Sinnbilder einer Stadt

Ein Spaziergang durch das barocke Temeswar

Der Domplatz im Abendrot Fotos: Zoltán Pázmány

Die Perle unter den zivilen Barockbauten in Temeswar: das Barockpalais, welches das Kunstmuseum Temeswar birgt.

Blick auf die Türme der serbisch-orthodoxen Kathedrale

Das „Alte Rathaus“ am Freiheitsplatz, heute die Musikfakultät der West-Universität Temeswar

Bei einem Spaziergang durch Temeswar/Timișoara fällt als der älteste Baustil, der an der Temeswarer Architektur erkennbar ist, der Barock auf. Mit Prinz Eugen von Savoyen und seinen Truppen hat in Temeswar im Jahre 1716 auch der Barock Einzug gehalten.

 Die Festung, die sie belagert und von den Osmanen befreit hatten, war größtenteils eine aus Holz gebaute. So kommt es auch, dass aus der immerhin 164 Jahre währenden Osmanen-Herrschaft in Temeswar nur wenige Abdrücke im Stadtbild vorhanden sind und diese fast lediglich in Form von Tafeln oder Plaketten, die daran erinnern, was einmal dort gestanden hat. Mit der österreichischen Administration machte die Stadt somit eine komplette Neuerung und Europäisierung durch und diese ist heute noch bemerkbar.

Der Domplatz und die Domkirche

Dem barocken Flair nachspüren gelingt problemlos bei einem Spaziergang durch die Altstadt. Der Spaziergang sollte auf jeden Fall beim Null-Kilometerstein und damit im absolutem Herzen des Barocks in Temeswar beginnen, am Domplatz, wo auch die repräsentativsten Gebäude in diesem Baustil stehen: die römisch-katholische Kathedrale „Sankt Georg“, das Barockpalais, welches das Kunstmuseum birgt, sowie die serbisch-orthodoxe Kathedrale und weitere Häuser.

Das Allerschönste ist, dass im Banat – anders als in anderen Regionen – katholische wie auch orthodoxe Kirchen den Fingerabdruck des Barocks festhalten und dass sie hier am Domplatz auch beide an einem Ort stehen können: der katholische Dom und die serbisch-orthodoxe Kathedrale, die sich wie in einem Reigen die Hände reichen. Ein Händereichen ist es, wie man es selten antrifft, denn meistens wird ein Platz nur von einem kirchlichen Gebäude überragt. Und im Reigen machen mehrere Bauten mit, davon einige ebenfalls im barocken Stil, darunter am prächtigsten: das Barockpalais. 

Steht man vor der Sankt-Georgs-Kathedrale (der Domkirche, so wie sie die Temeswarer kennen), ist der Eindruck ein überwältigender. Die erhaltene Schönheit des Bauwerks spricht heute – fast 300 Jahre nach der Grundsteinlegung (im Jahr 1736) durch den Bischof Adalbert von Falkenstein – von Zeiten, in denen man sich auf Details konzentrierte und Dauerhaftes schuf. Die Initiative geht auf Kaiser Karl VI. von Österreich zurück; mit den Bauplänen wurde kein Geringerer als der kaiserliche Architekt Josef Emmanuel Fischer von Erlach beauftragt, der auch die Arbeiten an der Wiener Hofburg geleitet hatte und als „Bernini des Nordens“ bekannt wurde. Und das ist nur ein Aspekt, auf den man zurückgreift, wenn man Temeswar mit dem Namen „Klein-Wien“ liebkost.

Von Grafen und Barockpalästen

Nicht nur Kirchen, auch zivile und administrative Gebäude sind aus der Barockzeit erhalten geblieben. Das bedeutendste davon steht ebenfalls am Domplatz und hat im Laufe der Jahre mehrere Änderungen mitgemacht. Das Barockpalais birgt heute das Kunstmuseum von Temeswar, ist aber als Präsidentenpalais für den ersten zivilen Verwalter des Banats eingerichtet worden. Dessen Name und seine Titel und Funktionen klingen ebenso barock wie die Zeit, in der er lebte: Don Francesco de Paula Ramon Graf Vilana-Perlas, Marchese de Rialpo, Präsident der Landesadministration der Kron- und Kammerdomäne Temescher Banat und der Banater Bergwerksdirektion. 
In der Mitte des Domplatzes steht die Dreifaltigkeitssäule, die die Temeswarer als Dank für die überstandene Pest-Epidemie errichtet haben, sie erinnert wiederum an die Pestsäule in Wien und gehört zu einem der beliebtesten Fotomotive der Besucher.

