Sozialgeschichtlich argumentierte Rezensionen

Bischofsamt der Evangelischen Kirche Rumäniens feierte die Herausgabe dreier Fachbücher

Archivarin Monica Vlaicu schätzt sich glücklich, die Evangelische Kirche in Rumänien in der Geschichtsbewältigung unterstützen zu können.
Foto: der Verfasser

Ein publizistisches Ereignis auf siebenbürgisch-sächsischer und zugleich evangelischer Ebene wurde am Freitag, dem 12. Oktober um die Mittagszeit im Georg-Daniel-Teutsch-Saal des Bischofshauses der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) am Großen Ring/Piața Mare in Hermannstadt/Sibiu durch mehrfache Rezensionen bestritten. Stellvertretend für die EKR hatten Bischof Reinhart Guib sowie Hauptanwalt Friedrich Gunesch zu einer dreifachen Buchvorstellung in den Konferenzraum des Bischofshauses eingeladen. Dechanten und Geistliche der EKR, aber auch Vertreter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), sowie weltliche Berufstätige und in den Ruhestand getretene Intellektuelle in Hermannstadt, die der deutschen Sprache mächtig sind und die öffentliche Präsenz der EKR im Landesinneren mit Interesse verfolgen, hatten sich im Veranstaltungslokal eingefunden. Gewiss hatten die zu präsentierenden theologischen Fachbücher evangelischen und deutschsprachigen Einschlags bereits im Vorfeld die Neugierde des ein oder anderen Interessenten geweckt. Schließlich ging es um nicht weniger als die Präsentation der von Bischof em. D. Dr. Christoph Klein verfassten Bände „Die Gesamtkirchenvisitation der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (1990-2010)“, erschienen 2018 im Böhlau-Verlag, und des im Schiller Verlag herausgegebenen Sammelbandes „Siebenbürgische Erinnerungsorte in Lebensbildern“. Das dritte Neuelement der Buchvorstellung und somit eine weitere aufschlussreiche Publikation des Literaturmarktes zum Thema einer christlich-evangelisch-deutsch motivierten Geschichtsbewältigung der Vor- und Zwischenkriegszeit Siebenbürgens steht der Öffentlichkeit ab sofort in Gestalt des Bandes „Adolf Schullerus (1864-1928). Korrespondenzen und Vorträge des siebenbürgischen Pfarrers, Gelehrten und Politikers“, von Monica Vlaicu, ebenfalls im Böhlau-Verlag herausgegeben, zur Verfügung.

Siebenbürgen und das ‘Wer ist wer?’

Den ersten Vortrag hielt Hans-Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Schäßburg/Sighișoara und Dechant des gleichnamigen Bezirks der EKR. Auf den Inhalt des mehr als 750 Seiten umfassenden Bandes „Die Gesamtkirchenvisitation der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien“ von Bischof em. D. Dr. Christoph Klein, aber auch auf die überaus detailreiche Biografie des Autors selbst ging dieser in seiner Rezension ein. Stadtpfarrer Fröhlich hatte seine theologische Ausbildung während der 90er-Jahre durchlaufen und sich unter der Anleitung von Professor Dr. Christoph Klein systematische Fähigkeiten angeeignet, dank derer er sich als erfolgreicher Aspirant auf eine der zu vergebenden Stadtpfarrstellen der EKR hervortat. Aus der Rezension des neuen Fachbuches ging die Erwähnung der drei tragenden Säulen, geistlicher Dienst, Bewahrung des Kulturgutes und Diakonie, die im bisherigen Leben Kleins die größte Rolle gespielt haben, deutlich hervor. Unzweideutig ließ Fröhlich keinen Zweifel daran, Bischof em. D. Dr. Christoph Klein rückblickend zu hohem Dank verpflichtet zu sein.

Der Schäßburger Bezirksdechant der EKR zitierte, dass Altbischof Klein die Zeitspanne der Jahre 1989-1994 als „Zeit der Trauerarbeit und des Zusammenbrechens altgewohnter Strukturen“ betrachtet, da Rumänien es während der ersten Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs „versäumt“ hatte, „wichtige Schritte in Richtung Westen und Demokratie“ zu unternehmen. Getrost darf man davon sprechen, dass Christoph Klein in den zwanzig Jahren seiner bischöflichen Amtszeit die schwierige Aufgabe zu bewältigen hatte, die EKR auf ihrem zunehmend engspuriger verlaufenden Weg in die Zukunft zu begleiten. Die einstige „Volkskirche“ der evangelischen Siebenbürger Sachsen ist klein geworden und wird vermutlich noch kleiner werden.

Fröhlich sprach einen offenkundigen Zusammenhalt aus, demzufolge „in unserer kleinen siebenbürgischen Welt eigentlich jeder um die Klarheit des ‘Who is who’ Bescheid weiß“. Eine Meinungsäußerung, die nicht von der Hand zu weisen ist, wenn man sich den kontinuierlichen Rückgang der Größenordnungen der EKR vor Augen führt. Die EKR wird kleiner, Siebenbürgen jedoch nicht. Siebenbürgen behält seinen vielsprachigen und multikonfessionellen Reichtum nach wie vor bei.

