Stadt der Zünfte und des Kunsthandwerks

Drei relativ neue Sehenswürdigkeiten in Schäßburg knüpfen an diese Traditionen an

Dauerausstellung im Schmiedeturm mit Projektleiter Claudiu Adam und Luiza Herman

Im „Haus der Zünfte“ mit Kurator Dr. Rareş Şopterean

Im Souvenirladen „Gifty Shop“
Fotos: die Verfasserin

Schäßburg/Sighişoara verdient seinen Beinamen „Perle Siebenbürgens“ nicht nur, weil die Stadt als Freilichtmuseum mittelalterlicher Architektur, als schönste und am besten erhaltene Festung Siebenbürgens und als älteste ständig bewohnte Burg Europas gilt, oder weil ihre Altstadt Teil des Welterbes der UNESCO ist - sondern auch, weil die Festungsstadt ein zeitliches Kontinuum darstellt, in der Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen... 

Die ältesten Beweise menschlicher Siedlungen in der Gegend stammen aus der Bronzezeit und im 2. Jahrhundert wurde dort ein römisches Kastell errichtet. Laut Historiker Georg Krauss (1607-1679) führen die mittelalterlichen Quellen in Bezug auf die Besiedlung der Stadt auf das Jahr 1191 zurück. Erstmals erwähnt wurde die deutsche Siedlung im Jahr 1280 unter der lateinischen Benennung „Castrum Sex“ und erst 1289 wird die Ortsbenennung „Sches-purch“, auf der der heutige Name basiert, historisch belegt. Weil die Festungsstadt als historisches Denkmal gilt und sogar 1999 ins UNESCO-Welterbe aufgenommen wurde, könnten einige Touristen meinen, in Schäßburg sei „nur Altes“ zu sehen. Geschichte ist dort  tatsächlich allgegenwärtig, jedoch besteht die Lebenskunst der Burgeinwohner darin, die Vergangenheit stets in die Aktualität zu rücken und harmonisch mit der Gegenwart zu verbinden. Dies macht Sinn, auch für die wenigen Jugendlichen, die nicht wegen des Mangels an Arbeitsplätzen auswandern. Viele bleiben zu Hause oder kehren nach dem Studium an ihren Geburtsort zurück. Die meisten von ihnen wirken in der Tourismusbranche und bemühen sich, Schäßburg intensiv zu fördern, um die Stadt im In- und Ausland noch bekannter zu machen. Im Folgenden werden drei solche lokale Initiativen vorgestellt. 

Projekt „Schmiedeturm“

„Wir verbinden Kulturerbe mit Innovation“ lautet auch das Motto einer Gruppe von etwa 30 jungen Leuten aus der Veranstaltungsbranche, darunter  Projektleiter Claudiu Adam aus Dunesdorf/Daneş und die stellvertretende Projektleiterin Luiza Herman aus Weißkirch/Albe{ti, Kreis Mure{, welche eine tatsächlich mutige Initiative starteten. Ein Museum während der Pandemie zu eröffnen ist keine leichte Sache, sondern eine größere Herausforderung und wichtige Errungenschaft für sie. Im Juli 2020 öffnete der Schmiedeturm seine Tore erstmals für neugierige Besucher. Zur erfolgreichen Entstehung des Projekts „Schmiedeturm“ haben auch private Investitionen in Audio-, Beleuchtungs- und Videoprojektionsgeräte sowie das staatliche Förderprogramm „Start-up Nation“ beigetragen. 

Der Schmiedeturm hinter der Klosterkirche wurde 1631 auf der Grundfeste des früheren Barbierturms errichtet und ist einer der imposantesten und massivsten Türme der Festung. Beim Brand von 1676 wurde dieser zerstört, danach wieder aufgebaut. Der rechteckige Turm  ist mit Pechnasen und Schießscharten versehen, die heutzutage den Tauben als Rast- oder Niststätten dienen. Die Vögel wirken wie neugierige Zuschauer, wenn Touristen das Museum besuchen. Manche zeigen sich von den Fremden gestört und schauen ein bisschen genervt zu, andere schnäbeln ungestört weiter. Die schon zu Maskottchen gewordenen  Tauben werden von den Kuratoren des Museums geschützt und täglich gefüttert. 

Der Schmiedeturm verfügt über einen Bestand von über hundert im Laufe des vorangegangenen Winters restaurierten Museumsstücken. Diese stammen  von lokalen Privatsammlern, die sie für die Ausstellung im Schmiedeturm verliehen haben. 

Vertreten wird dabei die Zunft der Schmiede durch Fertigungen aus Metall sowie Werkzeuge, die zur Verarbeitung verschiedener Metalle dienen, wie etwa Zangen aller Größen.

Das Veranstaltungsteam des Schmiedeturms hat das Projekt um zwei Themenbereiche herum gestaltet. Einerseits wird die Ortsgeschichte von der Bronzezeit bis zum 20. Jahrhundert und die Schmiedezunft auf illustrierten Texttafeln vorgestellt, andererseits distanzieren sich die Gründer des Museums von der Dracula-Legende und versuchen, den Besuchern das gründlich recherchierte, authentische Leben des in Schäßburg gebürtigen Fürsten der Walachei, Vlad dem Pfähler (Vlad Ţepeş zu präsentieren. Für Kinder gibt es drei Kurzfilme: zwei über Schäßburg und einen über den Pfähler, der auf den 2019 mit dem ersten Preis beim Comics-Festival in London ausgezeichneten Comic des Künstlers Vlad Blându (BBS Studios Bukarest) basiert. Die Dokumentation erarbeitete der Historiker und Ţepeş-Experte Vasile Lupaşc.

