Schule – gestern, heute, morgen

Festvortrag von Thomas Şindilariu anlässlich des 25. Sachsentreffens in Mediasch am 19. September 2015 (I)

Thomas Şindilariu während des Festvortrags beim 25. Sachsentreffen
Quelle: Deutsche Botschaft

Schule – gestern, heute, morgen wurde von der Vertreterversammlung des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen als Motto für unsere festliche Zusammenkunft heute festgelegt. Der Moment, in dem das Motto festgelegt wurde, war zugleich eine Absage an das Gedenken an einschneidende Ereignisse in der Geschichte unserer Gemeinschaft. Die Deportation in die Sowjetunion und die praktisch vollständige Enteignung unserer Bauern vor 70 Jahren hatten das Vertrauen unserer Gemeinschaft in die staatliche Ordnung so tiefgreifend erschüttert, dass man nahezu von einem vollständigen Vertrauensverlust auf eine Zukunft der Deutschen in Rumänien sprechen konnte. Zumindest für 1945 und für die Jahre unmittelbar danach sticht dem Betrachter beim ersten Blick in die Zeitzeugnisse völlige Hoffnungslosigkeit ins Auge. Jenseits von allem Leid und Schmerz, den der Verlust der Angehörigen während und nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete, hatten der Verlust des Schutzes als Staatsbürger und das Fehlen der Sicherheit für Haus und Hof den Lebensnerv der Deutschen in Rumänien schwer getroffen.

Auf der Grundlage des mittelalterlichen Rechts waren die Deutschen vor damals 800 Jahren gekommen und sind hier zu Siebenbürger Sachsen geworden – ein Recht, das alle zeitbedingten Wandlungen berücksichtigt, 1945 eigentlich noch hätte gelten müssen. Selbst die Vereinnahmung der Minderheit durch das nationalsozialistische Berlin und die weitreichende Einlassung der Minderheit auf die braune Ideologie hatten de jure am Status der rumänischen Staatsbürgerschaft nichts geändert. Freilich war im Januar 1945 der Krieg gegen Hitlerdeutschland noch nicht beendet, in Rumänien schwiegen die Waffen jedoch bereits seit Monaten und dennoch konnten die Angehörigen unserer Minderheit in den Januartagen 1945 auf Schutz des Staates, dem sie angehörten, nicht zählen. Die sowjetische Besatzungsmacht gebot, der rumänische Staat musste gehorchen und wurde so mitschuldig am Schicksal der Deportierten. Eine ähnliche Erfahrung der Rechtsunsicherheit und staatlichen Willkür wie beim Deportationsgeschehen stellte die Agrarreform von 1945 dar, die weitgehend mit dem landwirtschaftlichen Eigentum der Deutschen Rumäniens aber auch mittels ihres Wohn- und Hofeigentums umgesetzt wurde. Dass hier eine erste Gruppe aus der Gesellschaft Rumäniens herausgelöst worden war, einer willkürlichen Sonderbehandlung unterworfen wurde, um die etappenweise Umstrukturierung Rumäniens in einen Satelliten des kommunistischen Ostblocks voranzubringen, soll hier nicht weiter vertieft werden.

Festzuhalten gilt vielmehr, dass vor 70 Jahren alles unwiederbringlich verloren schien, womit in der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt Zukunft errungen worden war, nämlich mittels arbeitsamer Menschen und ihrer meist agrarischen Erwerbsgrundlage. Dennoch gab man nicht auf. Der erste Schultag kam Jahr für Jahr auch für die damals wieder in kirchlicher Trägerschaft stehenden, hoffnungslos unterfinanzierten Schulen praktisch den Zeitläuften zum Trotz. Dieses Durchhalten kann in unserer Geschichte nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hätte sich hier eine Unterbrechung ergeben, so darf es mehr als fraglich erscheinen, ob der kommunistische Staat sich bei der Schulreform von 1948 mit der Frage der deutschen Schulen überhaupt noch auseinandergesetzt hätte. Pfarrer, Lehrer (oft Ruheständler), Presbyterien – kurzum die Kirche als einzige verbliebene organisatorische Struktur unserer Gemeinschaft – leisteten für sie in historischer Perspektive betrachtet Großes, indem sie das Selbstverständliche taten: Es wurde so gut wie irgend möglich improvisiert. Da auf diese Weise das Schuljahr 1947/48 in kirchlicher Trägerschaft abgeschlossen werden konnte, übernahm der Staat das muttersprachliche deutsche Schulwesen nahezu vollständig. Er führte es weiter, was eine große Ausnahme im kommunistischen Ostblock gewesen ist, und stellt auch heute noch, demokratisch geläutert, den Verwaltungsrahmen für die Existenz des muttersprachlichen deutschen Schulwesens in Rumänien.