Ausbauoption Ökumene trotz Kontroversen

Um auch außerhalb ihrer bisherigen Filterblase weiterhin als Kirche wahrgenommen werden zu können, steht eine kleiner werdende Kirche wie die EKR vor der Aufgabe, die Beantwortung des „Who is who“ beständig auf ihr nicht-evangelisches Umfeld auszuweiten. Die Ausrichtung der geistlichen Zukunft Siebenbürgens gehört nicht alleine den Würdenträgern einzelner Kirchen, sondern der Ökumene aller getauften Christen. Dass die Orthodoxe Kirche Rumäniens und deren Klerus sich unlängst im Hype um das Referendum betreffend das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehe fehlerhaft verrannt hat, bedeutet nicht automatisch eine implizite Steigerung des geistlichen Wertes einer das Referendum missachtenden Minderheitskirche (siehe hierzu den Leitartikel „Auf ein Wort, anstelle eines Aufrufs!“ auf der Homepage www.evang.ro).

Völkische Klänge der Zwischenkriegszeit

Polarisierend und frei sprechend rezensierte Prof. Dr. Ulrich A. Wien, akademischer Direktor für evangelische Theologie an der Universität Koblenz-Landau, den neuen Band „Adolf Schullerus (1864-1928). Korrespondenzen und Vorträge des siebenbürgischen Pfarrers, Gelehrten und Politikers“. Prof. Dr. Wien ist versierter Siebenbürgen-Kenner, war er doch während seines Theologie-Studiums in den ersten zehn Jahren nach 1989 wiederholt für jeweils mehrmonatige Zeiträume in Hermannstadt und Siebenbürgen zu Gast gewesen. Er gab einen transparenten Abriss der Biografie des evangelischen Pfarrers Adolf Schullerus, „der über eine rhetorische Brillanz verfügt hatte, die in heutigen parlamentarischen Debatten durchaus vermisst wird“. Laut Wien trug der international vernetzte Pfarrer seinerzeit die Identität eines hochrangigen Akademikers, der sich infolge des Anschlusses Siebenbürgens an Großrumänien im Jahre 1918 um die Verhandlungsanforderungen der ethnisch deutschen Minderheit evangelischer Glaubensausrichtung in wichtigem Maße verdient gemacht hatte, dabei aber auf nationalistische Sprachtöne gekonnt verzichtete. Jedoch erwähnte er abschließend, dass Adolf Schullerus als Politiker nichtsdestotrotz aus der Überzeugung heraus lebte und predigte, dass Ethnie und Kirche als untrennbare Einheit zu gelten haben.

Die Geschichte der europäischen Zwischenkriegszeit hat auch in Siebenbürgen gezeigt, dass völkische Ideologien mit traurigen Folgen einhergehen können. Der Rezensent sprach mutig aus, dass Pfarrer Adolf Schullerus persönlich nicht in die ethnisch motivierte Kerbe zu schlagen bereit gewesen sei, dass aber dessen schriftlicher Nachlass, der in dem vorgestellten Buch in konzentrierter Form lesbar ist, enormes Potential für die Entwicklung nationalistischer Gesinnungen birgt. Doch habe Pfarrer Schullerus rückbetrachtend das „Glück“ gehabt, 1928 verstorben zu sein, wodurch ihm das Erleben nachmaliger Kontroversen der späten Vorkriegszeit erspart geblieben war. Die unmittelbaren Reaktionen des Publikums auf die von Wien überaus nüchtern erfasste Interpretation und Ermutigung zur rückblickenden Selbstkritik waren gemischter Art und Weise.

Evangelische Veranstaltung, katholische Musik

Die dreifache Buchvorstellung wurde mit einem Vortrag von Prof. Dr. Hans Klein, der den Sammelband „Siebenbürgische Erinnerungsorte in Lebensbildern” von Bischof em. D. Dr. Christoph Klein rezensierte, beschlossen. Durch diesen Band stellt der Autor der interessierten Leserschaft gesammelte Dankesreden zur Verfügung, die er weltlichen Lebens- und Wegbegleitern zu gegebenen Anlässen gewidmet hatte. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dem literarisch-wissenschaftlichen Ereignis bestritt Iuliana Cotîrlea, Orchestermitglied der Hermannstädter Staatsphilharmonie, die während der Buchvorstellung Auszüge aus der Passacaglia in g-Moll „Der Schutzengel” für Violine solo aus den katholisch inspirierten Rosenkranz-Sonaten des frühbarocken Komponisten Heinrich Ignaz Franz von Biber (1644-1704) aufführte und dadurch zu der Erweiterung des Horizontes der Veranstaltung beitrug.