Step-Hear – ein akustisches Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung

Orientierungshilfe an Straßenkreuzungen, öffentlichen Plätzen, in Nahverkehrsmitteln oder Institutionen

Details zum akustischen Leitsystem können von der Webseite www.step-hear.com.ro abgerufen werden.

Simona Smultea bewegt sich seit einem Jahr mit Hilfe ihres Begleithundes Chilli durch die Stadt. Vor Kurzem testete sie das Begleitsystem zusammen mit anderen Vertretern der Gemeinschaft der Menschen mit Sehbehinderung in Temeswar.
Foto: privat

Derzeit ist das System nur vereinzelt in Institutionen und Privatunternehmen in Bukarest, Fogarasch, Jassy, Klausenburg und Konstanza vorhanden.
Fotos: Step-Hear Rumänien

Auf der Grundlage von Bluetooth und Näherungssensoren kann das Step-Hear-System sehbehinderten Menschen akustische Informationen liefern, um ihnen bei der Erkundung des Raums zu helfen.

Eine moderne Stadt bedeutet Zugang zum öffentlichen Raum für alle Bürger. Sehbehinderte Menschen benötigen spezielle Systeme, um sich sicher zu bewegen. Aus diesem Grund hat eine blinde Person aus Temeswar/Timi{oara das Projekt „Leitsysteme im öffentlichen Raum für Blinde“ für den Bürgerhaushalt eingereicht. Der Vorschlag konnte bis zum 15. Juli öffentlich abgestimmt werden. Dieser erhielt jedoch nicht genügend Unterstützung und ist daher nicht unter den acht Projekten mit den meisten Stimmen wiederzufinden. Laut Bürgermeisteramt von Temeswar sollen jedoch alle 52 eingereichten Vorschläge demnächst trotzdem  im Hinblick auf eine mögliche Umsetzung analysiert werden.

Um zu verstehen, wie sich Sehbehinderte derzeit orientieren und welche Bedürfnisse sie haben, fand vor Kurzem in Temeswar eine Demonstration der Funktionsweise des Step-Hear-Systems statt - einer intelligenten Lösung, die Sehbehinderten Orientierung in der Umwelt bietet. Auf der Grundlage von Bluetooth und Näherungssensoren kann das System sehbehinderten Menschen akustische Informationen liefern, um ihnen bei der Erkundung des Raums zu helfen.


Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lebt etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung mit irgendeiner Form von Behinderung. Diese Gruppe stellt die größte Minderheit weltweit dar. Mindestens 300 Millionen Menschen der gesamten Weltbevölkerung leiden an einer Form von Sehbehinderung oder Blindheit. Das Projekt Step-Hear wurde 2008 als Innovation für eine barrierefreie Technologie für Audio- und Leitsysteme für Menschen mit Sehbehinderungen und anderen Behinderungen in Israel ins Leben gerufen und ist seit 2013 auf dem Markt verfügbar. Mittlerweile ist das System tausendmal auf der ganzen Welt, darunter in Banken, Universitäten, Supermärkten, Einkaufszentren, Touristenattraktionen, Krankenhäusern, Regierungsgebäuden, Bussen und Busbahnhöfen und bald auch in Straßenbahnen und U-Bahnen installiert worden.

Die Nutzer können die Step-Hear-App kostenlos heruntergeladen. Die App kann verschiedene Geräte miteinander verbinden und bietet eine präzise Audioführung für sehbehinderte Menschen - drinnen sowie draußen.

Sensoren liefern akustische Informationen

Die Sensoren des Systems können ein in der Nähe befindliches Gerät mit der Step-Hear-App erkennen. Das in einer Institution installierte System informiert daraufhin automatisch den Empfang, dass sich eine Person mit Sehbehinderung am Eingang befindet, öffnet Türen und Tore oder aktiviert den Rollstuhlaufzug. In öffentlichen Verkehrsmitteln informieren die Sensoren den Busfahrer, dass eine Person mit einer Behinderung in der Haltestelle steht, das System identifiziert die nächstgelegene Tür und öffnet sie automatisch.

