Soziales Engagement als Beruf und Berufung

ADZ-Gespräch mit Tina Bing aus Deutsch-Weißkirch und ihr Einsatz für Menschen in Not

In Deutsch-Weißkirch/Viscri, dem Dorf, das dank des Mihai Eminescu Trusts und der regelmäßigen Besuche des britischen Thronfolgers Prinz Charles landesweit als Musterbeispiel für die Bewahrung  des siebenbürgisch-sächsischen Erbes und für den auch damit verbundenen erfolgreichen Tourismus bekannt ist, lebt schon seit zwölf Jahren auch die Familie Bing: Ronny ist Tischler, Tina ist ausgebildete Erzieherin und ihre Kinder sind Albert Selmar (6) und Leni (10). Nach dem Abschlussseminar des Projektes „Menschen möglich machen“, das Menschen mit Behinderung im Repser Ländchen galt und mit Unterstützung der deutschen Stiftung „Aktion Mensch“ von „Europas Kinder Pirna e.V. und „NOWERO“ umgesetzt wurde, sprach ADZ-Redakteur Ralf Sudrigian in Katzendorf/Caţa mit Projektleiterin Tina Bing.

Wie kam es dazu, sich für Deutsch-Weißkirch als Wohnort zu entschließen?

Es waren gleich mehrere Faktoren: Zum einen, sowohl ich als auch mein Mann, beide aus Freital bei Dresden kommend, haben uns in Rumänien kennengelernt. Und nach ein paar Jahren hat es uns wieder nach Rumänien gezogen. Zum anderen ist es auch die Familie Riese gewesen. Sie hat in Deutsch-Weißkirch Sozialarbeit geleistet. Wir haben sie besucht; uns hat das Dorf gefallen. Rumänien galt für uns als eine Herausforderung: für Ronny als Tischler, für mich im sozialen Bereich, sodass wir einfach diesen Schritt gewagt haben.

Was hat diese Herausforderung vorausgesetzt?

Mich ans Dorfleben zu gewöhnen mit allen Vor- und Nachteilen eines Dorfes. Zum Beispiel: Zu genießen, im eigenen Garten zu sitzen, seine Ruhe zu haben, kein Stadtlärm, einer interessanten Arbeit nachzugehen. Ich habe auch Dinge vermissen gelernt: die Freunde in Deutschland; die Tatsache, dass man nie zu kulturellen Veranstaltungen hinkommt, weil sie 80 Kilometer weit weg sind. Ich hab viele Dinge vorgefunden, die ich nie erwartet habe – teilweise Rückständigkeit von bis zu 100 Jahren, Aberglaube – aber auch schöne Sachen. Sonst wären wir nie zwölf Jahre da geblieben.

Warum soziales Engagement?

Weil das mein Beruf ist. Aber: Es ist auch ein Stück meiner Berufung. Es macht mir Freude, mich zu kümmern, wo Not ist und wo ich was bewirken kann. Ich habe aber versucht, mich von einem Helfergedanken zu entfernen, weil ich ganz viele tolle Ressourcen in Rumänien entdeckt habe. Ich möchte gerne nur was anschieben, was dann regional weiter läuft. Ich möchte nicht, dass jemand von mir abhängig ist oder von dem, was ich tue. In dieser Hinsicht habe ich mein Denken, meine Strategie geändert: Ich möchte eher gerne mit Leuten und Organisationen in Rumänien zusammenarbeiten als, von außen kommend, irgend etwas zu bewirken. Nun wurde das Projekt „Menschen möglich machen“ gerade abgeschlossen. Das heißt aber nicht, dass damit ein Schlussstrich gezogen wird.
Es wird in einer anderen Form weitergehen. Es wird eine Elterninitiative bleiben, also eine Gruppe, die jetzt schon dabei ist, einen Verein zu gründen. Es ist eine Zusammenarbeit entstanden, die bleiben wird. In welcher Form – das wird sich noch zeigen.

Wie dringend war dieses Projekt?

