und Jakob. Als meine Mutter einen Film namens ´Rebecca´ gesehen hat, wusste sie sicher, dass ihr Kind, also ich, Rebecca heißen wird. Meine Eltern lieben diesen Namen und sie denken, dass dieser Name herrlich ist. Herrlichkeit. Eine andere wichtige Bedeutung meines Namens.“ - 
Rebecca Gall, 10 MI

Die Schülerinnen und Schüler durften innerhalb des Workshops auch einfach auf die Straße gehen. Sie gingen gemeinsam mit ihrem Werkstattleiter Thomas Perle auf den Freiheitsplatz, wenige Minuten von der Lenau-Schule entfernt, durften dort Menschen beobachten und anschließend einfach das schreiben, was ihnen dabei durch den Kopf ging. Die Dreifaltigkeitssäule, die verstreuten Bänke oder das Straßenklavier in einer Ecke auf dem Platz – alle sorgten für Inspiration und ließen dabei interessante und gefühlsträchtige Geschichten entstehen. Hier einige Ausschnitte daraus:

„Bernard legte sich hin, er fühlte sich nicht gut, er war geschwächt. Es fing an zu regnen, doch er hatte nicht genügend Kraft, um aufzustehen. Bernard schloss seine Augen und starb friedlich auf der Bank.“ - 
Caius Widmann, 10 SW

„Alle sprachen am Handy oder hörten Musik, aber es gab keine Kommunikation, kein Lächeln, nichts, nur viele traurige Menschen.“ - 
Hanna Ferencz, 10 SW

„Als er hineinschaute, überkam ihn eine neue Welle von Angst: Ein sehr großer, langer und mit Schuppen bedeckter Körper rutschte unter den Boden.“ -
 Ana Marian, 10 SW

„Der Himmel ist jetzt hellgrau. Aus seinen Wolken fallen Tränen. Ist der Himmel traurig? Aber warum? Vielleicht weil die Natur noch einmal zu sterben beginnt. Oder wegen der traurigen und gelangweilten Gesichter der Menschen. - 
Carla Coteț, 10 MI

Aber nicht nur Geschichten sind innerhalb der Schreibwerkstatt entstanden. Die Schüler ließen im Festsaal der Lenau-Schule auch Lieder ertönen und trugen Gedichte vor. Der bereits klassische Song „Take Me Home, Country Roads“ von John Denver wurde mit passenden Versen an Westrumänien und Temeswar angepasst. Alle im Raum wurden eingeladen mitzusingen. Viele machten mit.  Außergewöhnlich aber sehr interessant war auch das Gespräch zwischen „Berg“ und „Wald“, das von den Schülerinnen Andreea Babuska und Gloria Ciocani (beide 10 MI) unterschrieben wurde:                                       

Wie das Nichts entstand
Berg: „Meine Augen öffnen, ich bin aus nichts erwacht; kann die Welt sehen und versuche sie zu verstehen.“
Wald: „Sieh! Schon ein mächtiger Freund, fürs Leben gebunden, von mir alleine gefunden.“
Berg: „O kleiner Wald, was machst du hier? Es ist so kalt dass ich bald frier!“
Wald: „Keine Sorge ich bin jetzt hier, beschütze dich wie ein Regenschirm.“
Berg: „Ich will gern sehen wie die Welt sein wird, wenn alles entsteht, Mensch und Wild.“
Wald: „O du Berg, das wird ja schön, kannst du schon die Menschen hörn?“
Berg: „Hätte nie gedacht nicht mehr allein, würd` so schlecht mit dir hier sein.“
Wald: „Nehmen Tag und Nacht nur Holz, fühlen sich bei dem so stolz. Denken an uns niemals, nie, nur zu streiten wissen sie!“
Berg: „Und jetzt, sieh dort in der Ferne, alles brennt wie eine Kerze.“
Wald: „Schau mal hier, ich brenne auch, alle Menschen verschlingt der Rauch.“
Berg: „Und jetzt steh ich ganz alleine, in dieser großen Welt, und weine.“ -

Letztendlich bedeutete der Fünf-Tage-Workshop, der von der Donauschwäbischen Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg gefördert wurde, nicht nur Schreiben sondern auch Gruppenarbeit, Dekoration, Moderation und Textvorstellung. „Ich hoffe, ich habe in den Schülern die Freude des Schreibens und des Theaters erweckt“, hieß es am Ende des Workshops seitens Thomas Perles. 

„Der Workshop hat uns allen sehr viel Spaß gemacht. Es war super, dass wir über verschiedene Themen schreiben konnten, ganz anders als wir norma-lerweise für die Schule zu schreiben haben. Das Highlight war die Präsentation in der Schule für unsere Kollegen aus anderen Klassen, vor allem da wir alle dafür gemeinsam arbeiteten“, sagte im Anschluss Oana Borza, Schülerin der 10. MI-Klasse der Deutschen Spezialabteilung, die zusammen mit ihren Kollegen Iulia Dumitrașcu und Sașa Topală die Moderation der Schülerpräsentation im Festsaal der Lenau-Schule übernommen hatte. „Insgesamt hat das Projekt den Schülern gut gefallen, sie haben ihre Schreibblockaden überwunden, es hat Spaß gemacht, am Freiheitsplatz den Gedanken freien Lauf zu lassen“, sagte auch die Deutschlehrerin der 10. MI-Klasse, Lorette Cherăscu.