Der Schmiedeturm beherbergt nicht nur die beschriebene Dauerausstellung, sondern fungiert seit diesem Sommer auch als Multifunktionsraum für verschiedene Events.
Die im Juni begonnene Konzertserie „Transylvania Live“ klingt am morgigen 28. August aus. Vom 20. bis zum 21. August hat das „Tower International Arts Festival“ (Internationales Festival der Künste im Turm) stattgefunden. Kulturfreunde können mehr über die Veranstaltungen im Schmiedeturm auf der Facebookseite web.facebook.com/turnulfierarilor erfahren.

Das Haus der Zünfte

Nicht weit davon entfernt gibt es eine ähnliche private Initiative: das „Haus der Zünfte“. Dieses befindet sich am Eingang der Burg auf der rechten Seite, nur zehn Meter vom Stundturm entfernt. Das Haus der Zünfte wurde dieses Jahr im Januar eröffnet und begrüßte seine ersten Besucher mit einem Tag der offenen Tür. Dieses neue Museum verfügt über einen Bestand von ungefähr 800 bis 900 Exponaten und beherbergt die Werkstätten von acht verschiedenen Zünften. Die Einrichtung des Museums allein hat laut Angaben des Kurators, Dr. Rareş Şopterean, anderthalb Jahre gedauert. Der Bestand umfasst über viele Jahre gesammelte, angekaufte Exponate und gespendete Privatsammlungen. Die Museumsstücke stammen aus dem 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und wurden einzeln restauriert. Gezeigt werden nicht nur Werkzeuge, sondern auch Truhen und Kleidungsstücke der Tischler, Zinngießer, Schmiede, Wagner, Schuster, Schneider, Lederer und Metzger sowie eine Waffen- und Helmausstellung. 

Zur Schaffung der altertümlichen Atmosphäre tragen die Architektur des Raumes im Stil des frühen 18. Jahrhunderts und die für jede einzelne Werkstatt spezifischen Geräusche bei, die den akustischen Hintergrund bilden.   

Ziel dieser Initiative ist, so der Kurator, die Verflechtung der Vergangenheit mit der Gegenwart zu vermitteln. So wie viele andere junge Leute in Schäßburg ist auch Dr. Rareş Şopterean nach Beendung seines Geschichtsstudiums und Philologiedoktorats in Neumarkt/Târgu Mureş an seinen Geburtsort zurückgekehrt, um die mittelalterliche Burg als Kulturstadt zu fördern und dem Publikum etwas Neues zu bieten.

Geplant ist außerdem noch die Eröffnung eines Tochtermuseums auf der anderen Seite der Burg am Schneiderturm, in dem alte Waffen, Landkarten, Bücher und Münzen  im Mittelpunkt stehen sollen. 

Gifty Shop

Wer eine schöne Erinnerung aus Schäßburg mitnehmen möchte, sollte unbedingt eine der Werkstätten der lokalen Handwerker besuchen. Ein gutes Beispiel ist jenes des bildenden Künstlers und Restaurateurs von bunten Holzgegenständen, Zsolt Máthé, der als Sohn Schäßburgs ebenfalls nach seinem Studium heimgekehrt ist. Seit 2017 mietet Máthé den hinteren Teil des berühmten Hauses mit dem Hirschgeweih gleich auf dem Burgplatz, wo er sein Souvenirgeschäft „Gifty Shop“ betreibt, das nebenbei als saubere, schön beleuchtete Werkstatt fungiert. Dort ist der Künstler täglich mit dem Pinsel in der Hand zu finden und lässt sich bei der Arbeit gerne zuschauen. Die fertigen Werke kann man im Geschäft bewundern und kaufen. Im ersten Stockwerk des Gebäudes kann man die Malereien des Künstler Rareş Cherecheş bestaunen, während im Hintergrund klassische Musik spielt. So vermittelt der Souvenirladen vielmehr den Eindruck einer Kunstgalerie. Vor allem in den Sommermonaten organisiert Máthé dort Malworkshops für Kinder, um ihnen die Liebe zur Kunst und für traditionelle Muster beizubringen. 

Die Mission der Marke „Gifty“ ist, laut Zsolt Máthé, die Volkskunst in Siebenbürgen zu fördern, welche als wichtiger Teil des siebenbürgischen Multikulturalismus das gute Zusammenleben versinnbildlicht. Máthé versucht, unter diesem Brand möglichst viele siebenbürgische Handwerker zu versammeln und ihnen sein Geschäft als Ausstellungsraum zur Verfügung zu stellen. Im Moment arbeitet er mit 18 verschiedenen Handwerkern aus Schäßburg und benachbarten Ortschaften zusammen.

Zu den Souvenirs, die zum Kauf angeboten werden, zählen mit sächsischen und ungarischen Motiven handbemalte Möbelstücke und Dekorgegenstände aus Holz, sowie Süßigkeiten, Konfitüre, lederne Schlüsselanhänger und Geldbeutel, Keramik usw. Auf der Rückseite jedes handgemachten Stücks steht das Credo „Soli Deo Gloria“ (Ehre sei Gott allein) als Zeichen der Dankbarkeit der Handwerker Gott gegenüber für ihre künstlerische Begabung. 

„Unser Kunde, unser Freund“ lautet ein anderes Motto von Zsolt Máthé, denn zufriedene Kunden sind die beste Werbung für Gifty. Aus diesem Grund bietet Gifty einzigartige, hochkarätige Produkte, die von den besten Handwerkern mit Liebe handgefertigt wurden. Die farbenfrohen Geschenke kann man auch online auf der Website des Souvenirgeschäfts giftyshop.ro erstehen.