Diese Notlage habe ich bereits in der Vorarbeit zu anderen Projekten entdeckt. Deshalb war es mir ein Bedürfnis, so ein Projekt zu initiieren. Ich habe mir „Europas Kinder“ und „Nowero“ ausgesucht und sie gebeten, dass wir zusammen das Projekt verantworten können. In Zusammenarbeit mit den Bürgermeisterämtern haben wir Fälle entdecken können, die nie gemeldet wurden. Und so konnten wir uns um sie kümmern. Wir haben mit dem Kreisamt Kronstadt für  Kinderschutz (DGASPC) einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Eine Mitarbeiterin des Amtes hat zusammen mit mir bei Projektanfang bei den Bürgermeisterämtern für das Projekt geworben. Herr Karl Hellwig, der in der Region gut bekannt ist, hat mir sehr dabei geholfen, dass sich die Türen geöffnet haben.

Wie sind Sie mit den bürokratischen Hürden zurecht gekommen?

Die Bürokratie macht es, dass in Rumänien, ein Zertifikat für Menschen mit Behinderung zu erwerben, mit einem großen Aufwand verbunden ist. Als Deutsche in Rumänisch mit den Behörden zu sprechen, war für mich nie einfach. Inzwischen kenne ich mich in diesen Angelegenheiten so gut aus, dass mich teilweise auch Leute von den Bürgermeisterämtern um Rat fragen.

Wie wichtig sind bei diesem Projekt die Freiwilligen?

Die ganze Beteiligung von deutscher Seite basiert auf ehrenamtlicher Tätigkeit. Von rumänischer Seite leisten die Eltern der Kinder mit Behinderung die ehrenamtliche Arbeit. Es wäre schön, wenn auch andere dazu stoßen. Wir haben auch mit Ärzten zu tun, aber eher auf beruflicher Ebene. Mit dem Ehrenamt sieht es noch recht dünn aus. Ich denke, in diesem Bereich kann man noch viel mit Jugendlichen erreichen. Mit Erwachsenen ist es schwieriger.

Bitte stellen Sie uns auch Ihre älteren sozialen Projekte vor. Zum Beispiel die Straßenschule.

Zu Beginn habe ich in Deutsch-Weißkirch eine Straßenschule gegründet, mit Kindern die ausgeschult waren oder die nie eingeschult waren. Ausgeschult im Sinne, dass es ein unsinniges Gesetz gab, laut dem Schüler, die dreimal sitzengeblieben sind, von dem Normalschulunterricht ausgeschlossen wurden und einer Spezialschule zugewiesen wurden. So was gibt es nicht in Weißkirch, also waren diese Kinder ausgeschult. Das Schöne ist – so eine Straßenschule braucht man jetzt nicht mehr. Wir haben keine nicht beschulte Kinder in unserem Dorf. Der Verein „Viscri începe“, wo ich Vizepräsidentin bin (Maria Panait ist Präsidentin), macht so eine gute Arbeit, dass der Schulabgang vermieden wurde. Die Kinder bekommen schon die verpflichtenden Gesundheitsanalysen für den Kindergarten bezahlt. Es gibt dann noch die Nachhilfestunden zur Unterstützung von Kindern, deren Eltern Analphabeten sind. Diese Kindern brechen den Schulunterricht nicht mehr ab, wie das früher geschah.

Die Gesundheitsstation spielte bei der Betreuung von Kranken auch eine wichtige Rolle.

Das hat sich insofern geändert, dass wir eine Mitarbeiterin haben, die einen Hauspflegekurs besucht  hat. Sie geht donnerstags durchs Dorf, misst bei den Älteren und Kranken den Blutdruck, versorgt auch Notfälle. Also wir haben jemanden, der diese Aufgaben besorgt. Die Gesundheitsstation ist kein fester Ort mehr. Die Krankenschwester ist mobil und läuft durchs Dorf.

Wie hat der Tourismus das Leben im Dorf verändert?