In Temeswar leben rund 3500 Menschen in völliger Blindheit, dazu kommen noch weitere mit teilweiser Sehbehinderung. Zu den komplett blinden Bürgern in der Begastadt zählt auch Simona Smultea. Die junge Frau war nicht immer blind. Ihr Augenlicht hat sie wegen einer Netzhautablösung nach ihrem 18. Lebensjahr im Laufe der Jahre verloren. Bis die komplette Erblindung einsetzte, konnte sich die in Terregowa/Teregova (Verwaltungskreis Karasch-Severin) geborene Frau langsam an ihr neues, unvermeidliches, lichtloses Leben anpassen. Seit Jahren ist die Mitte 30 Jährige nun als Vizepräsidentin des Vereins „Ceva de Spus“ (etwas zu sagen) Aktivistin für die Rechte der Menschen mit Behinderung in Temeswar. In diesem Frühling reichte sie dem Temeswarer Bürgermeisteramt  einen Vorschlag im Rahmen des Pilotprojekts des ersten Bürgerhaushalts in der Begastadt ein. „Sisteme de ghidaj în spa]iul public pentru nev˛z˛tori“ (öffentliche Leitsysteme für Blinde) hießt ihr Projektvorschlag innerhalb der Kategorie „Ora{ul mobil“ (mobile Stadt).

Zugang zum öffentlichen Raum für alle

„In Ländern auf der ganzen Welt gibt es bereits Blindenleitsysteme, die aus unauffälligen Geräten an öffentlichen Plätzen bestehen, die über NFC (Near Field Communication) mit Apps auf den Smartphones blinder Verkehrsteilnehmer kommunizieren können. In Temeswar sind blinde Menschen im öffentlichen Raum fast nicht anzutreffen, da die Zugänglichkeit sehr gering ist. Blinde Menschen haben wie alle anderen Stadtbewohner das Recht, sich sicher zu bewegen. In dem Maße, in dem der öffentliche Raum besser zugänglich wird, erhöht sich die Präsenz und die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen, insbesondere von jungen, am Leben der Stadt. Wir würden gerne Step Hear-Geräte in Temeswar einsetzen. Die Blindengemeinschaft in der Begastadt schlägt vor, zunächst die Fußgängerzone im Stadtzentrum für Blinde zugänglich zu machen. Nach diesem Pilotversuch soll das System auf andere Bereiche der Stadt ausgedehnt werden. Darüber hinaus kann die App auch für den Tourismus nützlich sein und die Geräte können so programmiert werden, dass sie Informationen in Fremdsprachen vermitteln“, begründet Simona Smultea ihren Vorschlag.

Simonas Projekt konnte über 600 Stimmen gewinnen und war damit nur knapp unter der Schwelle der acht Vorschläge, die die meisten Stimmen seitens der Temeswarer erhielten. „Irgendwie ist es auch verständlich. Die Bürger wählen das, was ihnen am Nächsten steht und bedauerlicher Weise sind die Menschen mit Sehbehinderung Teil einer Minderheit. Doch ich glaube fest daran, dass dieser Vorschlag die Möglichkeit, das Leben für diese Kategorie zu erleichtern und vor allem zu verbessern, in naher Zukunft von der Stadtverwaltung in Betracht gezogen wird. Ich will die Stadtverwalter, aber auch die Leiter von jeweiligen Institutionen und Unternehmen darauf aufmerksam machen, dass für unser System Fördermittel beantragt werden können und sie davon profitieren können. Im Herbst wird höchst-wahrscheinlich ein erstes solches System für Temeswar an der Schule für Sehbehinderte ´Iris` angebracht“, betont Marian Coman, der Vorsitzende der Framinor-Gruppe, die sich um die Entwicklung des Step-Hear-Systems in Rumänien kümmert.

Seit 2019 wurde das Step-Hear-System vereinzelt in verschiedenen rumänischen Städten eingeführt, darunter an einigen Institutionen in der Hauptstadt Bukarest (im Rathaus des 1. und 4. Sektors, an der Universität Bukarest, in der Nationalen Agentur für Menschen mit Behinderungen, beim Bukarester Sozialamt oder im Bukarester Gerichtshaus), in Jassy/Ia{i, Klausenburg/Cluj-Napoca, Konstanza und Fogarasch/F˛g˛ra{. In Temeswar wäre es eine absolute Neuheit für die blinde Gemeinschaft, sich unabhängig und sicher in der Fußgängerzone der Innenstadt zu bewegen. Auf ungefähr 386.000 Lei (samt Mehrwertsteuer) wurden die Kosten für die Abdeckung der Fußgängerzone in der Innenstadt von Temeswar geschätzt.