Für die weiteren Ausführungen ist hieraus mitzunehmen, dass vor 70 Jahren so viel Zukunftsvertrauen, so viel Gottvertrauen doch noch vorhanden war, um weiterzumachen und den Kindern eine Zukunft in der deutschen Sprache und Kultur durch Aufrechterhaltung der Schulen zu geben. Blickt man in die Gedenkbücher, die meist zum 50. Maturajubiläum von den einstigen Schülern angefertigt worden sind, so kann man das gleicher-maßen Unglaubliche wie Selbstverständliche, das den ersten Schultagen der Zeitspanne 1944-1947 anhaftete, nachempfinden, ebenso den zähen Überlebenswillen unserer Gemeinschaft, die das ermöglicht hatte. Von alldem schwang etwas mit, als die Vertreterversammlung des Siebenbürgenforums sich für das Zukunftsthema „Schule“ entschied. Also Schule – gestern, heute, morgen.
Entgegen meinen Anfangsintentionen als Student bin ich nicht Lehrer geworden, bin dem Vorbild etlicher Vorfahren, vor allem jenem der Eltern, nicht gefolgt, stattdessen wurde ich Historiker und Archivar. Bei enger Auslegung der beruflichen Zuständigkeit sollte ich mich daher tunlichst auf die Befassung mit dem eindeutig Vergangenen beschränken. Dagegen sprechen zwei Dinge. Zunächst ein unter Historikern beliebtes Bonmot, das seine Entstehung der raschen Abfolge von Faschismus, Kommunismus und Nationalismus sowie dem Einfluss dieser Ideologien auf das jeweilige Geschichtsbild verdankt. Es lautet: „Die Zukunft allein ist sicher! Die Vergangenheit ändert sich nämlich andauernd.“ In dieselbe Kerbe schlägt zwei-tens das philosophische Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft, deren Antrieb zur Entwicklung von Fragen an die Vergangenheit stets im Bedürfnis zur Orientierung in der jeweiligen Gegenwart liegt – ein Orientierungsbedarf im Übrigen, der stets von Zukunftsfragen und -ängsten generiert wird. Letztlich kam es und kommt es auch heute noch auf den Willen an, auf den Willen zur Zukunft und auf die daraus erwachsenden Maximen für das gemeinsame Handeln in politischer, gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht.

Doch nun ein paar Streiflichter in die Vergangenheit des Schulwesens der Siebenbürger Sachsen, die mit Blick auf unsere heutige Situation als Inspirationsquelle gelten mögen. Selbst wenn die historischen Belege dafür fehlen, kann behauptet werden, dass die Siebenbürger Sachsen unmittelbar nach ihrer Einwanderung vor bald 900 Jahren, auch Schulen errichtet haben müssen, da sonst die Ausbildung eines vollwertigen Gemeinwesens nicht hätte gelingen können. Freilich diente die Schule zunächst fast ausschließlich der Heranbildung des Nachwuchses für den geistlichen Stand. So war etwa für das Burzenland seit 1444 der Universitätsbesuch Bedingung zur Zulassung zum Pfarramt, was zu einem frühen Zeitpunkt für die hohe Qualität unserer damaligen Schulen spricht. Auch die Adaptierung der lateinischen Lehrerbezeichnung (scolaris) ins Siebenbürgisch-Sächsische erfolgt früh als Schuller, Schuiler etc. und ist als Familienname in latinisierter Form bereits 1370 als Schullerus nachgewiesen, worin auch ein Hinweis für eine frühe, recht flächendeckende Verbreitung der Schulen zu sehen ist. Betrachtet man die Reformation in Kronstadt etwas genauer, so sind einige bemerkenswerte Entwicklungen mit Blick auf unser heutiges Thema zu verzeichnen. Johannes Honterus war in der Zeitspanne 1530-33 gerade im Begriff, in den geistigen Zentren Europas als Humanist Karriere zu machen. Dennoch folgte er dem Ruf seiner Vaterstadt zurück in die Heimat. Für den Verzicht auf eine Karriere im Herzen Europas muss es gute Gründe gegeben haben. Die materielle Seite muss gestimmt haben, jenseits davon stand aber auch ein verlockendes Angebot zu gestalterischem Wirken im Raum.

In Konturen ist erkennbar, dass Honterus in der zweiten Hälfte der 1530er Jahre mit der Errichtung eines humanistischen Gymnasiums befasst war. Dies geschah wohl weitgehend orientiert am Nürnberger Modell, das unter maßgeblicher Beteiligung von Philipp Melanchthon 1526 verwirklicht worden war. Ähnlich wie die Nürnberger Inspirationsquelle war das Kronstädter Gymnasium als zwischen Schule und Universität stehend konzipiert worden. Für die Bedürfnisse seiner Schule hatte Honterus die erforderlichen Schulbücher – zumeist Autoren des klassischen Altertums – in gekonnt handlicher Aufmachung selbst erstellt und gedruckt. Die von ihm selbst verfasste lateinische Grammatik und seine Weltbeschreibung bzw. Cosmographie gab er in verbesserten Auflagen 1535 (vermutlich) und 1541/42 heraus. Die in einprägsame Hexameter gefasste Cosmographie – Auswendiglernen galt damals als pädagogisch fortschrittlich – ergänzte Honterus um einen 16-seitigen Kartenanhang. Der weltweit erste Schulatlas wurde damit in Siebenbürgen erstellt! Die Cosmographie listet, einer Schulenzyklopädie vergleichbar, die Wissensinhalte, über die ein Absolvent des Kronstädter Gymnasiums Bescheid wissen sollte, auf. Die Meisterschaft, die Honterus dabei an den Tag legte, als Geograf aber vor allem als prägnanter Kompendienverfasser, bescherten seiner Cosmographie ein beeindruckendes Nachleben auf dem europäischen Schulbuchmarkt. Rund 150 Jahre lang wurde sein Werk in vollständigen und partiellen Auflagen in den unterschiedlichsten Städten immer wieder neu herausgegeben. Diese beachtliche Leistung aus der Vergangenheit unseres Schulwesens war auch der Grund für die Kooperation des Kronstädter Forums mit dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, um die Cosmographie pünktlich zu unserem heutigen Treffen kommentiert und in mehrfacher Übersetzung im Schiller-Verlag neu herauszugeben.

(Fortsetzung in unserer morgigen Ausgabe)