Sehnsuchtsorte rumänischer Künstler, Intellektueller und Bohemiens

Ausstellung zu zwei Schwarzmeerdörfern im Bukarester Bauernmuseum

Die beiden am Schwarzen Meer zwischen dem Küstenort Mangalia und der bulgarischen Grenze gelegenen Dörfer 2 Mai und Vama Veche waren auch und gerade zu kommunistischen Zeiten rumänische Sommerferienorte für Individualisten und Nonkonformisten, für Künstler und Bohemiens, für Freidenker und Anhänger der Freikörperkultur. Den Status und die Bedeutung der bulgarischen Schwarzmeerstadt Balcic, die von 1913 bis 1940 zu Rumänien gehörte und namhafte rumänische Künstler der Moderne zu einer Vielzahl von Werken inspirierte, konnten und wollten jene beiden Dörfer am Gestade des Schwarzen Meeres nicht erreichen, gleichwohl wurden 2 Mai und Vame Veche zum Inbegriff freien und ungezwungenen Lebens ohne zivilisatorische oder politische Zwänge, zur Utopie eines einfachen und selbstbestimmten Daseins, die auch heute noch im Namen der rumänischen Rockband „Vama Veche“ oder im dort jährlich stattfindenden „Rock’n Sat“-Festival nachhallt.

Die Ausstellung im „Tancred Bănățeanu“-Saal des Rumänischen Bauernmuseums in Bukarest (2. OG, über dem Café „La Mama“, Zugang von der Monetăriei-Straße) steht unter dem Motto „De la aproape către departe“ (Von der Nähe in Richtung Ferne) und kann noch bis zum 15. November kostenlos besichtigt werden. Am Eingang zur Ausstellung im Bauernmuseum erhält man nicht nur ein Blatt Papier mit einer mustergültigen Übersicht über sämtliche in der Ausstellung gezeigten Werke und Objekte, sondern außerdem auch einen 76 Seiten umfassenden bebilderten zweisprachigen Katalog (ebenfalls kostenlos), der neben Reproduktionen von Exponaten auch mehrere Essays enthält: in rumänischer Originalsprache sowie in englischer Übersetzung.

Die Kuratorin Iuliana Dumitru gibt in diesem Katalog unter dem Titel „Eine Ausstellung über Menschen und über die Beziehungen zwischen ihnen“ eine schöne Einführung in die von ihr betreute Ausstellung, die vom Netzwerk tranzit.ro (Online unter ro.tranzit.org) in Verbindung mit der Stiftung ERSTE organisiert wurde. Ferner gibt sich darin Andreea Ionescu-Berechet unter dem Titel „Aufgehobene Zeit“ ihren persönlichen Erinnerungen an die im jährlichen Turnus zugebrachten Sommermonate in 2 Mai hin. Ruxandra Petrinca reflektiert über „Zeit, Ort und Raum“ in historischer Hinsicht, über die Epoche etwa, als die von Mihail Kogălniceanu 1887 gegründete Ortschaft offiziell noch „Două Mai“ genannt wurde, und Paul Breazu gibt seinem kurzen Essay über Vama Veche den neugierig machenden Titel „Am Ende der Welt, am Ufer des Meeres, Schach spielen zur Musik von Tracy Chapman“.

Das äußerst gelungene Design der Ausstellung wurde von Alex Axinte erdacht und realisiert. Holz- und Metallstrukturen evozieren die sommerliche Atmosphäre der Schwarzmeerdörfer. Lattenzäune, überwölbte Lauben, Türvorhänge aus farbigen Bändern, Hocker und Stühle, Bänke und Tische aus wuchtigem Holz, Sonnendächer, Schaukelstühle für Hof und Terrasse versetzen den Ausstellungsbesucher in die sommerliche Welt der Küstendörfer, wo mächtige Bäume in den Höfen Schatten spenden und saftige Wassermelonen auf großen Servierschalen ihres Verzehrs harren.

