Srebrenica weckt Erinnerungen (II)

„Leider hat sich das Land unter Präsident Vucic ziemlich stetig in eine autoritäre Richtung bewegt“, so der US-Politologe Francis Fukuyama („Ende der Geschichte“). „In der Tat haben wir wahrscheinlich bereits einen Punkt erreicht, an dem die Idee der EU-Mitgliedschaft wirklich unmöglich wird.“ Die EU basiere auf einer Gemeinschaft von Werten, die vom gegenwärtigen Regime in Belgrad „weder unterstützt noch veranschaulicht“ werden.

Die Familie von Aleksandar Vucic stammt aus Bosnien-Herzegowina. Aufgewachsen ist er im Belgrader Stadtteil Zemun, wo sich die Familie Vucic nach der Vertreibung durch die kroatische Ustascha niederließ. Vucic studierte Rechtswissenschaften und schloss als einer der Besten seines Jahrgangs ab. Danach arbeitete er im englischen Brighton als Kaufmann. Bei der Rückkehr wurde er Journalist in Pale (während des Bosnienkriegs; Pale stand und steht auf der serbischen Seite), wo er Kontakt zu Karadjic und Mladic hatte. Als Fan von Crvena Zvezda Beograd stand er dessen radikaler Fankurve Delije nahe, aus der „Arkan“ die rund 3000 Mann starke paramilitärische „Arkans Tiger” formte, die für Kriegsverbrechen stehen.

1993 trat Vucic der Serbischen Radikalen Partei (SRS) der Vojislav Seselj bei. Ultranationalistisch, verfolgt diese ein Großserbien mit Grenzorten in Virovitica, Karlovac und Karlobag. Er wurde im selben Jahr SRS-Abgeordneter in der Nationalversammlung, Srbska Skupstina. Als Abgeordneter während des Bosnienkriegs drohte er 1995, für jeden getöteten Serben müssten 100 Muslime getötet werden (siehe Srebrenica...). Im selben Jahr, im Kroatienkrieg, Tage vor der Operation Sturm/Oluja, besuchte Vucic als Abgeordneter das besetzte kroatische Glina und warnte vor der Akzeptierung des Vance-Owen-Friedensplans: „Niemals wird die serbische Krain, niemals wird Glina kroatisch. Niemals wird die Banija (= das Banat der kroatischen Krain - wk) nach Kroatien zurückkommen.“

1998 wird Vucic Informationsminister. Regierungskritische Journalisten werden mit Geldstrafen belegt, ausländische Fernsehsender werden verboten, serbische Medien ermutigt, nationalistische Propaganda zu betreiben. Gräueltaten der Serben gegen ethnische Minderheiten werden medial legitimiert, Minderheiten verteufelt. Mediale Manipulation und Zensur.

2008 wechselte Vucic (als Präsidentenstellvertreter) zur neugegründeten Serbischen Fortschrittspartei SNS über und änderte radikal seine Position in der serbischen Frage. Das Massaker von Srebrenica sei eine „grausame Untat“ gewesen, sagte er nun, und dass er sich dessen schäme, was die Serben dort angerichtet haben. Früher habe er sich in seinen Urteilen geirrt. Es sei stolz, seine Einstellung geändert zu haben.
2012-13 wird Vucic Verteidigungsminister und bald stellvertretender Ministerpräsident. Er folgt Ivica Dacic, dem früheren Verteidiger von Slobodan Milosevic vor dem Gerichtshof für Menschenrechte (und heutigen Außenminister Serbiens; der „Kleine Slobo“ war auch mal Präsident des Fußballclubs Partizan Belgrad...).

Die Parlamentswahl 2014 gewinnt die SNS unter dem Vorsitzenden Vucic (158 der 250 Plätze). Vucic wird Ministerpräsident. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 erzielt Vucic die absolute Mehrheit, genau wie bei der Wahl vor zwei Wochen, die ihn als Präsident bestätigt.

Unter Vucic wurde die „Boulevardpresse zum Schlaghammer der Regierung“, urteilen internationale Medienverbände, die „Rufmord an Regimegegnern“ verübt. Vucic stelle sich übers Gesetz, denn als Präsident dürfte er, laut Verfassung, nicht auch Parteivorsitzender der SNS sein. Unter Vucic sei die Redefreiheit bedroht, weil Websites blockiert und Blogger festgenommen werden – heißt es über das Regime, dem „Nachahmungstendenzen des Orbán-Regimes“ in Ungarn nachgesagt werden. „Quatsch!“, erwiderte Vucic. Serbiens EU-Annäherung könnte sich umkehren, meint Fukuyama.