Der Tourismus hat für Weißkirch viel gebracht. Das kann aber nicht die Tatsache verschleiern, dass es im Dorf keine Arbeitsplätze gibt für Leute, die gar nicht ausgebildet sind, die zwei Schulklassen haben und keinen Beruf erlernt haben. Es hat sich aber etwas entwickelt, was mit dem Tourismus zusammenhängt. Wir haben nun Familien, die im Winter überleben können, weil die Frauen Socken stricken, die dann verkauft werden. Ihre Kinder bekommen den Schulbus bezahlt und können das Gymnasium besuchen. Die werden hoffentlich ein anderes Los erleben als ihre Eltern und einen Beruf erlernen. Desgleichen werden in unserem Vereinscafé und Souvenir-Laden an Touristen viele Filzpantoffel verkauft. Dieser Erlös geht direkt an die filzenden Frauen und der Überschuss an die Schüler ab der 9. Klasse, um ihren Transport zur Schule zu gewährleisten. Die Leute im Dorf sind zuverlässig. Wir haben keine Diebstähle. Touristen können in unserem Dorf einen sicheren Urlaub verbringen. Es gibt da keine Kriminalität. Es werden Fahrten mit dem Pferdewagen angeboten, es sind rumänische Pensionen entstanden. Das alles ist inzwischen gut organisiert. Es ist das Zusammenspiel vieler Initiativen, welches Deutsch-Weißkirch interessant zum Besuchen und zum Leben macht.

In Ihrer Arbeit haben Sie sehr viel mit Roma zu tun. Wie kommen Sie damit zurecht?

Auch in Deutsch-Weißkirch gibt es viele Roma, die sich aber nicht als solche erklären. Meine Kinder gehen mit ihren Kindern zur Schule. Ich unterscheide nie nach Ethnie, sondern nach Mensch. Das hat mir in meinen Projekten auch sehr geholfen. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass es die allerletzten Ungarn geben kann, die allerletzten Rumänen, und dass es ganz tolle Zigeuner geben kann und umgekehrt. Ich bin da offen, aber ich bin auch vorsichtig. Das heißt: meine Dienst-Telefonnummer mach ich nachts aus. Ich weiß, dass manchmal sieben-acht Anrufe hintereinander folgen. Die Roma fühlen diese Distanz nicht, das ist ihnen kein Bedürfnis. Oder sie halten nicht den Sonntag ein. Ich habe auch schlechte Erfahrungen gemacht, aber die mache ich nicht an der Ethnie fest. Ich finde, Roma sind sehr benachteiligt. Sie haben aber eigene Ressourcen und ich hoffe, dass sie sie auch selber entdecken.

Wie geht es nun für Sie privat weiter?

Ich möchte weiterhin im kleinen Umfang für die Elterninitiative, die sich um das Projekt „Menschen möglich machen“ gebildet hat, und ihre Anliegen da sein. Sie können mich auch für Seminare etc. „mieten“, zumindest bleibt der Kontakt bestehen. Außerdem schreiben wir gerade mit dem Verein „Viscri începe“ an zwei Projekten gemeinsam mit unserem Partnerverein Institut für Soziale Projekte Stegen e.V. ( InSoPro), um zum einen unser Frauenprojekt zu stärken und wenigstens zwei Arbeitsplätze zu schaffen, und, zum anderen, die Jugendarbeit in Deutsch-Weißkirch zu unterstützen, welche bisher meist ehrenamtlich und daher nur im kleinen Umfang von mir getan wird.
Ich bin froh, dass sich mein Mann neben seiner Tischlerei um Kochen und die Kinder kümmert, während ich meine langen Fahrten habe, oft bis 12 Stunden. Doch ich möchte mehr Zeit mit den Kindern haben, vor allem wegen der Schule. Außerdem haben wir Familienzuwachs bekommen: Seit einer Woche haben wir zwei Pferde, um die es sich zu kümmern gilt.

Vielen Dank für dieses Gespräch!