Steinerner Gast: Beethoven

Jubilare des Jahres 2020 unter sich

Max Klinger: Beethoven (1902)

Ernst Barlach: Beethoven (1926) Fotos: Josef Balazs

Da 2020 ein wichtiges Jubiläumsjahr ist, haben sich Museen rechtzeitig vorbereitet, um ihre einmaligen Exponate gebündelt zu präsentieren. So auch das Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK). Kurz vor der Frühjahrs-Buchmesse wurde eine wichtige Sonderausstellung eröffnet: Klinger 2020. Wenige Tage nur, denn dann kam die schwierige Zeit der Corona-Pandemie.
Die Leipziger Buchmesse 2020 wurde abgesagt. Kurz danach wurde auch das Museum geschlossen.
Seit wenigen Monaten sind die Museen wieder offen; allerdings gelten zum Schutz vor der Verbreitung des Coronavirus derzeit besondere Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, die man unbedingt respektieren muss.
Die Sonderausstellung Klinger 2020 ist noch bis 16.August 2020 zu besichtigen

Die Beethovenstatue in Nürnberg wurde 1927 von Konrad Roth, einem Mitglied der Nürnberger „Sezession“ geschaffen. Auch damals feierte die Welt den großen Komponisten. Wie stellt man den größten Musiker der Welt als Statue dar? Komponierend, also schreibend? Musizierend ... so wie Richard Strauß geigend dargestellt wurde? Der „Nürnberger“ Beethoven sitzt. In einem majestätischen Sessel. Wohl auf einem Thron. Wie originell! könnte man ausrufen, wenn es den Leipziger bzw. den Wiener Beethoven nicht geben würde. Pünktlich zur 250. Geburtstagsfeier Ludwig van Beethovens (1770-1827) hat sich auch das Museum der bildenden Künste Leipzig gerüstet. Der Zufall wollte es, dass ein anderer Künstler gleichzeitig geehrt wird. Das Museum widmet Max Klinger (1857-1920) anlässlich des 100. Todestages eine umfassende Ausstellung, die das Schaffen des säch-sischen Künstlers in einen internationalen, europäischen Kontext stellt. Die Ausstellung heißt: Klinger 2020.Max Klinger, einst eine europäische Größe, war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viel zu wenig propagiert; waren doch seine berühmten Werke allesamt in der DDR.

Das Jahr 1902 bildete einen Höhepunkt in der modernen europäischen Kunst. Anlässlich der 14. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler der Secession wird in Wien in einem der bedeutendsten Gebäude des österreichischen Jugendstils eine Ausstellung als Gesamtkunstwerk inszeniert. Im Mittelpunkt glänzte die von Max Klinger geschaffene große Beethovenskulptur. Drumherum an den Wänden eine noch nie gesehene Bilderfolge von Gustav Klimt. Die Ausstellung war eine Sensation. Die „Neue Freie Presse“ schreibt im April 1902: „Klingers Beethoven! Die zwei Namen, in denen eine unerreichte Vergangenheit mit der höchststrebenden Gegenwart siegreich zusammenströmt, locken zur Stunde Alles, was Augen hat, in das Gebäude der Secession. (...) Man sollte zu ihm wallfahren wie zu einem Gnadenbilde, sein Anblick sollte ein Gottesdienst sein. Da steht es ganz allein im hohen feierlichen leeren Saale, fast unnahbar in seiner stolzen Einsamkeit.“ Max Klinger hat den Marmor für seine Monumentalskulptur eigenhändig in Griechenland ausgesucht. Beethoven wird als olympische Gottheit mit nacktem Körper dargestellt. Bedeckt werden bloß seine Beine von einer Decke. Seine Füße stecken in antiken Sandalen. So wurden in der Antike Götter als Bildnis gezeigt. Der polychrome Marmor verleiht Dynamik und Erhabenheit zugleich.Der Komponist sitzt nach vorne gebeugt auf einem reich dekorierten Thron. Zu seinen Füßen hockt ein Adler, das Wappentier des Jupiter. Die Hände hat der Komponist geballt, sein Gesichtsausdruck ist konzentriert und energisch. Als wollte er deklamieren: „O Freunde, nicht diese Töne!“

Im „Neuen Wiener Tageblatt“ vom 15. April 1902 steht: „Seit vierzehn Tagen geht durch alle Zeitungen Österreichs und Deutschlands tönender, rauschender Jubel: Klinger´s Beethoven ist zur Welt gekommen!“ Der Wiener Stadtrat beabsichtigt, den Beethoven zu erwerben. Die Ankaufsbemühungen scheitern jedoch, sodass mittels privater Spenden die Monumentalskulptur für das Museum in Leipzig angekauft werden konnte.Hier in Leipzig steht diese atemberaubende Skulptur auch 2020 in der Mitte eines großen Raumes. Flankiert wird der monumentale Beethoven von anderen Werken Klingers: „Kassandra“ (1895), „Die Neue Salome“ (1893), „Badendes Mädchen, sich im Wasser spiegelnd“ (1896/97), „Die Kreuzigung Christi“ (1890). Als Pendant zu den Plastiken Klingers wurden einige Marmor-Skulpturen Auguste Rodins aufgestellt. Klinger verbrachte einige Jahre auch in Paris, war mit Rodin befreundet und hatte Zeit, die Arbeiten des französischen Meisters zu studieren.

Eine faszinierende Darstellung eines Beethoven-Kopfes, der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, stammt von Ernst Barlach (1870-1938), ein weiterer Jubilar des Jahres 2020. Nicht wegzudenken sind die kleinen Skulpturen Barlachs aus den europäischen Museen. In der Frühjahrsausstellung der Berliner Secession 1907 überraschte der Künstler mit zwei Terrakotten: „Russische Bettlerin mit Schale“ und „Blinder Bettler“. Es waren die Fruüchte seiner Reise nach Russland, wo er nach eigener Aussage „den Begriff von Grenzenlosigkeit“ kennenlernte. „Eine Grenzenlosigkeit, in der sich das Menschliche nur als kristallisierte, festgeformte Gestaltung behaupten konnte, wollte man das Menschliche überhaupt festhalten.“

Im Jahr 1927 wird Ernst Barlach seine Monumentalplastik in der Nordhalle des Güstrower Doms aufhängen. Es ist ein Denkmal für die Gefallenen, ein bronzener Engel. Ein Künstler wie Barlach war aber den aufkommenden Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. So musste der Künstler mit ansehen und erleben, wie seine großen Werke aus dem öffentlichen Raum entfernt wurden, da sie 1937 als „entartete Kunst“ eingestuft wurden.

In Güstrow befindet sich Barlachs Atelierhaus, das von der Barlach-Stiftung um ein Ausstellungsforum ergänzt wurde. Hier ist der Beethovenkopf von Ernst Barlach zu bewundern. Der Olympier Beethoven wird in Barlachs Bronze-Guss von 1926 als Sonne dargestellt. Eine gewagte, moderne und sehr originelle Inszenierung des Mythos Beethoven.  

So wie der von Beethoven in seiner 9. Sinfonie einkomponierte Zwischenruf „O Freunde, nicht diese Töne“ wie eine Guillotine schneidend in die Hörerschaft hineinfährt und eine Zäsur bildet, so unverhofft kam auch die Corona-Pandemie über die Menschheit.

Mit Beethovens versöhnendem zweiten Teil des Rufes wollen wir hoffend in die Zukunft blicken und paraphrasierend rufen: O Freunde, lasst uns angenehmere Töne anstimmen, und freudenvollere Zeiten erleben mit offenen Konzertsälen und Museen!