In Pastelltönen leuchten heute die Gebäude der serbisch-orthodoxen Kathedrale sowie des bischöflichen Palais der Diözese, die die Westflanke des Domplatzes schmücken. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde bereits das Gebäude des orthodoxen Bischofspalais in unmittelbarer Nähe der Kathedrale im Stil des österreichischen Barocks unter dem damaligen Bischof Gheorghie Popovici errichtet. Das bereits im 19. Jahrhundert stark beschädigte Palais wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auf Antrag der serbischen Kirche vom Stadtarchitekten Szekely Laszlo umgestaltet, dabei erhielt auch die Fassade den Abdruck eines sogenannten „neuserbischen“ Stils, den man auch heute erkennen kann.

Hat man den Rundgang durch den Domplatz beendet und seine Augen auch über weitere kleinere, aber schmucke barocke Gebäude, aber auch über die im Sezessionsstil errichteten architektonischen Perlen schweifen lassen, dann sollte man den Spaziergang in der Augustin-Pacha-Straße fortsetzen, um ein weiteres barockes Gebäude zu sehen: das Bischöfliche Ordinariat. 

Die Theresienbastei

Ebenfalls in der Nähe gelegen und einen Abstecher wert ist die Theresienbastei, ein Rest der ehemaligen Stadtmauern, die im 18. Jahrhundert errichtet wurden. Das barocke Portal führt zum Nationalen Museum des Banats, das, bis zur Sanierung des Hunyadi-Schlosses hier seinen Sitz hat. Acht Basteien hatte das Fortifikationssystem der Stadt, sternförmig im Vauban-Stil errichtet. Abgerissen wurde der Großteil, als sich die Stadt Ende des 19. Jahrhunderts auch außerhalb der Mauern entwickeln wollte. 
Bevor man zum Freiheitsplatz spaziert, sollte man sich auch das Haus des Grafen de Mercy anschauen, das barocke Elemente enthält und das erste repräsentative Gebäude war, das von der österreichischen Verwaltung hier errichtet wurde.

Auch am Freiheitsplatz stehen Gebäude, die aus dem 18. Jahrhundert stammen: Das als „altes Rathaus“ oder „deutsches Rathaus“ bekannte, zurzeit rot gefärbte Gebäude, das die Musik- und Theaterfakultät beherbergt, ist 1734 errichtet worden, die Pilaster, der Balkon, der bogenförmige große Eingang sind den administrativen Gebäuden im Barockstil eigen.

Abschließen kann man den Rundgang, indem man sich die Franziskanerkirche (heute als griechisch-katholische Kirche bekannt) sowie die rumänisch-orthodoxe Kirche „Mariä Himmelfahrt“ in der Elisabethstadt anschaut, die einen barocken Turm hat, der allerdings erst im 19. Jahrhundert errichtet wurde.

Diese Gebäude in Temeswar sind Perlen des Barocks. Die Aussage mag tautologisch klingen. Das liegt am Namen des Stils: Der Kunststil brauchte einiges, um sich nach der Renaissance durchzusetzen, so kam es, dass sein Name auf etwas hinweist, das im Kontrast mit den Formen der Renaissance steht, nämlich auf die Barockperlen. Diese haben eine unregelmäßige Form und sind meistens günstiger als die runden, sollten aber nicht als zweitklassig angesehen werden. Denn: Dieselben Formen lassen gleichzeitig an Fantasie und Individualität denken. So auch der Barock. Und die barocken Gebäude in Temeswar sind auch heute noch eine Freude für die Augen und die Seele.