Die Ausstellung im Nationalen Bauernmuseum Rumäniens wartet nicht nur mit einer Vielzahl von Exponaten auf, sondern auch mit einer großen Diversität der ausgestellten Arbeiten und Objekte: Zeichnungen, Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Keramikarbeiten, Fotografien, Dias, Filme, Makramee- und Knüpfarbeiten, Nähereien, Wirkereien und Stickereien. Daneben sind auch Haushalts- und Gebrauchsgegenstände der Alltagskultur wie etwa Scheren zur Schafschur, Peitschen oder Sicheln zu sehen, ferner Gegenstände traditioneller Volkskultur wie etwa Rosenkränze  (mătănii), Kopfkissen, Tücher, Tischdecken oder Teppiche.

Besonders beeindruckend ist die Serie von Fotografien von Adrian und Alexandru Maftei aus den Jahren 1970 bis 2000, die Porträts von Dorfbewohnern, darunter Kinder mit Fischernetzen, und von Hauswirten wiedergeben, die während der Sommermonate die unkonventionellen Gäste aus der Kapitale oder anderen Städten des Landes beherbergten. Daneben ist eine weitere Fotoserie von Viorel Simionescu zu bewundern, ebenfalls mit Aufnahmen in Schwarzweiß und in Farbe. Außerdem finden sich in der Ausstellung auch private Fotos von Constantin Pacea und seiner Familie mit Motiven von Sommeraufenthalten am Schwarzen Meer. Vom selben Künstler sind darüber hinaus mehrere Ölgemälde mit Frauenporträts aus Vama Veche zu bewundern.

Von aktueller Bedeutung ist das Acrylgemälde auf Leinwand unter Verwendung von Erde, Ton und Asche aus dem Jahre 2012 von Nicolae Comănescu mit dem vielsagenden Titel „Spaziergang an der Müllkippe zwischen 2 Mai und Mangalia“. Von Constanța Stratulat stammen vier Aquarelle aus den Jahren 1960 bis 1980, die das Dorf 2 Mai zum Gegenstand haben. Und Silvia Radu nähert sich in fünf Aquarellen aus den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dem Motiv der Steilküste von Vama Veche.

Von Itu Constantin sind in der Ausstellung drei undatierte Skulpturen zu sehen, zwei aus Stein und eine aus Walnussholz, die mit dem hölzernen Hocker, auf dem sie aufruht, in einen interessanten Gegensatz tritt. Eine auf einem Tablet (fast zu schnell) ablaufende digitale Diashow präsentiert Buntstiftzeichnungen von Cristian Pepino. Sie zeigen Muscheln, Pferde, Häuser, einen Hof mit Ziehbrunnen, Zelte am Strand, Schiffe, Krebse und Menschen, vornehmlich Nudisten. Auch eine Serie von Kohlezeichnungen aus den sechziger Jahren von der Hand Geta Brătescus beschäftigt sich mit dem Thema „Nackte am Strand“ und ist in der Ausstellung gleichfalls als digitale Diashow zu betrachten. Eine Reihe von acht Fotografien, die die Bukarester Galerie Ivan zur Verfügung stellte, zeigen temporäre Kunstwerke aus den achtziger Jahren am Strand von Vama Veche, die von der Künstlerin Simona Runcan vor Ort aus Stein, Holz, Papier und Sand gefertigt wurden und die sehr stark Steinmännchen ähneln, Wegzeichen also, wie man sie eher im Gebirge zu sehen bekommt. Nicht von ungefähr tragen die Arbeiten den Titel „Die Gesetze des Gleichgewichts“.

Zwei Filme, die man beide in der Ausstellung in Gänze sehen kann, verdienen abschließend besondere Erwähnung: der fünf Minuten dauernde, nächtens am Strand von 2 Mai gedrehte Film „2 Mai Evening“ von Ada-Maria Ichim sowie der rund zwanzigminütige von Miruna Tîrcă unter dem Titel „Nachsaison“ im Jahre 2006 gedrehte Dokumentarfilm, der nochmals Bilder aus jener Ferienlandschaft Revue passieren lässt, die in vielen Betrachtern Gefühle nostalgischer Erinnerung oder auch lebendiger Sehnsucht wachzurufen vermögen.